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ARBEIT/422: Rechte für Menschen - Regeln für Unternehmen (weitblick)


weitblick Nr. 3, Mai 2010
CorA - Corporate Accountability, Netzwerk für Unternehmensverantwortung

Rechte für Menschen - Regeln für Unternehmen

Eine europaweite Kampagne für verbindliche Regeln zur Unternehmensverantwortung


Mitte Januar beschwerte sich der brasilianische Fischer Luis Carlos Oliveira auf der Hauptversammlung von ThyssenKrupp, dass er wegen Gewässerverschmutzungen durch den Stahlwerkbau einer brasilianischen Tochterfirma seinen Lebensunterhalt nicht mehr mit Fischfang bestreiten kann. Laut einer Studie des Südwind-Instituts schuften in China die ArbeiterInnen, die Aktionsware für den deutschen Discount-Markt Aldi herstellen, oft sieben Tage pro Woche und verdienen kaum genug, um davon leben zu können. Es ließe sich eine lange Liste mit weiteren Beispielen aufstellen.

Unternehmen aus Deutschland und anderen europäischen Ländern sind heutzutage weltweit tätig. Sie profitieren häufig von niedrigen Umwelt- und Sozialstandards, die lokale Regierungen ihnen im Wettbewerb um ausländische Investitionen anbieten. Und auch wenn vorhandene Gesetze auf dem Papier gut aussehen, werden sie nicht immer durchgesetzt. Wo das Verhalten ausländischer Tochterfirmen und Zulieferer zu Menschenrechtsverletzungen oder Umweltverschmutzungen führt, können sich die Betroffenen in ihren Heimatländern in Asien, Afrika und Lateinamerika leider häufig nicht erfolgreich zur Wehr setzen.


Europäische Unternehmen sind verantwortlich

Die Verantwortlichen für unternehmerisches Fehlverhalten sind aber auch bei den Mutterfirmen und Auftraggebern in Europa zu suchen. In der EU können diese Unternehmen bislang in der Regel nicht zur Rechenschaft gezogen werden, wenn ihre Tochterfirmen oder Zulieferer mit ihren Geschäftspraktiken Menschenrechte verletzen oder die Umwelt schädigen. Die europäischen Mutterunternehmen können jedoch die Gewinne ihrer Tochterfirmen im Ausland einstreichen, wenn diese andernorts unter Verletzung von Menschenrechts- oder Umweltstandards Profite erwirtschaften. Ebenso können sie von Niedrigpreisen profitieren, wenn ihre Zulieferer die bestellte Ware mit Hungerlöhnen produzieren. Das ist ungerecht, ist aber bestehende Rechtslage in der EU.


Die Regelungslücke schließen

Längst wird dies nicht mehr nur von Nichtregierungsorganisationen (NRO) kritisiert. Der UN-Sonderberichterstatter für Wirtschaft und Menschenrechte, John Ruggie, hatte in seinem Bericht an den UN-Menschenrechtsrat im Jahre 2008 eine Regelungslücke bezüglich Menschenrechten und Unternehmensverantwortung festgestellt. Er hat in drei Bereichen Handlungsbedarf identifiziert: bei der Schutzpflicht der Staaten für Menschenrechte im In- und Ausland, bei der Verantwortung von Unternehmen und beim Zugang von Betroffenen zu Beschwerdemechanismen.

Bis 2011 wird Ruggie dieses Rahmenwerk konkretisieren, und er hat dazu im April 2010 einen Zwischenbericht vorgelegt. Darin betont er präventive staatliche Maßnahmen zum Menschenrechtsschutz, die zum Beispiel vorsehen, die Achtung der Menschenrechte beim Abschluss bilateraler Investitionsabkommen festzuschreiben oder die menschenrechtlichen Auswirkungen eines unternehmerischen Vorhabens vor der Vergabe einer Exportbürgschaft zu berücksichtigen. Ebenso empfiehlt er die Möglichkeit, die gesetzlichen Pflichten von Geschäftsführung und Vorständen auch auf die Achtung von Menschenrechten auszudehnen und verweist dabei auf das britische Gesellschaftsrecht, das von Unternehmenschefs verlangt, bei der Gewinnerzielung die gesellschaftlichen Auswirkungen der Unternehmensaktivitäten zu berücksichtigen.

Bezüglich der Schutzpflicht der Staaten ist eine intensive Debatte darum entbrannt, inwieweit sogenannte extraterritoriale Regelungen geschaffen werden können - also Gesetze, die sich auf unternehmerische Aktivitäten außerhalb des Staatsterritoriums beziehen, auf dem sich der Sitz des Unternehmens befindet. Für bestehende extraterritoriale Gesetze ist ein Blick in die USA lohnend: Dort gibt es ein Gesetz, das die Zuständigkeit US-amerikanischer Gerichte begründet, auch wenn ausländische Unternehmen gehandelt haben: den Alien Torts Claims Act, kurz ATCA. So klagen südafrikanische Apartheidsopfer gegenwärtig vor US-amerikanischen Gerichten gegen Unternehmen wie Daimler und Rheinmetall.


EU untersucht Rechtslage

Auch die EU will inzwischen stärker rechtliche Ansätze für Unternehmensverantwortung berücksichtigen. Diese Entwicklung ist nicht zuletzt dem hartnäckigen Agieren von zivilgesellschaftlichen Akteuren wie der European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) zu verdanken. Im Februar 2009 sagte der damalige EU-Industriekommissar Günter Verheugen zu, in einer Studie die bestehende EU-Rechtslage zu globaler Unternehmensverantwortung untersuchen zu lassen. Aktuell arbeitet die Universität Edinburgh daran, begleitet durch einen Beirat aus NRO, Gewerkschaften und Unternehmensverbänden. Die für den Sommer 2010 erwarteten Ergebnisse könnten eine neue Dynamik der Diskussion auf EU-Ebene auslösen.

Konkrete Ansätze gibt es bereits zu Berichtspflichten über soziale und ökologische Risiken. Gemäß der EU-Modernisierungsrichtlinie müssen börsennotierte Unternehmen bereits die geschäftsrelevanten sozialen und ökologischen Risiken im Geschäftsbericht aufführen. Das erfasst allerdings längst nicht alle gesellschaftlichen Auswirkungen von unternehmerischem Handeln, weil sich viele soziale und ökologischen Missstände in der Lieferkette von Unternehmen nicht unmittelbar auf ihre Geschäftstätigkeit auswirken. Derzeit diskutiert die EU-Kommission, inwiefern die bestehenden Pflichten EU-weit präzisiert werden können.


Vorschläge für EU-Reformen

Das europäische Netzwerk ECCJ hat drei zentrale Forderungen entwickelt, um die Regelungslücke auf europäischer Ebene zu schließen. Diese können einen europäischen Beitrag für die Konkretisierung des Rahmenwerkes von UN-Sonderberichterstatter Ruggie darstellen:

1. die Einführung von Haftungspflichten von Mutterunternehmen für Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden verursacht von Tochterfirmen und Zulieferern,

2. die Einführung von Publikations- und Berichtspflichten über soziale und ökologische Missstände und Risiken ihrer Geschäftstätigkeit,

3. einen erleichterten Zugang zu EU-Gerichten für Betroffene außerhalb der EU.

Während die ersten beiden Forderungen konkrete Vorschläge für eine verbesserte Schutzpflicht der Staaten darstellen, beinhaltet die dritte Forderung, dass prozessuale Hürden beim Zugang zu Rechtsschutz beseitigt werden, zum Beispiel durch eine Beweislastumkehr oder durch die Einführung von Sammelklagen.

In Deutschland werden diese Forderungen vom CorA-Netzwerk für Unternehmensverantwortung mitgetragen, einem Zusammenschluss von 47 Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften. Im Mai hat CorA gemeinsam mit ECCJ die europaweite Kampagne "Rechte für Menschen - Regeln für Unternehmen" zur Durchsetzung der drei Forderungen gestartet.

Cornelia Heydenreich (Germanwatch) und
Franziska Humbert (Oxfam Deutschland)


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WER WIR SIND - WAS WIR WOLLEN

ECCJ

Die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) ist eine Koalition aus über 250 zivilgesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften.
Die ECCJ setzt sich für eine bessere Regulierung der in der EU ansässigen Unternehmen ein, um Menschen und Umwelt zu schützen.
Weitere Informationen: www.corporatejustice.org

CorA-Netzwerk

Im CorA-Netzwerk für Unternehmensverantwortung sind 47 deutsche Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften, kirchliche und entwicklungspolitische Organisationen, Verbraucher- und Umweltverbände zusammengeschlossen. Der Name CorA steht für die Zielsetzung "Corporate Accountability", also verbindliche Regeln für Unternehmensverantwortung.
Das CorA-Netzwerk setzt sich für verbindliche Instrumente ein, mit denen transnationale Unternehmen verpflichtet werden, die Menschenrechte sowie international anerkannte soziale und ökologische Normen und Standards zu respektieren. CorA ist Mitglied im europäischen Netzwerk ECCJ.

Die wichtigsten CorA-Forderungen lauten:

1. Rechenschafts- und Publizitätspflichten für Unternehmen zu Umwelt, Soziales & Menschenrechten,

2. Kopplung der Vergabe öffentlicher Aufträge an gesellschaftliche Anforderungen,

3. Verankerung von Unternehmenspflichten in internationalen Wirtschaftsabkommen und bei der Wirtschaftsförderung,

4. Gerechte Unternehmensbesteuerung,

5. Wirksame Sanktionen und Haftungsregeln für Unternehmen,

6. Stärkung der Produktverantwortung und Förderung zukunftsfähiger Konsum- und Produktionsmuster.

Weitere Informationen: www.cora-netz.de

An dieser Zeitung haben folgende CorA-Mitgliedsorganisationen mitgewirkt:

Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland
www.bund.net
Christliche Initiative Romero
www.ci-romero.de
European Center for Constitutional and Human Rights
www.ecchr.eu
Evangelischer Entwicklungsdienst
www.eed.de
Germanwatch
www.germanwatch.org
Kampagne für Saubere Kleidung
www.saubere-kleidung.de
Oxfam
www.oxfam.de
SÜDWIND-Institut
www.suedwind-institut.de
terre des hommes
www.tdh.de
Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft
www.verdi.de

Germanwatch
engagiert sich für globale Gerechtigkeit und den Erhalt der Lebensgrundlagen und konzentriert sich dabei auf die Politik und Wirtschaft des Nordens mit ihren weltweiten Auswirkungen. Germanwatch ist Gründungsmitglied des CorA-Netzwerkes und koordiniert die CorA-Aktivitäten zur ECCJ-Kampagne "Rechte für Menschen - Regeln für Unternehmen".


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Quelle:
weitblick Nr. 3, Mai 2010
CorA - Corporate Accountability, Netzwerk für Unternehmensverantwortung
Herausgeber:
CorA-Netzwerk und Germanwatch e.V.,
Redaktion: Dörte Bernhardt (V.i.S.d.P.), Volkmar Lübke,
Cornelia Heydenreich, Johanna Fincke, Heinz Fuchs, Klaus Schilder
Kontakt: Germanwatch e.V.
Büro Berlin, Voßstr. 1, 10117 Berlin
Telefon: 030/28 88 356-0, Fax: 030/28 88 356-1
E-Mail: info@germanwatch.org
Internet: www.cora-netz.de

Exemplare dieser Zeitungsausgabe sind kostenlos.
Die Publikationen können auch zzgl. 2 Euro
Versandkostenpauschale bestellen werden.
Bestellung: info@germanwatch.org
oder über die o.g. Kontaktadresse


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juli 2010