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INTERVIEW/467: Die Linke - Demokratieverheißung und Parteienlogik ...    Katharina Dahme im Gespräch (SB)


Katharina Dahme ist langjähriges Mitglied in der Partei Die Linke und aktiv im Landesverband Berlin. Sie gehört zum Kreis derjenigen Parteimitglieder, die die Gründung der Bewegungslinken initiiert haben, und hat in den vergangenen zwei Jahren im übergangsweise eingerichteten Koordinierungskreis mitgearbeitet. Am Rande der Gründungsversammlung, die am 14. und 15. Dezember 2019 in Berlin stattfand, beantwortete sie dem Schattenblick einige Fragen zu dieser neuen Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) innerhalb der Partei Die Linke.


Vor Transparent bei der Gründungsversammlung der Bewegungslinken - Foto: © 2019 by Schattenblick

Katharina Dahme
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Katharina, müßte Die Linke nicht stets eine Partei in Bewegung sein? Warum also Bewegungslinke?

Katharina Dahme (KD): Zum einen glaube ich, daß nur Teile der Partei für sich selber in Anspruch nehmen, Partei in Bewegung zu sein. Daß die Partei auch Partei in Bewegung sein möchte, wie auch das Motto eines der letzten Parteitage besagte, ist keine Selbstverständlichkeit und schon gar nicht gelebte Praxis vor Ort. Das ist sehr unterschiedlich in den Kreisverbänden. Wir wollen deutlich machen, daß eine Linke, die eine starke Bewegungsorientierung hat, eine zukunftsfähige Linke ist. Wir wollen uns breiter aufstellen und mit mehr Kreisverbänden in der Partei mit einem solchen Anspruch vor Ort mit der Bewegung zusammenarbeiten.

SB: Wie ist das Verhältnis zu sozialen Bewegungen? Gibt es eine spezielle Orientierung darauf, diese Verbindung herzustellen?

KD: Ja, auf jeden Fall. Wir sind der Meinung, daß linke Politik gerade auch in Parlamenten davon lebt, daß gesellschaftlich Druck gemacht wird, und dafür sind soziale Bewegungen unsere Hauptbündnispartner, von den Gewerkschaften bis hin aktuell zu Fridays for Future. Aber auch da ist die Frage, was das für die Arbeit der Linken bedeutet. Viele Linke haben ein instrumentelles Verhältnis zu sozialen Bewegungen und glauben, wenn man dort mit einer Fahne hingeht, bewirkt das, daß man als Partei gewählt wird. Wir erheben eher den Anspruch, als Partei so etwas wie eine dienende Rolle gegenüber Bewegungen einzunehmen, also auch Ressourcen bereitzustellen, die uns als Partei zur Verfügung stehen. Damit soll zum einen der Parteiaufbau unterstützt werden, es geht aber auch darum, sich für soziale Bewegungen einzusetzen. Wir begreifen uns als Partei eher als organischer Akteur in Bewegung, als zu sagen, man geht zu den Bewegungen hin, als wären wir nicht selber Teil von ihnen. Es geht darum, sich selbst als Akteur zu begreifen, der Bewegung mit initiiert, aufbaut und unterstützt.

SB: Der auf der Energiekonferenz 2010 der Linkspartei in Hamburg [1] gemachte Auftakt, in die jetzt so wichtige Klimathematik vorzustoßen, ist praktisch verebbt. Unter anderem auch aufgrund des Konfliktes "Kohlekumpel gegen Ökoaktivisten" der, wie sich mehr und mehr herausstellt, kein wirklicher Konflikt ist. Wo sollte sich Die Linke bei diesem Thema verorten auch vor dem Hintergrund dessen, daß die Grünen jetzt so etwas wie einen grünen Kapitalismus praktizieren?

KD: Erst einmal glaube ich, daß diese Trennung, die teilweise auch in der Linken zwischen ArbeiterInnenklasse und Klimabewegungen aufgemacht wird, so nicht ganz stimmt. Viele Leute, und gerade diejenigen, die in der Automobilindustrie beschäftigt sind, wissen um die Endlichkeit ihrer Berufsperspektive. Daß da eine Konversion, ein radikaler Umbau stattfindet, ist ihnen auch bewußt. Die Frage ist eher: Wie kann man ihnen die Angst davor nehmen, nachher auf der Straße zu sitzen? Insbesondere gilt es, gleichwertige Arbeitsverhältnisse für diejenigen, die einen sozialen Abstieg befürchten, zu schaffen, wo sie auch sinnvolle Arbeit verrichten, mit der sie einen Beitrag zum Klimaschutz leisten können. Allein zu sagen, du kriegt irgendeinen anderen Job, der aber vielleicht nicht die gesellschaftliche Anerkennung hat, reicht nicht. Man muß schon gleichwertige Arbeit schaffen, die aber möglichst sinnvoller ist als der bisherige Job.

Ich glaube, es gibt durchaus ein ausgeprägtes Interesse bei den Beschäftigten, daß man zukunftsfähige, moderne Arbeit schafft. Deswegen scheint mir diese Trennung erst einmal falsch zu sein. Statt dessen muß man selber ganz praktisch einen Zusammenhang herstellen im Sinne dessen, was wir als verbindende Klassenpolitik begreifen. Wir haben darüber die letzten zwei Jahre in der Partei viel theoretisch diskutiert, nun fordern viele praktische Beispiele ein oder aber behaupten, daß dies in der Praxis nicht funktionieren würde. Ich glaube, daß das nicht stimmt.

Ein bißchen verschlafen haben wir bei der Kohleproblematik, die Beschäftigten der Kohleindustrie mit den Kohlegegnern an einem Tisch zusammenzubringen. Da kann man schon das Gefühl haben, daß es da eine starke Radikalisierung und Mobilisierung aneinander vorbei gegeben hat. Die Linke müßte eigentlich die Partei sein, die versucht, diese verschiedenen Gruppen zusammenzuführen und an einen Tisch zu setzen. Da haben wir Nachholbedarf, vor allem in Hinsicht auf die möglichen Umbrüche in der Automobilindustrie, die uns erwarten, und auf den Wunsch nach einer Verkehrswende. Es ist durchaus noch möglich zu organisieren, die Gewerkschaften und Beschäftigten der Automobilindustrie auf einer Seite gemeinsam mit denjenigen, die für mehr Klimaschutz protestieren, an einen Tisch zu setzen und gemeinsam zu überlegen, wie mögliche Umbauprozesse realisiert werden können, ohne daß die Beschäftigten abgehängt werden und einen sozialen Abstieg fürchten müssen. Auf der anderen Seite sollte aber auch klar sein, daß man nicht an veralteten Technologien festhält oder lediglich mittelprächtige Technologien wie E-Autos neu auf den Markt bringt, die letztlich nur eine Weiterführung des motorisierten Individualverkehrs sind, anstatt Mobilitätskonzepte zu entwickeln, die die Städte für alle lebenswerter machen.

SB: Wäre es nicht erforderlich, daß Die Linke offensiver Kritik an der Politik der Grünen übt, die die sozialökologische Idee für sich vereinnahmen, um im Endeffekt konforme und herrschaftsförmige Politik zu machen? Müßte Die Linke den Grünen gegenüber, denen es sehr leicht gemacht wird, anderen Parteien das Wasser abzugraben, nicht mehr Kante zeigen?

KD: Die Linke hat ja in der Regel schon eine radikale Programmatik, die sie aber nicht nach außen so vertritt, daß sie wahrnehmbar ist. Viele im Klimaschutzbereich aktive Menschen wissen durchaus, daß Die Linke ein weitergehendes Programm hat als die Grünen und auch über eine höhere Glaubwürdigkeit in der Frage verfügt: Ist man bereit, sich am Ende auch mit Konzernen anzulegen, oder ist man das nicht? Viele Leute in den Umweltbewegungen wissen, daß sie sich auf die Grünen möglicherweise nicht verlassen können, und spüren, daß eher eine schwarzgrüne Koalition in der Luft liegt, als daß sie System Change, not Climate Change in die Realität umsetzen werden, wozu man sich auch mit der Automobil-Lobby anlegen muß. Die Linke muß die Grünen nicht angreifen, um sich von ihnen abzugrenzen, was niemanden überraschen würde, da sich Parteien stets angreifen. Die Linke muß einfach selbstbewußt ihre Programmatik nach vorne stellen und vertreten, das wäre schon ein Riesenvorsprung, und darf sich nicht darauf zurückziehen, daß wir ja mit grünen Themen nicht in Verbindung gebracht würden. Ich glaube, in der Klimabewegung wird automatisch eine Enttäuschung über die Grünen um sich greifen, und dann ist die Frage: Hat man die Zwischenzeit genutzt, sich selber mit diesen Themen, bei denen Die Linke eigentlich gut aufgestellt ist, programmatisch zu profilieren?

SB: Eine andere große soziale Bewegung, die in den letzten zwei Jahren weltweit ungeheuren Auftrieb gehabt hat, ist der Feminismus. Wie relevant ist diese Entwicklung für die Bewegungslinke?

KD: Sie ist sehr relevant, und ich weiß auch, daß es einen Änderungsantrag zur Gründungserklärung gibt, der noch einmal ein bißchen stärker betont, sich auch auf den Frauenstreik zu beziehen. In bestimmten Bereichen sind wir nicht unbedingt Vorreiter, aber wir erkennen das Problem und haben selber noch viel zu tun, auch was die Repräsentanz von Frauen in der Linken angeht. Ganz bewußt haben wir nach dem Ratschlag zum zweiten Mal in Folge auch hier wieder ein rein weibliches Auftaktpodium besetzt, nicht weil es nicht auch Männer in unseren Reihen gibt, die gute Inputs halten, aber um zu signalisieren, daß es durchaus möglich ist, wo andere so tun, als gäbe es nicht genug Frauen, die aktiv sind, bei uns bewußt die Frauen nach vorne zu bringen. Das ist uns schon ein großes Anliegen, auch wenn man in Diskussionen merkt, daß es dort noch einen männlichen Überhang gibt, zumindest Frauen weniger repräsentiert sind oder sich weniger einbringen.

Insofern ist es schon ein Anliegen, genauso wie wir auch an anderen Stellen einen hehren Anspruch haben, diesen aber selber noch nicht in die Tat umsetzen können, sei es bei der Repräsentanz von Migrantinnen und Migranten in der eigenen Partei oder von Leuten, die keinen akademischen Hintergrund haben. Wir reden ganz viel über die ArbeiterInnenklasse und daß sie im Mittelpunkt unserer Politik stehen muß. Sicherlich hat es auch mit gesellschaftlicher Entwicklung zu tun, daß mittlerweile jeder Zweite einen akademischen Abschluß macht, dieses Verhältnis hat sich verschoben. Immer mehr Menschen gehen mit einem akademischen Abschluß aus der Ausbildung. Aber nichtsdestotrotz merkt man schon, daß bei uns in der Partei Die Linke, und das betrifft auch die Bewegungslinke, Menschen mit einem proletarischen Hintergrund deutlich unterrepräsentiert sind. Das ist ein wichtiges Thema.

So würde ich auch die Frauenfrage beantworten, ohne daß wir selber schon das Patentrezept haben. So, wie wir auch in anderen Fällen das Best Practice-Beispiel bekanntmachen und darstellen wollen, wo eine bestimmte politische Arbeitweise vor Ort schon besser funktioniert, ist es uns genauso ein Anliegen, dort, wo es eine höhere Beteiligung von Frauen in Kreisverbänden gibt, genauer hinzuschauen und herauszufinden, woran es liegt, um dann vielleicht über gute Beispiele zu sprechen, die andere nachmachen können.

SB: Katharina, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnote:


[1] Berichte und Interviews zur Energiekonferenz Die Linke im September 2010 in Hamburg siehe unter dem kategorischen Titel "Energiekonferenz":
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT


Berichte und Interviews zur Gründungsversammlung der Bewegungslinken im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT

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