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INTERVIEW/380: Gegen Krieg und Rüstung - orchestrale Störung ...    Marcus Beyer im Gespräch (SB)


Marcus Beyer gehört zu den rund 80 Musikerinnen und Musikern des Netzwerks Lebenslaute [1], das am 21. August unter dem Motto "Von Bass bis Sopran - gemeinsam gegen Rüstungswahn" eine Konzertblockade am Luftwaffenstützpunkt Fliegerhorst Schleswig-Jagel durchführte. [2] Zusammen mit regionalen Unterstützerinnen und Unterstützern aus den Reihen der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigung der KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), die seit längerem für die Schließung des Fliegerhorstes und die Abschaffung der Bundeswehr eintreten und regelmäßig Aktionen an diesem Standort durchführen, setzte Lebenslaute ein Zeichen gegen Militarismus und Krieg.

Am Rande des Konzerts beantwortete Marcus Beyer dem Schattenblick einige Fragen zum Verlauf der morgendlichen Aktion an den Toren des Stützpunkts vor dem Konzert und zu den Erfahrungen der Musikerinnen und Musiker von Lebenslaute mit solchen Blockaden.



Stehend vor dem belebten Konzertplatz am Haupttor - Foto: © 2017 by Schattenblick

Marcus Beyer
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Heute morgen haben hier am Fliegerhorst Jagel bereits einige Aktionen stattgefunden. Was ist denn da passiert?

Marcus Beyer (MB): Für uns ist das tatsächlich die eigentliche Veranstaltung gewesen. Es ging heute morgen um 5:30 Uhr los. Wir als Lebenslaute, das Netzwerk von Musikerinnen und Musikern, sind mit 80 Personen und 20 weiteren Unterstützerinnen und Unterstützern zum Luftwaffenstützpunkt Jagel gekommen und haben alle elf Zufahrten vollständig mit unserer Musik blockiert. Wir haben uns dazu in kleine Ensembles aufgeteilt und sofort angefangen zu musizieren. Das führte dazu, daß die Soldatinnen und Soldaten, die hier mit ihren Pkws ankamen, nicht mehr auf den Stützpunkt einfahren konnten. Sie sind dann umgedreht, einige haben es noch versucht, aber dann schnell gesehen, daß wir uns mit unseren klassischen Instrumenten aufgebaut hatten und dasaßen. Und diese vollständige Blockade hat dann auch eineinhalb, eindreiviertel Stunden gehalten.

SB: Und wie fiel die Reaktion aus? Wurde die Polizei zur Unterstützung geholt?

MB: Interessanterweise war die Polizei teilweise an den Toren schon da als wir kamen. Ich weiß nicht, ob sie bereits morgens nachsehen wollte, was da möglicherweise passiert. Wir als Lebenslaute sind ja dafür bekannt, daß wir klassische Musik immer mit politischer Aktion verbinden, und das hatten wir uns auch hier für Jagel vorgenommen. Wenngleich das Konzert für 11 Uhr angekündigt war, wollten wir noch ein anderes Zeichen setzen.

SB: War es aus eurer Sicht ein erfolgreiches Zeichen?

MB: Aus unserer Sicht war es ein sehr erfolgreiches Zeichen. Es ist wichtig zu protestieren und auch Mahnwachen zu organisieren. Die DFG-VK ist hier vor Ort sehr aktiv, sie hat vor zwei Jahren begonnen, ist beharrlich dabei, und ich hoffe, daß sie das noch mit sehr viel Kraft weiterführen wird. Es ist aber auch möglich, mit so vielen Personen wie heute eine Blockadeaktion durchzuführen, bei der für eine gewisse Zeit überhaupt keine Fahrzeuge auf den Stützpunkt gelangen oder ihn verlassen können. Der Betrieb war bis zu Beginn des Konzerts um 11 Uhr tatsächlich gestört. Sie mußten immer wieder überlegen, wie sie die Soldatinnen und Soldaten überhaupt auf den Stützpunkt bekommen, und haben dann offensichtlich Schleusungspunkte für die Soldaten eingerichtet, die in Reisebusse gesetzt wurden. Die Polizei hat Musikerinnen und Musiker an einem Tor weggetragen und eine Gasse gebildet, durch die zwei, drei Reisebusse auf das Gelände des Stützpunkts fahren konnten. Daraufhin haben wir unsere Blockade sofort wieder aufgenommen und vor dem Tor weitermusiziert. Heute fliegen auch keine Tornados, ich weiß nicht, woran das liegt. Vielleicht ist es Respekt vor der Musik, vielleicht hat es auch genervt, und sie wußten nicht, was im Laufe des Tages noch alles passieren würde.

SB: Es ist ja eine recht überraschende Aktion, wenn Menschen mit klassischen Musikinstrumenten am Tor eines Fliegerhorsts der Luftwaffe stehen und es blockieren. Würdest du sagen, daß die Überraschung und die ungewöhnliche Art und Weise des Protests maßgeblich zu dessen Wirkung beitragen?

MB: Das hoffe ich sehr. Hier wie auch anderswo haben wir gute Erfahrungen damit gemacht. Wir treten ja mit unserer Musik grundsätzlich in Konzertkleidung auf und bringen dadurch eine gewisse Seriosität und Ernsthaftigkeit, aber auch Entschlossenheit mit. Die Polizeikräfte oder Ordnungskräfte, auf die wir dabei treffen, müssen uns dann auch mit Respekt begegnen. Es war heute nur einmal bei einem Wegtragen ein wenig rangelig, aber normalerweise verläuft das ganz gesittet. Wir haben auch teure Instrumente dabei, da kann man nicht einfach weggezerrt werden.

SB: Habt ihr bei früheren Aktionen häufiger Erfahrungen mit Räumungen gemacht?

MB: Das Netzwerk Lebenslaute gibt es schon seit 1986. Es gab schon viele Besetzungen und Blockaden und teilweise eben auch Räumungen. Manchmal konnten wir unsere Konzerte so zu Ende spielen, wie wir uns das vorgenommen hatten, und sind dann gegangen. Beispielsweise waren wir im Braunkohletagebau in Hambach, wo dann die großen Bagger, die die Erde aufreißen, stillgestanden haben. Wir haben direkt vor so einem riesigen Bagger unser Konzert gespielt. Als es dann spät wurde und zu regnen begann, sind wir aus eigener Entscheidung gegangen. Manchmal bestimmen wir das, manchmal werden wir geräumt.

SB: Wann seid ihr in der Hambacher Grube gewesen?

MB: Das war vor zwei Jahren im Zusammenhang des Klimacamps im Rheinischen Braunkohlerevier mit Ende Gelände, der großen Massenorganisation zivilen Ungehorsams, die wir sehr wichtig finden. Wir haben uns damals eine Woche danach einen Termin gesetzt, um zu zeigen, daß dieser Widerstand weitergeht. Wenn Hunderte und Tausende Menschen dort hingehen und diese Gruben besetzen, dann können wir das als Lebenslaute einige Tage später mit wenigen Personen auch noch einmal versuchen, um die Kontinuität des Widerstands zu zeigen.

SB: Marcus, vielen Dank für das Gespräch.


Impressionen vom Chor - Fotos: © 2017 by Schattenblick Impressionen vom Chor - Fotos: © 2017 by Schattenblick Impressionen vom Chor - Fotos: © 2017 by Schattenblick

Vielstimmig gegen den Krieg
Fotos: © 2017 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] http://www.lebenslaute.net

[2] Siehe dazu:
BERICHT/285: Gegen Krieg und Rüstung - vergeigt wie verjagelt ... (SB)
https://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0285.html


23. August 2017


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