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INTERVIEW/337: Der schleichende Krieg - Hauptquartiere meerumschlungen ...    Detlef Mielke im Gespräch (SB)


Der Krieg geht auch von Schleswig-Holstein aus

Interview am 11. Februar 2017 in Jagel


Detlef Mielke setzt sich seit Jahrzehnten für Abrüstung, gewaltlose Konfliktlösung und soziale Gerechtigkeit ein. Er ist in Bad Oldesloe in der DFG-VK organisiert. Nach der Protestaktion am Fliegerhorst Jagel in Schleswig-Holstein beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen zur Militärpräsenz in diesem Bundesland und zu den Erfahrungen der Antikriegsbewegung.


Im Gespräch - Foto: © 2017 by Schattenblick

Detlef Mielke
Foto: © 2017 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Herr Mielke, worin besteht die besondere Bedeutung des Stützpunktes Jagel?

Detlef Mielke (DM): Die besondere Bedeutung Jagels besteht darin, daß dieser Fliegerhorst ein Drohnenstandort ist. Wir haben vor anderthalb Jahren mit den Aktionen angefangen, weil wir wußten, daß die Nachfolger des Eurohawk hierherkommen werden. Derzeit ist Triton im Gespräch, was es letztendlich wird, ist noch unklar. Darauf wollen wir uns mit kleinen Aktionen vorbereiten, damit wir den Standort kennen und dann loslegen können. Und es werden von Soldatinnen und Soldaten des Geschwaders von Jagel aus seit 2010 die Heron-I-Drohnen in Afghanistan, in Masar-i-Scharif, gesteuert und jetzt sind auch in Mali drei Drohnen in Betrieb, die von hier aus bedient werden. Jagel verkauft sich nach außen als Aufklärungsgeschwader, was es auch in der Hauptsache ist. Wir sagen jedoch, daß Aufklärung die Vorbereitung zum Töten ist. Es wird kein Schuß abgegeben, ohne aufzuklären. Jeder, der schießt, guckt vorher, wo er oder sie hinschießt. Und hier ist das genauso, die Jagler sind praktisch dafür verantwortlich, das Lagebild zu erstellen oder auch die Zielkoordinaten festzulegen, und die militärische Befehlskette legt dann fest, was mit diesen Zielen passiert, ob die in die Luft gesprengt, abgeschossen oder liegengelassen werden. Jagel ist der einzige Standort in der Bundesrepublik, von dem die größeren Drohnen gelenkt werden. Es gibt noch kleine Drohnen, die über Heeresaufklärer gesteuert werden wie jetzt auch in Mali oder in Afghanistan, diese Luna und Aladin und so weiter, aber die Großdrohnen werden nur von den Jaglern gesteuert. Die Ausbildung für die Flüge der Heron-Drohnen findet in Israel statt, aber das Training an den Simulatoren wird in Jagel durchgeführt. Neu ist, daß die Bildauswertung tatsächlich in Jagel stattfindet.

Ein Beispiel: Die Heron-Drohnen fliegen in Mali, sammeln da Daten, also sowohl fotooptische als auch elektromagnetische Daten, hören den Funkverkehr und die Mobiltelephone ab, und diese Daten werden dort vorsortiert und vorausgewählt. Dann werden sie nach Jagel übermittelt, hier ausgewertet, in ein Lagebild verwandelt, und dieses Lagebild wird dann zurückgeschickt nach Mali zu den Kommandostäben. Wo es dann landet, wissen wir natürlich nicht. Gesagt wird, bei den UN-Kommandostäben, wobei es auch noch die EU-Mission und die französische Mission Barkhane gibt, ich nenne sie mal die Abschießer und Jäger. Auf der Bundeswehr-Homepage gibt es zu Jagel zumindest gewisse Hinweise, daß auch Informationen an diese Operation Barkhane gehen. Also zusammengefaßt: In Jagel geht die technische Entwicklung dahin, daß hier auch die Lagebilder erstellt, also letztlich die Zielkoordinaten festgelegt werden.

SB: Wie deckt sich das mit den beiden Mandaten des Mali-Auftrags?

DM: Der sogenannte Ausbildungsauftrag in Mali, ein EU-Auftrag, findet im Zentrum des Landes statt. Gao ist der Stationierungsort für den UN-Auftrag, der personell hauptsächlich von Soldaten der afrikanischen Union, aber auch von europäischen durchgeführt wird. Dort geht es formal darum, die Einhaltung des Waffenstillstands, der zwischen den, ich nenne sie etwas flapsig Tuareg-Rebellen, und der malischen Regierung im Süden ausgehandelt worden ist, zu überwachen. Daneben gibt es aber auch noch islamistische Rebellengruppen, die diesen Waffenstillstand nicht mitunterzeichnet haben und weiterhin Krieg führen. So kam es beispielsweise zu Angriffen wie jenem in Gao, von dem sowohl malische Soldaten als auch in den Waffenstillstandsvertrag eingebunden Tuareg-Rebellen betroffen waren, die dort gemeinsam auf Streifengänge vorbereitet wurden. Man könnte natürlich argumentieren, daß zur Überwachung des Waffenstillstands die Aufklärung notwendig ist. Doch was nachher mit den Daten passiert, können wir nicht überprüfen, aber da will ich auch nichts unterstellen.

SB: In welchem Maße ist Schleswig-Holstein auch insgesamt gesehen ein bedeutender Rüstungs- und Militärstandort in Deutschland?

DM: Schleswig-Holstein ist ein Standort für die elektronische Kampfführung. Für einen wesentlichen Teil der Bundeswehr gibt es weiter im Norden, in Bramstedtlund, eine verbunkerte Aufklärungsanlage der Bundeswehr. In Stadum befindet sich eine Kaserne mit einer elektronischen Kampfführungseinheit (Eloka). Zum anderen gibt es in Schleswig-Holstein auch eine Spezialeinheit der Bundeswehr. Man spricht bei diesen Spezialeinheiten meistens nur vom Kommando Spezialkräfte aus dem Schwarzwald. In Eckernförde ist jedoch das entsprechende Kommando der Marine stationiert, früher Kampfschwimmer, heute das Spezialkräfte-Kommando der Marine. Es gibt Aufklärungsschiffe der Bundeswehr, von denen man fast gar nichts hört. Drei Aufklärungsschiffe, die praktisch unbewaffnet sind, haben auch keinen Auftrag, weswegen sie nie mandatiert werden. Die schippern immer irgendwo rum und saugen Daten auf. Dabei geht es weniger darum, per Fotooptik oder Radar aufzunehmen, sondern darum, den Funkverkehr auszuspionieren, also elektronische Aufklärung zu betreiben. Deren Heimathafen ist Eckernförde, formal sind sie einem Standort in Niedersachsen zugeordnet. Es gibt noch mehrere Marinestandorte, zudem Heeresstandorte, eine Aufklärungseinheit in Eutin, die jetzt auch in Mali unterwegs ist. Die Aufklärer operieren entweder einzeln oder mit Fahrzeugen, auf denen sich eine Sensorik befindet, aber auch mit kurzfliegenden Drohnen wie Luna und Aladin. In Husum ist eine Spezialpioniereinheit stationiert, die auch schon in Mali war und dort das Camp mit aufgebaut hat.

In Appen, nordwestlich von Hamburg, befindet sich ein Schulungsort für Luftwaffenoffiziere und Unteroffiziere. Dort wurden zum Beispiel Piloten aus Saudi-Arabien geschult. Es gibt auf der Bundeswehr-Homepage ein Foto aus dem Jahr 2011 mit Teilnehmern der Führungsakademie und dort sind die Länder aufgeführt, aus denen sie kommen. Daher können wir das wissen und belegen. Es gibt noch eine Fülle anderer Standorte wie die Marine in Kiel, viel ist aber auch aus Schleswig-Holstein weiter gen Osten verlagert worden. Wenngleich sehr viele Standorte geschlossen worden sind, gibt es hier gemessen an der Einwohnerzahl immer noch eine relativ hohe Militärdichte.

SB: Sind es vor allen Dingen Sparmaßnahmen, die zur Verlegung führen, oder gibt es noch andere, strategische Gründe dafür?

DM: Herr Schröder hat einmal gesagt, die Bundeswehr ist nicht dazu da, stationiert zu sein - es sind Strukturanpassungsmaßnahmen. Im Zuge der Rationalisierung der Bundeswehr mit dem Auftrag, mehr Soldaten für die Auslandseinsätze zur Verfügung zu haben, wurde die Bundeswehr im Grunde bereits seit Ende der 80er Jahre rationalisiert. In den verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992 wird das ausformuliert, wobei sie natürlich schon erheblich früher entwickelt worden waren. Als Herr Stoltenberg Verteidigungsminister war, gab es 1989 ein Papier, das bereits in die gleiche Richtung ging, Seewege, Rohstoffe und so weiter. Um das zu bewerkstelligen, ist die Bundeswehr umstrukturiert, ich würde sagen, durchrationalisiert worden. Im Zuge dieser Zusammenfassung und personellen Verkleinerung wurden viele Standorte aufgelöst.

In strategischer Hinsicht sind natürlich beispielsweise Lufttransporte über Hannover günstiger, weil das zentraler liegt, Hohen wird demnächst geschlossen. Zudem wäre das Gebiet der ehemaligen DDR nach Auflösung der NVA soldatenleer geworden. Dort gibt Gelände, Kasernenanlagen und potentielle Soldaten, die irgendwo zusammengezogen werden mußten, und die sind dann da hingekommen. Auch deswegen fanden Verlegungen statt. Aus den Ballungsräumen sind mit Ausnahme der Marine in Kiel Soldaten abgezogen worden. So gibt es im Hamburger Umland kaum noch Kasernen, außer vielleicht in Appen, aber in Hamburg selbst nur noch zwei für die Führungsakademie und die Bundeswehrhochschule. Kasernen befinden sich heute zumeist in den weniger besiedelten Gebieten, was ja eigentlich auch nicht schlecht ist, weil das potentielle Angriffsziele sind.

SB: Wie ist es um die Akzeptanz der Bundeswehr in der Bevölkerung an diesen Militärstandorten bestellt?

DM: Ich nehme das Beispiel Jagel: In Kropp ist die dazugehörige Kaserne, das liegt fünf Kilometer westlich von hier. Dort ist die Akzeptanz natürlich sehr hoch, weil die Leute im Unteroffiziersbereich da wohnen, wo sie arbeiten. Sie bleiben da, während die Offiziere ständig versetzt werden. Die Unteroffiziere wohnen auch nach ihrer Verabschiedung und Rente am Ort, so daß Kropp also durchsoldatet ist. Da ist die Akzeptanz extrem hoch, selbst im Kirchenvorstand. In Jagel selbst wohnen gar nicht so viele Soldaten, hier hört man nur den Lärm. Der ist in bestimmten Richtungen besonders stark. Westlich von hier ist Dithmarschen besonders vom Lärm der Jageler Flugzeuge betroffen, von dorther setzt es deswegen auch Kritik. Hier am Ort gab es früher, als noch wesentlich mehr Flugzeuge stationiert waren, auch eine Initiative gegen Fluglärm. Da aber beim Geschwader etwa 1800 Menschen beschäftigt sind, ist das schon ein großer Arbeitgeber in der Region.

SB: Welche Erfahrungen hat die Antikriegsbewegung mit diesen Aktionen hier in Jagel und anderswo über die Jahre gemacht?

DM: In Jagel sind wir erst anderthalb Jahre dabei. Wir haben früher hier schon was gemacht, einzelne kleine Aktionen, es kommen mal Leute aus Schleswig, es kommen auch vereinzelt Leute aus Jagel oder diesen einzelnen Dörfern hier und gucken mal. Aber es gibt wenig Kontakt, weil wir von außen, aus anderen Orten kommen und uns hier treffen. Über andere Standorten kann ich nicht allzu viel sagen, aber auf der Kieler Woche machen wir regelmäßig eine Aktion beim Infotruck. Die einen finden das gut und sagen: Super, daß ihr auch da seid, wenn wir genau gegenüber vom Infotruck mit unserem Sarg und unseren Aktionselementen stehen. Die anderen motzen, und die Propagandaeinheit aus Hannover findet das natürlich gar nicht gut, daß wir da sind, aber wir sind nun mal da.

SB: Inzwischen sind Kampfverbände der NATO dicht an der russischen Grenze aufmarschiert. Kann man spüren, daß die Sorge um die Kriegsgefahr in der Bevölkerung gewachsen ist?

DM: Ein bißchen schon, aber das führt bisher nicht zu Aktionen. Das bewegt sich auf der Ebene des Angstpazifismus, der noch nicht zur Aktion führt. Die Bundeswehr führt ja seit vielen Jahren ständig Kriege, und aus dem Baltikum wird noch nicht gekämpft. Es handelt sich übrigens um einen nicht mandatierten Auslandseinsatz. Die Übungen sind offiziell keine Auslandseinsätze, und das, was in der Ägäis mit der Flüchtlingsabwehr passiert, ist auch kein Auslandseinsatz, der durch den Bundestag geht, weil das nicht als Einsatz definiert wurde. Aber zurück zur Bevölkerung: Wenn wir Infostände machen, meinetwegen in der Kleinstadt Oldesloe, in der ich lebe, dann kommen wir schon mit Menschen ins Gespräch, die dann vielleicht auch zum Gruppenabend oder zu Aktionen mitkommen, aber das sind keine Massen. Letztendlich ist das immer noch ein sehr kleiner Kreis. Und viele sehen genauso die nicht gerade deeskalierende Militärpolitik der russischen Regierung. Die Beleseneren haben auch die Einsätze in Afghanistan und Mali wahrgenommen und sagen, da wird ja nichts draus, das bringt doch nichts, das begreifen schon viele. Aber sie kommen nicht in die Aktion.

SB: Es gibt also noch viel zu tun.

DM: Ja, es gibt noch viel zu tun, und wir müssen auch Strukturen neu aufbauen. Das ist ein Grund, warum wir diese Aktionen hier in Jagel durchführen. Dazu kommen nämlich Menschen aus verschiedenen Orten in Schleswig-Holstein zusammen und tauschen sich aus.

SB: Herr Mielke, vielen Dank für das Gespräch.


Bisherige Beiträge zur Protestaktion am Stützpunkt Jagel im Schattenblick unter:
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