Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REPORT


INTERVIEW/405: Newroz Hannover - gegen großen Widerstand ...    Dirk Wittenberg im Gespräch (SB)


Bei der diesjährigen Newroz-Feier in Hannover, die am 17. März auf dem Opernplatz stattfand, fiel Dirk Wittenberg von der Interventionistischen Linken die undankbare Aufgabe zu, als Versammlungsleiter die Auflagen der Polizei zu kommunizieren. Den Kurdinnen und Kurden wie auch allen anderen Menschen, die ihnen solidarisch zur Seite stehen, waren im Vorfeld der Demonstrationen und der Kundgebung behördlicherseits dicke Steine in den Weg gelegt worden, die es beiseite zu räumen galt. Auch nachdem dies gelungen war und die Zusammenkunft stattfinden konnte, endeten die Schikanen der Polizei nicht.

Hinter der Bühne beantwortete Dirk Wittenberg dem Schattenblick einige Fragen zu der Kontroverse mit der Versammlungsbehörde bei der Anmeldung der Newroz-Feier und zu seiner Funktion als Vermittler zwischen der Polizei und den KundgebungsteilnehmerInnen.


Mit Mikrophon auf der Bühne - Foto: © 2018 by Schattenblick

Ayten Kaplan (NAV-DEM) und Dirk Wittenberg
Foto: © 2018 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Im Vorfeld der heutigen Kundgebung und Feier zum Newroz-Fest kam es zu einer Kontroverse mit der Versammlungsbehörde, die in ein Wechselbad von Verbot und Genehmigung mündete. Könntest du als Versammlungsleiter berichten, wie das im einzelnen abgelaufen ist?

Dirk Wittenberg (DW): Ich gehöre der Interventionistischen Linken an und bin einer der Anmelder der Demonstration und Versammlungsleiter der Abschlußkundgebung sowie von einem der Demonstrationszüge. Das Ganze hat damit begonnen, daß NAV-DEM [1] im November das jährliche Newroz angemeldet hat. Im Dezember fand ein Kooperationsgespräch noch unter relativ erträglichen Umständen statt. Als einziger Streitpunkt stand damals die Frage der verbotenen Symbole und des Umgangs mit ihnen im Raum, deren Klärung erst einmal vertagt wurde. Anfang Februar ist die Sache jedoch völlig gekippt, als NAV-DEM vor einem zweiten Kooperationsgespräch einen sogenannten Anmeldungsbogen erhielt. Diesen Bogen bekommt man normalerweise, wenn die Versammlungsbehörde ein Verbot der Veranstaltung plant und den Betroffenen vorher anhören und die Gründe des Verbots erläutern muß. In dem Schreiben waren drei Punkte angeführt. Zum ersten, daß auf den Demonstrationen durch das Zeigen von Symbolen Propaganda für die PKK gemacht werde. Zum zweiten würden bei den Veranstaltung durch den Verkauf von Speisen, Getränken und sonstigen Dingen Gelder für die PKK gesammelt. Zum dritten würde durch die Reden auf der Bühne Propaganda für die PKK gemacht und für sie rekrutiert werden. Das waren sozusagen die Vorwürfe, zu denen NAV-DEM Stellung nehmen sollte. NAV-DEM hat gesehen, daß Newroz wahrscheinlich unter diesen Bedingungen verboten würde und sich dazu entschlossen, die Newroz-Feier selber abzumelden.

Daraufhin haben wir von der Interventionistischen Linken uns mit Tobias Pflüger von der Linkspartei und der Afrin-Solidaritätsplattform zusammengesetzt und beschlossen, Newroz wieder anzumelden. Wir gingen davon aus, daß wir eine breite Solidarität auf die Beine stellen könnten, die in der Lage wäre, die Veranstaltung durchzusetzen. Wir wollten uns gegen diese Kriminalisierung zur Wehr setzen. Das ist dann wie folgt abgelaufen: Wir haben angemeldet, und zwei Tage später hat man uns mitgeteilt, daß die Versammlungsbehörde beabsichtigt, auch unsere Veranstaltung zu verbieten, weil wir lediglich eine Ersatzveranstaltung für die Demonstration der NAV-DEM seien, die aus den drei bereits genannten Gründen verboten werde. Die Begründung war diesmal etwas ausführlicher gehalten, ging über mehrere Seiten und berief sich auf dubiose Verfassungsschutzquellen. Ich habe schon manch eine Verfügung der Polizei gesehen, und diese war juristisch gesehen relativ schlecht.

Wir haben gegen die Verbotsverfügung Widerspruch vor dem Verwaltungsgericht eingelegt und das Verfahren in Bausch und Bogen gewonnen. Die Entscheidung fiel so deutlich aus, daß die Polizei daraufhin nicht bereit war, das Risiko einzugehen, in die nächsthöhere Instanz zu gehen. Ein gleichlautendes Urteil vor dem Oberverwaltungsgericht hätte eine wesentlich gravierendere Präzedenzwirkung gehabt. Zwar war die Polizei weiterhin der Auffassung, daß die Veranstaltung verboten werden müsse, doch wirkte sich das nur in kleinen Schikanen am Rande aus. Sie hat es jedoch im Grunde aufgegeben, das Verbot durchzusetzen. Wir vermuten auch, daß es aus verschiedenen politischen Ecken Druck gegeben hat, von diesem Verbot abzulassen. Das hat dazu geführt, daß wir dieses großartige Fest auf die Beine gestellt haben und dies in der Innenstadt möglich ist und nicht draußen auf der Expo-Plaza, wenngleich mit den Einschränkungen, daß keine Speisen und Getränke verkauft werden dürfen. Aber gut, es ist dann halt eher eine Kampfdemonstration, was sie bei diesem Wetter allerdings ohnehin ist. Da ist es vielleicht besser, man steht vor der Bühne eng zusammen, als auf der windverfrorenen Expo-Plaza.

SB: Du hast zwischendurch zweimal auf der Bühne dazu aufgerufen, die verbotenen Symbole herunterzunehmen. Gab es weiteren Druck seitens der Polizei samt der Drohung, andernfalls die Kundgebung aufzulösen?

DW: Sie haben mir mit einem Strafverfahren gedroht, das ist sozusagen die Alternative, die ich dann hätte, wenn ich die Veranstaltung, wie sie sagen, nicht unter Kontrolle habe. Sie haben aber auch damit gedroht, weitere polizeiliche Mittel zur Anwendung zu bringen. Inwieweit das nur eine Drohung war und sie sich nicht trauen oder wirklich diesen Wahnsinn begehen würden, laß ich jetzt mal dahingestellt. Ich wollte dieses Risiko aber auch nicht eingehen. Am heutigen Tag hat es sich in einigen Situationen schon gezeigt, daß sie bereit sind, wegen eines Abdullah-Öcalan-T-Shirts selbst kleine Kinder anzugehen oder Festnahmen am Rande der Demonstration vorzunehmen und damit im Grunde größere Polizeieinsätze zu riskieren. Dazu sind sie bereit.

SB: Was war bei dem Demonstrationszug, der am Schützenplatz begonnen hatte, der Grund, ihn unterwegs zeitweise aufzuhalten? Waren das auch verbotene Symbole?

DW: Es waren zum einen verbotene Symbole wie Abdullah-Öcalan-Fahnen, zum anderen hatten sie diesmal eine neue Konstruktion im doppelten Sinne. Normalerweise heißt es ja jetzt in bestimmten Gegenden, daß die YPG- und YPJ-Fahnen nur dann verbotene Symbole sind, wenn sie PKK-Bezug haben, während sie angesichts des Kriegs in Afrin nicht verboten sind. Hier hieß es nun, sie seien grundsätzlich verboten, jetzt nur ausnahmsweise erlaubt und auch nur dann, wenn sie keinen PKK-Bezug haben. Wir haben natürlich gefragt, was das heißen soll. Es heißt demnach, wenn Leute Fahnen tragen und gleichzeitig PKK-Parolen rufen, dann bekommen diese Fahnen auf einmal einen PKK-Bezug und sind verboten, während sie es ansonsten nicht sind. Das ist sozusagen die krude und etwas seltsame Logik, die dahintersteckt.

SB: Wie hat sich diese Verschärfung des Demonstrationsrechts in jüngerer Zeit zugespitzt und in welchen größeren Zusammenhang würdest du sie stellen?

DW: Die gravierende Verschärfung im Zeitraum der letzten Jahre setzte im März 2017 mit dem Erlaß des Innenministeriums ein, der auch Symbole völlig legaler Organisationen wie des Studierendenverbands der KurdInnen und letztlich auch der YPG und YPJ kriminalisierte. Auch die Abdullah-Öcalan-Fahnen waren bis dahin erlaubt und wurden ebenfalls verboten. Es hat Ende Januar 2018 eine weitere Verschärfung gegeben, als ein erneuter Erlaß des Innenministeriums alle YPG- und YPJ-Symbole in das Verbot hineinnahm. Das liest sich schon in einem engen Zusammenhang mit den deutsch-türkischen Beziehungen. Den zeitlichen Zusammenhang kann man nicht leugnen und der inhaltliche Zusammenhang drängt sich einfach auf. Offenbar sind da Deals gelaufen, sei es, um Deniz Yücel freizubekommen, oder in einem wesentlich größeren Kontext: Eines ist auf jede Fall klar - egal wie gut oder schlecht die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Türkei sind, die Kriminalisierung der Kurden war immer Geschäftsgrundlage. Und weil das so ist, wurde nun, wo es darum geht, die Beziehungen zu verbessern, die Schraube der Kriminalisierung erst recht angezogen.

SB: Die inkriminierten Symbole müssen jeweils konkret genannt werden, damit das Verbot wirksam wird. Könnte es unter Umständen eine sinnvolle Strategie oder zumindest eine Verzögerungstaktik sein, ersatzweise andere Symbole mitzuführen?

DW: Es gibt Momente, in denen es Sinn machen kann, diese Symbole offensiv zu zeigen und dabei auch zu riskieren, daß eine Demonstration nicht am vorgesehen Zielort ankommt. Das war in Düsseldorf der Fall, wo dann die Kundgebung gewissermaßen im Kessel auf der Straße durchgeführt worden ist. Ich denke nur, wenn man das zwei- oder dreimal gemacht hat, nutzt es sich als Effekt ab und demoralisiert auf die Dauer, weil man nie ankommt. Deshalb war es uns wichtig, hier auf dem Opernplatz anzukommen und es nicht zu riskieren, daß die Demonstrationen unterwegs zerschlagen und gekesselt werden. Ich kann mir auch vorstellen, Ersatzsymbole wie die drei Farben mitzuführen. Wie die Erlasse jedoch zeigen, zieht die Gegenseite natürlich nach. Es geht also darum, Zeichen zu setzen, daß dieses Symbolverbot auf das PKK-Verbot zurückzuführen ist, das abgeschafft werden muß, und zum anderen immer wieder mit Nadelstichen und Kampagnen dagegenzuhalten, wo man auch tatsächlich diese Symbole zeigt.

SB: Müßte die deutsche Bevölkerung angesichts des Angriffs auf Afrin nicht allein schon aus humanitären Gründen Partei für die bedrohten Kurdinnen und Kurden ergreifen? Ist davon etwas zu spüren?

DW: Na ja, wenn die deutsche Bevölkerung Partei ergreift, kommt dabei selten etwas Gutes heraus. Aber die Meinungsumfragen deuten schon darauf hin, daß zumindest die Politik der Bundesregierung gegenüber Erdogan nicht goutiert wird, daß man das falsch findet. Ob diese Menschen aber tatsächlich Partei ergreifen, steht noch einmal auf einem ganz anderen Blatt. Ich denke, daß sich das Verhältnis der deutschen Linken zur kurdischen Bewegung weiterentwickelt hat und auf breitere Füße gestellt worden ist. Das konnte man heute zumindest an der Beteiligung auf der Bühne oder anhand des Medieninteresses sehen, das wir erlebt haben. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch eine Tendenz insbesondere von rechten Organisationen zu sagen, diese Moslems oder Kanacken sollen ihren Scheiß da unten ausmachen und uns in Ruhe lassen. Das ist eine Politik, die völlig leugnet, daß uns die YPG und YPJ den IS vom Hals geschafft haben und die Bundesrepublik natürlich Teil dieses Konfliktes ist. Das sind dann eben die Trumpschen Wahrnehmungsstörungen in deutscher Version, die sich da widerspiegeln.

SB: Dirk, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnote:

[1] NAV-DEM - Demokratisches Gesellschaftszentrum der Kurdinnen und Kurden in Deutschland


Berichte und Interviews zur Newroz-Feier in Hannover im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT

BERICHT/313: Newroz Hannover - Verteidigung Afrins ... (SB)
INTERVIEW/402: Newroz Hannover - immerhin wird hier noch Recht gesprochen ...    Herbert Schmalstieg im Gespräch (SB)
INTERVIEW/403: Newroz Hannover - BRD Anpassungskurs unzulässig ...    Bernd Riexinger im Gespräch (SB)

22. März 2018


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang