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ALTER/194: Älter werden im Quartier (impulse - Uni Bremen)


Universität Bremen - impulse aus der Forschung Nr. 1/2010

Älter werden im Quartier

Bremens Antwort auf den demografischen Wandel

Von Juliane Nachtmann und Stefan Görres


Der demografische Wandel gilt als eine der größten Herausforderungen in den westlichen Gesellschaften. Erst in Umrissen ist derzeit abzusehen, welche politischen, sozialen und ökonomischen Aufgaben alternde Gesellschaften bestehen müssen. Längst hat sich das höhere Lebensalter als eine eigenständige Phase herausgebildet, mit einer Vielfalt individueller Lebensentwürfe und Lebensstile. Das Bremer Projekt "Zuhause im Quartier" will alten Menschen zu einem selbstbestimmten Leben in den eigenen vier Wänden verhelfen. Das Institut für Public Health und Pflegeforschung (IPP) der Universität Bremen analysiert den Erfolg des Projekts.


Ein langes, selbstbestimmtes und unabhängiges Leben im vertrauten Wohnumfeld besitzt in unserer Gesellschaft höchsten Wert. Dabei ist das Zusammenleben mehrerer Generationen unter einem Dach, die sich im Alltag unterstützen, immer seltener geworden. Viele ältere Menschen - mehrheitlich Frauen - leben heute alleine und wollen doch ihre zentralen Wünsche verwirklicht sehen.

Dank einer Vielzahl von Hilfsmitteln und Dienstleistungen, die vom Notruftelefon über den Einkaufsservice bis hin zum ambulanten Pflegedienst reichen, können ältere Menschen gegenwärtig auch bei abnehmender Selbständigkeit gut versorgt und lange in ihrer gewohnten Umgebung leben. Oft aber entsprechen die bestehenden Angebote nicht dem individuellen Bedarf. Noch dazu sind sie wenig bekannt oder unübersichtlich wie umfangreich. Diese Lücke kann durch die Einrichtung einer koordinierten Servicestelle gefüllt werden.

Hier setzt das Projekt "Zuhause im Quartier" an, in dessen Zentrum die Vernetzung zahlreicher Akteure in einem Wohnquartier steht. Der Bremer Pflegedienst und der mobile Sozial- und Pflegedienst vacances entwickelten zusammen mit Bremens größtem Wohnungsunternehmen GEWOBA für dessen Mieterinnen und Mieter ein zusätzliches Serviceangebot. Im Mittelpunkt steht die Einrichtung einer kundenorientierten Koordinierungsstelle, in der die Wünsche der Mieter mit kooperierenden Dienstleistern im Quartier aufeinander abgestimmt werden.


Service über die Versorgung hinaus

Um bereits bei Einführung der Koordinierungsstelle die Vorstellungen älterer Mieter im Quartier berücksichtigen zu können, führte das IPP im Sommer 2009 in zwei Bremer Stadtteilen eine Bedarfserhebung durch. Die Wünsche der rund 100 befragten Rentner gingen über die bloße medizinische und pflegerische Versorgung hinaus und eine deutliche Nachfrage nach weiteren Dienstleistungen auch aus anderen Bereichen des alltäglichen Lebens zeichnete sich ab. Für den Service sind die Mieter auch bereit, anfallende Kosten selbst zu übernehmen.

Seit dem 5. März 2010 werden nun in einer zentralen Koordinierungsstelle die Anfragen älterer Menschen aus den Stadtteilen Huchting und Gartenstadt Vahr aufgenommen. Ein Berater hält in der Zentrale alle wichtigen Informationen und Anfragen der Bewohner fest und führt sie mit Angeboten von ausgewählten Partnerunternehmen zusammen. Der Zugang zu den Bewohnern wird über Serviceberater der GEWOBA sichergestellt, die bereits seit Dezember 2008 in den Stadtteilen präsent sind und dort Quartier. als direkte Ansprechpartner für Ältere dienen.

Nach einer mehrmonatigen Pilotphase wird das IPP im Sommer dieses Jahres die Wirksamkeit des Kooperationssystems analysieren. Im Mittelpunkt steht dabei die Zufriedenheit der Mieter mit dem neuen Serviceangebot in ihrem Quartier: Findet das Produkt Anklang, und wie kann es im weiteren Verlauf angepasst werden? Konnten die individuellen Wünsche und Bedürfnisse der Älteren adäquat umgesetzt werden?


Modell für die Zukunft

Mit dem Abschluss des Projekts sollen die Erkenntnisse auch über Bremen hinaus etabliert werden. Denn die Förderung und Unterstützung der Selbständigkeit älterer Menschen in ihren eigenen vier Wänden ist ein zukunftsfähiges Modell für das Wohnen im Alter. Der Bremer Ansatz ist bisher einzigartig in Deutschland. Eine kundenorientierte Koordinationsstelle führt die Bedarfe und Wünsche mit Dienstleistungen aus dem Quartier zusammen und bietet sie durch eine EDV-gestützte Organisation, Informationsbeschaffung und Terminierung als Serviceprodukt an.

Das Projekt "Zuhause im Quartier" wird aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) finanziert. Es gehört zu einem der vier ausgezeichneten Sieger-Projekte des Ideenwettbewerbs "Gesund und selbständig zu Hause leben", den die Wirtschaftsförderung Bremen (WFB) gemeinsam mit der Bremer Gesundheitssenatorin im Rahmen der Initiative "Das Zuhause als Gesundheitsstandort" ausgelobt hat.

Weitere Informationen:
www.ipp.uni-bremen.de
www.mein-zuhause.info


Juliane Nachtmann ist seit Februar 2009 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Public Health und Pflegeforschung (IPP), wo sie das Projekt "Zuhause im Quartier" begleitet. Zuvor hat sie für das Deutsche Zentrum für Altersfragen in Berlin und das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen in Hannover zu Kriminalität und Gewalt im Leben alter Menschen geforscht.

Stefan Görres ist Professor für Gerontologie und Pflegeforschung an der Universität Bremen und Direktor des Instituts für Public Health und Pflegeforschung (IPP). Er berät Einrichtungen, Stiftungen und Ministerien zu Themen zukünftiger Entwicklungen der Pflege, Pflegeberufe und Versorgungsszenarien im Alter.


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Quelle:
Universität Bremen - impulse aus der Forschung
Nr. 1/2010, Seite 30-31
Herausgeber: Rektor der Universität Bremen
Redaktion: Eberhard Scholz (verantwortlich)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juli 2010