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ALTER/172: Alt und unsichtbar? (welt der frau)


welt der frau 3/2009 - Die österreichische Frauenzeitschrift

Alt und unsichtbar?

Von Eleonore Bayer


Die Wiener Soziologin Elisabeth Hellmich deckt als Wissenschaftlerin die mehrfache Diskriminierung von alten Frauen auf. Ihre Forschungsergebnisse gehen ihr unter die Haut, denn sie ist mit 78 Jahren selbst eine Betroffene.


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Mitten auf einer gefährlichen Kreuzung steht eine alte Frau. Von allen Seiten braust der Verkehr heran. Die Frau ist ihm hilflos ausgesetzt, hat eigentlich keine Chance, einem Zusammenstoß zu entkommen, denn da gibt es noch ein Problem: Sie ist unsichtbar.

Mit diesem Bild der gefährlichen Kreuzung erklärt Dr.in Elisabeth Hellmich die Mehrfach-Diskriminierung von alten Frauen und weckt die Aufmerksamkeit ihrer ZuhörerInnen. Diese staunen nicht nur über diese Szene, sondern auch über die 78-jährige Vortragende. Sie hat 2006 ihr in der Pension begonnenes Soziologiestudium mit einer Dissertation über die Unsichtbarkeit alter Frauen in der Gegenwartsgesellschaft abgeschlossen. Daraus entstand das Buch "Forever Young?" (Immer jung?), das nun in der zweiten Auflage vorliegt.


Werbung löst wissenschaftliche Untersuchung aus

Aus der eigenen Betroffenheit heraus hatte Elisabeth Hellmich dieses Thema aufgegriffen. Initialzündung gab eine Pharmawerbung in einer Apotheke. In einem Folder war das Bild einer weißhaarigen, gepflegten, gut geschminkten Frau. Ihr Alter wurde mit 45 Jahren angegeben, doch wirkte sie älter. Darüber stand: Hat sie einen Liebhaber oder nimmt sie ... Daneben das Bild eines ebenfalls weißhaarigen, braun gebrannten, lachenden, angeblich 57-jährigen Mannes mit dem Text: War er auf Kur oder nimmt er ... "Die Zusammenstellung dieser beiden Bilder hat bei mir einen Schock ausgelöst und dann eine tiefe Empörung", erinnert sich die Soziologin. "Seit damals habe ich meine Aufmerksamkeit und meinen Sammeltrieb auf Bilder alter Frauen in den Medien gerichtet. Ich habe geschaut: Wie werden alte Frauen gezeigt? Aber vor allem auch: Wie werden sie nicht gezeigt? Das hat dann zu meinem Forschungsthema geführt."

Hellmich stellte fest, dass alte Frauen, obwohl ihr Anteil in der Bevölkerung immer größer wird, in den Medien selten vorkommen. In der Werbung werden bloß Klischees, wie Großmutter, Pflegefall, skurrile, unbeholfene alte Frauen oder flotte Damen im Cabrio, dargestellt. Gezeigt werden vor allem die "neuen Alten" - flott, sportlich, konsumstark -, die alles tun, um nicht alt auszusehen. Von der Mehrzahl, die da nicht mithalten kann oder nicht diesem Trend entsprechen will, ist nicht die Rede. Sie bleibt unsichtbar. "Hinter diesen Vereinfachungen, dieser Einfalt verschwindet die Vielfalt von Lebenssituationen, von Lebensentwürfen gerade auch alter Frauen."


Alt wird "Pfui-Wort"

Die Soziologin kritisiert die Verdrängung der Bezeichnung "alt", die zum "Pfui-Wort" wurde. Da wird von den Senioren gesprochen, aber die Seniorinnen werden nicht erwähnt. Elisabeth Hellmich lehnt auch die neue Vorliebe, von Begriffen wie 50+- oder 60+-Generation zu reden, entschieden ab. "Das ist ein Marketingbegriff, der Alter verschleiern und vertuschen will."

Frauen haben große Hemmungen, sich als alt zu bezeichnen. Wenn sie es trotzdem tun, werde oft sofort von den anderen beteuert, dass dies doch nicht stimme. "Ich bekomme dabei das Gefühl, dass die Leute mit dem Alter gar nichts zu tun haben, nicht einmal anstreifen wollen." Vielleicht liege das auch am Mangel an Vorbildern und positiven Schilderungen des Alters.


Sexismus und Altersfeindlichkeit verstärken einander

Die Wissenschaftlerin verweist auch auf den großen Unterschied, ob Menschen als Mann oder als Frau alt werden. Die Gesellschaft sei noch immer auf den Mann hin ausgerichtet.

Frauen haben im Alter oft kein existenzsicherndes eigenes Einkommen, da die Pension infolge schlechter bezahlter oder geringer Erwerbstätigkeit sehr niedrig ist bzw. es überhaupt keinen Anspruch auf eine eigene Pension gibt. "Armut führt zu Rückzug, zu Scham, zu Unsichtbarkeit."

Die Diskriminierung aufgrund tradierter Rollenbilder hat die Autorin selbst erlebt. Sie konnte nicht studieren, war 16 Jahre lang Hausfrau, ehe sie aus finanziellen Gründen erwerbstätig wurde. Nach dem Tod ihres Mannes absolvierte sie mit 51 Jahren eine Schulung zur Erwachsenenbildnerin, die sie vor allem nützte, um Frauen Literatur schmackhaft zu machen.


Feminismus versagt

Erst als Witwe und im Laufe ihres Studiums wurde die Mutter von drei Kindern und achtfache Großmutter zur Feministin. Den Anstoß gab die Auseinandersetzung mit feministischer Theologie. Deshalb hat sie in ihrer Untersuchung auch feministische Zeitschriften kritisch unter die Lupe genommen und Interviews auch mit deklarierten Feministinnen gemacht. Doch auch in diesem Feld ist die alte Frau kein Thema.

So plädiert Elisabeth Hellmich für mehr feministische Forschung über Frauen und Alter und für einen neuen Geschlechter- und Generationenvertrag, der eine partnerschaftliche Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen Mann und Frau vorsieht.

Die Unsichtbarkeit in der Gesellschaft überwinden

Von der Politik fordert Hellmich Maßnahmen, "die zu einer gleichberechtigten Teilhabe und (Re-) Präsentation von Frauen und alten Menschen auf allen gesellschaftlichen Ebenen, vor allem auch in der Gesetzgebung führen sollten".

Für sich und alle alten Frauen wünscht sie sich "Solidarität von allen Frauen, Respekt, Zuneigung, eingeladen zu werden auch ohne Partner, eine Tätigkeit, die mich freut, finanzielle Absicherung und Unterstützung, wenn ich sie brauche".

Es sei nicht einfach, sich als alte Frau nicht selbst unsichtbar zu machen. "Ich muss mit mir versöhnt sein, um selbstbewusst aufzutreten. Ich darf nicht erst im Alter so gut wie möglich für mich selbst sorgen und nicht darauf warten, dass andere meine Bedürfnisse erraten. Ich darf meine Lebensberechtigung nicht davon ableiten, dass ich für andere da bin. Ich muss Grenzen setzen - auch mir selber. Dann kann ich hoffen, dass ich es zu so etwas wie Würde und Gelassenheit bringe."


Dr.in Elisabeth Hellmich:
Als Kind einer österreichischen Familie wurde Hellmich 1930 in Hamburg geboren. Mit acht Jahren kam sie nach Österreich, lebte in Mödling, Gmunden und Salzburg. Ihre Heirat im Jahr 1956 führte sie nach Wien, wo sie zwei Töchter und einen Sohn bekam. Nach der Pensionierung als Sekretärin am Institut für Physik an der Universität Wien inskribierte sie vorerst Ernährungswissenschaften, wechselte dann aber bald in das Soziologiestudium und betrieb Frauenforschung. 2002 legte sie die Diplomprüfung ab, 2006 promovierte sie. Seit Jahren engagiert sich Elisabeth Hellmich in feministischen, kirchlichen und sozialpolitischen Gruppen. Sie ist Gründungsmitglied im sozial-integrativen Verein "Gemeinschaft B.R.O.T.", in dessen Wohnhaus sie in Wien lebt.


Tipp:
Elisabeth Hellmich: "Forever Young?"
Die Unsichtbarkeit alter Frauen in der Gegenwartsgesellschaft
Milena Verlag, 165 Seiten, Euro 17,90


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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
Ausgabe 3/2009, Seite
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
Herausgeberin: Katholische Frauenbewegung Österreichs
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Die "welt der frau" erscheint monatlich.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. April 2009