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INTERVIEW/444: Gleichstellung der Geschlechter - Berechtigungsstreben ...    Uwe Marlaine Mädger im Gespräch (SB)


Uwe Marlaine Mädger ist im Verein TransInterQueer (TrIQ) aktiv. Die 2006 in Berlin gegründete Initiative kämpft für die Emanzipation trans, inter und queer lebender Menschen und bietet dazu persönliche Beratungen für Menschen an, die Fragen zu ihrer Geschlechtsidentität haben, Hilfe bei rechtlichen und gesundheitlichen Problemen benötigen, sich mit psychosozialen Konflikten in Beziehung und Gesellschaft herumschlagen oder Unterstützung beim Erhalt von Arbeitslosengeld I und II, Sozialgeld, Prozeßkostenhilfe oder beim Gang zur Arbeitsvermittlung benötigen. Darüberhinaus greift die Initiative mit eigenen Stellungnahmen in legislative Prozesse ein, die Fragen geschlechtlicher Identität betreffen, wie zum Beispiel im Fall des Referentenentwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Geschlechtseintrags vom 8. Mai 2019 [1]. Zudem bietet TrIQ Publikationen an [2], die über die sozialen und gesellschaftlichen Bedingungen von Trans-, Inter- und Queer-Menschen aufklären und Empfehlungen zu einem solidarischen Umgang aussprechen, um die Hierarchien und Ausgrenzungspraktiken der heteronormativen Mehrheitsgesellschaft zu erkennen und zu überwinden.

Auf dem 10. Queer-Empfang der Fraktion Die Linke im Bundestag und der Abgeordnetenhausfraktion Die Linke in Berlin am 7. Juni im SchwuZ in Berlin-Neukölln [3] stellte Uwe Marlaine Mädger die Arbeit von TrIQ vor. Anschließend hatte der Schattenblick Gelegenheit, der unter anderem als Mediatorin und Tai Chi-Lehrerin tätigen Aktivistin einige Fragen zu stellen.


Mit Mikro auf der Bühne des SchwuZ - Foto: © 2019 by Schattenblick

Uwe Marlaine Mädger
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Marlaine, du hattest vorhin nicht nur gesagt, daß transsexuell oder intersexuell medizinische Begriffe sind, sondern du betrachtest Trans und Inter ganz generell als von medizinischen Interessen bestimmte Kategorien. Könntest du das noch einmal erläutern?

UMM: Das sind Begriffe, die als Bewertung aufgestellt wurden, um kenntlich zu machen, daß du weder Frau noch Mann, sondern Inter oder Trans bist. Diese Bewertung schlägt sich unter anderem darin nieder, daß du auf Kosten der Krankenkassen umoperiert werden kannst. Das ist die Fortführung der Logik, die in der Gesellschaft vorhanden ist. Nur dann, wenn du krank bist, wirst du medizinisch kostenlos behandelt. Das ist der Ausdruck dessen.

SB: Du persönlich hast nicht die Konsequenz einer hormonellen oder operativen Geschlechtsumwandlung gezogen. Könnte es nicht prinzipiell so sein, daß man die körperliche Festlegung der geschlechtlichen Selbstbestimmung nachordnet, also nicht unbedingt in die Physis eingreift, um sich im persönlich adäquaten Geschlecht zu befinden?

UMM: Ich würde sagen, das ist immer eine persönliche Entscheidung, welchen Weg du wählst. Ich kenne Menschen, die sind als Mann sehr depressiv gewesen. Das ist ja immer eine Art Selbstfindungsprozeß. Als sie merkten, woher das kommt und sich dann erst klarwurden, daß sie eigentlich Frau sind, haben sie die konsequente Umwandlung mit Operation und allem vorgenommen, und leben jetzt als Frau. Wenn du sie jetzt sehen würdest, kämst du nie auf den Gedanken, sie als depressiv zu bezeichnen.

Bei mir war das ein anderer Werdegang, da ich mit über 60 schon einer älteren Generation angehöre. Wir hatten damals gar nicht die Möglichkeit der Entfaltung. Und dieses Finden dessen, was bei mir ist, daß ich eigentlich Frau bin, fand ja schon im Alter von neun Jahren statt. Ich wußte mit neun, ich bin eigentlich nicht so richtig, ich gehöre eigentlich nicht dazu, und das haben die anderen auch gemerkt. Ich bin in der Grundschule schon vom Schulhof genommen worden, weil ich nur mit Mädchen gespielt hatte. Da hat die Gesellschaft schon darauf reagiert, wie ich bin. Es ist auch in Ordnung so, das hat mir nicht geschadet, aber mein Werdegang hat natürlich auch viel damit zu tun, was in der Gesellschaft möglich ist.

Die gesellschaftliche Öffnung fand vor 25 Jahren statt. Erst da war es überhaupt möglich, nach außen zu gehen und sich selbstbestimmt zu artikulieren. Da gab es Pionierinnen, die ihre Identität als Frau durchgefochten haben. Das mußte erst in einem Fall vor dem Europäischen Gerichtshof eingeklagt werden, um die Umwandlung zu ermöglichen. Das ist erst 25 Jahre her. Viele denken, daß wir schon so fortschrittlich sind, aber das stimmt nicht, das ist erst seit kurzem so. Daß ich so auftrete, wie ich bin, und mich darin frei fühle, ist noch nicht lange so, nicht nur, was meine Persönlichkeit betrifft, sondern auch was den äußeren Rahmen angeht. Ich fühle mich in meinem Auftreten und allem sicher. Und wenn ich angepöbelt werden sollte, sind genug Leute da, die mich beschützen würden. Es gibt nicht nur Männer und Frauen, das ist den Menschen erst seit 25 Jahren bewußt.

SB: Woran liegt es deiner Ansicht nach, daß diese Entwicklung so viel später stattfand als die Entkriminalisierung des gegen jegliche Homosexualität gerichteten Paragraphen 175, die in der BRD 1973 auf den Weg gebracht, allerdings erst 1994 vollendet wurde? In den 1970er Jahren waren meiner Erinnerung nach Begriffe wie Trans und Inter nicht geläufig, es gab höchstens Menschen, die als Transvestiten bezeichnet wurden.

UMM: Das ist eine andere Kategorie, die vor allem künstlerische Darbietungen betrifft. In der Schwulenszene hat eigentlich jeder Schwule irgendwann einmal das Gefühl, als Schwuler eher Frau zu sein, das habe ich zumindest gehört. Wenn du jetzt das Bedürfnis hast, das stärker ausleben zu wollen, kannst du das als Transvestit darstellen, auch um Aufmerksamkeit in der Schwulenszene zu erregen. Da bin ich ein völlig anderer Mensch. Ich bin in diesem Sinne lesbisch. Ich bin zwar Frau, liebe aber Frauen. Das ist wiederum, wie bei Georgette Dee zum Beispiel, eine andere Szene. Sie ist viel seltener nach außen sichtbar, ganz anders als Transvestiten in ihren Shows. Und ob die Transvestiten sich wirklich als Frau fühlen oder sich umoperieren lassen und und und, das sind wirklich spezielle, ganz persönliche Themen.

SB: Um so mehr, wenn man einmal fundamental fragt, was den Staat überhaupt daran interessieren kann, Menschen in Kategorien geschlechtlicher Art einzuteilen. Er scheint dies nicht nur aus kulturell tradierten Gründen zu tun, sondern verfolgt meiner Ansicht nach damit bestimmte Zwecke.

UMM: Richtig. Er versucht einfach, den konservativen Bereich der Geschlechterteilung aufrechtzuhalten und die Familie hochzuhalten. Wir haben es mit einem Konservatismus zu tun, der wirklich von der Hälfte der Menschen gelebt wird. Die wurden gewählt, sind im Moment an der Macht und versuchen, an der Macht zu bleiben. Das sind ja nicht nur die sogenannten Konservativen, sondern ich rechne alle etablierten Parteien dazu, die diese grundsätzliche Aufstellung haben: So ist das richtig, und das andere gibt es nicht. Daß es überhaupt schwule oder lesbische Pärchen gibt, die Kinder adoptieren dürfen, ist eine Errungenschaft der letzten Jahre. Und das ist etwas Revolutionäres, wenn du so willst. Daß es diese andere Seite überhaupt gibt und sie akzeptiert wird, okay, da sind wir jetzt schon bei 50 Prozent der Menschen, die hier leben. Aber sie sind noch nicht wirklich integriert, das ist noch etwas ganz anderes. Wenn du zum Beispiel Thailand nimmst, da hat die Transsexualität eine ganz andere Geschichte. Sie steht eher im Ruf, etwas Mystisches, Heiliges zu sein, und den Transsexuellen werden besondere Aufgaben in der Gesellschaft zugewiesen. Sie sind gefragt, weil sie besondere Kräfte haben. Ich bin ja auch Mediatorin, und es ist eine geniale Gabe, als Mediatorin beides zu sein.

Ich vermag sowohl mit Frauen als auch mit Männern mitzufühlen. Ich bin sozialisiert als Mann, aber mitfühlend als Frau. In der Arbeit mit Paaren schlägt mein Herz einfach für beide gleichwertig. Wenn du das wirklich schaffst, ist das in der Mediation genial. Das setzt allerdings auch ein enormes Training voraus. Ich habe die Disposition mitgebracht. Dies könnte gesellschaftlich anerkannt etwas Besonderes sein, es wird aber nicht wertgeschätzt. Ich denke, die Chance ist für uns immer noch vorhanden, das wertzuschätzen.

SB: Wie gehst du damit um, daß wir in einer patriarchalen Gesellschaft leben, was ja nicht unbedingt an das spezifische biologische Geschlecht gebunden sein muß, sondern auch viel mit Verhaltensweisen und Sozialisation zu tun hat?

UMM: Ich muß mich einfach auf die Seite der Feministinnen begeben, um wirklich dagegen wirken zu können. Ich muß politisch so agieren, weil die Macht einfach bei den Männern liegt, nach wie vor. Deswegen ist es ganz wichtig, die andere Seite stärker zu betonen. Die Linken sind leider eine Männerpartei, nicht nur im äußeren, guck dir an, wie viele Männer auf dieser Veranstaltung sind und wie viele Frauen. Es ist einfach eine Männerpartei, und sie versuchen, Macht zu demonstrieren. Da muß ich einfach sagen, okay, es ist in dieser Partei so, also kann ich die nicht wählen. Tut mir leid, ich bin zwar hier eingeladen, aber ich kann Die Linke nicht wählen. Sie ist einfach ein zu starker Ausdruck bestehender Machtstrukturen. Deswegen gehe ich auf die feministische Seite und unterstütze dieses Bestreben. Nicht als Bekämpfung von Männern, das ist völliger Quatsch, das ist antiquiert. Es geht darum, wirklich Bewußtsein für Gleichwertigkeit, für Gleichberechtigung zu schaffen. Diese Forderung gilt nach wie vor, denn wo auch immer du hinkommst, bestehen die ungleichen Geschlechterverhältnisse weiter.

SB: Du erwähntest bereits, daß du über 60 Jahre alt bist. Dann hast die sicherlich noch die Zeit mitbekommen, als Schwulsein mindestens unter jüngeren Menschen häufig mit Linkssein gleichgesetzt wurde. Wo sind all die schwulen Linken oder linken Schwulen geblieben? Das ist heute auch deshalb die Frage, weil der Rollback der homophoben Rechten [4] in vollem Gange ist.

UMM: Ich kenne mich nur ganz wenig in der Schwulenszene aus. Ich habe 27 Jahre in Bremen gelebt, dort lebt ein schwuler ehemaliger Lehrer. Er ist ein Urkommunist, der den Kommunismus wirklich lebt. Es gibt solche Menschen, auch wenn du sie nicht ohne weiteres erkennen kannst. Er ist kein besonderer Kämpfertyp, aber er ist sehr präsent, und wenn du mit ihm diskutierst, tritt eine große Kampfkraft hervor. Er stammt aus dieser alten kommunistischen Generation, die das wirklich gelebt hat, und ich habe alle Hochachtung vor ihm. Ich betrachte mich eher als Anarchistin, deswegen bin ich eigentlich in keiner dieser Parteien zu Hause.

SB: Du vertrittst in dieser Veranstaltung heute den Verein TransInterQueer (TrIQ). Welche Ziele verfolgt ihr politisch? Geht es im wesentlichen um Gleichstellung und gesellschaftliche Anerkennung, oder geht es auch darüber hinaus?

UMM: Es geht grundsätzlich um Gleichberechtigung und darüberhinaus nicht nur um Deutsche, sondern erst recht um diejenigen, die aus anderen Ländern hierherkommen. Wir haben stark daran mitgewirkt, daß in Berlin Aufenthaltsorte für queere Leute existieren. Uns ging es auch sehr darum klarzustellen, daß flüchtende und migrantische Trans- und Intermenschen ein ganz spezieller Fall sind. So ist wichtig, ihnen die Chance zu geben, nicht unter ihren moslemischen Brüdern sein zu müssen, die das überhaupt nicht verstehen, sondern richtig bekämpfen.

Das ist ein Beispiel für eine politische Arbeit, die wir geleistet haben, als hier viele Flüchtlinge ankamen, und die ich sehr gut finde. Wir verstehen uns eigentlich als stets mit Tatkraft im Moment agierend. Da kommt ein Gesetz, an dem wir mitwirken und Einfluß nehmen wollen. Diese Trennung von Trans und Inter zum Beispiel - nein. Das ist Quatsch, da gibt es große Schnittmengen. Das ist so ein Unsinn, der in dieser Gesellschaft drinsteckt. Deswegen heißt die Initiative TransInterQueer. Wir verstehen uns, wie die Queer-Bewegung, als Teil dieser Weder-Mann-noch-Frau-Bewegung, deswegen ist der Name des Vereins auch sehr wichtig.

SB: Meinst du, daß queer [5] unter allen schwierigen Begriffen vielleicht der geeignetste ist?

UMM: Der leichteste vor allen Dingen, weil er keine Wertung enthält. Okay, wenn ich queer bin, gehöre ich eben zu allen dazu, dann bin ich Mensch und habe alle Offenheit. Dann muß ich nicht Männer- oder Frauenschemen bedienen oder gesellschaftliche Kriterien dafür, wie eine Familie zu funktionieren hat, sondern ich bin einfach queer, fertig, Punkt. Deswegen finde ich den Begriff eigentlich am allerbesten. Queer Nation ist ein interessanter Verein. Der trägt die Nase ein bißchen hoch, aber ist ja egal, es ist ein guter Ansatz zu sagen, wir wollen eine queere Nation werden, warum nicht.

SB: Marlaine, vielen Dank für das Gespräch.


Gloria Viagra, Uwe Marlaine Mädger, Doris Achelwilm, Sigrid Grajek auf der Bühne des SchwuZ- Foto: © 2019 by Schattenblick

Mit TransInterQueer (TrIQ) einengende Geschlechterverhältnisse überwinden
Foto: © 2019 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] http://www.transinterqueer.org/wp-content/uploads/TrIQ-Stellungnahme-Referentenentwurf-v.-08_05_2019.pdf

[2] http://www.transinterqueer.org/unsere-publikationen/

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0339.html

[4]http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/sele1036.html

[5] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/herr1836.html


19. Juli 2019


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