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ARBEIT/437: Anerkennung ausländischer Qualifikationen (Der Schlepper)


Der Schlepper Nr. 51/52 - Sommer 2010
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in Schleswig-Holstein

Anerkennung ausländischer Qualifikationen
Eine arbeitsmarktpolitische Notwendigkeit

Von Farzaneh Vagdy-Voss


Viele MigrantInnen arbeiten weit unter ihrer Qualifikation - eine Stelle als qualifizierte Fachkraft bekommen sie nicht, weil ihre im Ausland absolvierten Ausbildungs- und Studienjahre nicht anerkannt werden. Unternehmen sind angesichts des mit dem demographischen Wandel verbundenen Fachkräftemangels auf der Suche nach qualifizierten MitarbeiterInnen. Doch häufig herrscht hier Unsicherheit bei der Einschätzung im Ausland erworbener Zeugnisse und Qualifikationen.


Das unübersichtliche System der Anerkennung ausländischer Abschlüsse in Deutschland führt zu Ratlosigkeit, welche Stelle tatsächlich zuständig ist. Darüber hinaus steht nur bestimmten MigrantInnengruppen (SpätaussiedlerInnen und EU-Angehörigen) ein Rechtsanspruch auf Anerkennungsverfahren zu.

Dies führt zu unbefriedigenden Ergebnissen. So fand der Forschungsbericht des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge von April 2010 unter dem Titel "Fortschritte der Integration" in einer groß angelegten Befragung heraus: "Etwa der Hälfte der zugewanderten ausländischen Befragten mit einer im Herkunftsland absolvierten Berufsausbildung bleibt die Anerkennung ihres erlernten Berufes versagt."

Zum einem ähnlichen Ergebnis kam 2009 eine Studie im Auftrag des Bundesarbeitsministeriums unter BezieherInnen von ALG II, die auch die Konsequenzen erfasste: Arbeitslose mit in Deutschland nicht anerkanntem Berufsabschluss haben genauso schlechte Chancen bei der Arbeitssuche wie Arbeitslose, die nie einen Abschluss erworben haben. Mit der Anerkennung des Abschlusses steigen ihre Beschäftigungschancen dagegen deutlich.


Ungenutzte Fähigkeiten

Die mangelnde Anerkennung ihrer beruflichen Qualifikationen betrifft ebenso Flüchtlinge, die noch keinen sicheren Aufenthaltsstatus in Deutschland erworben haben. Sie leiden zudem unter den in diesem Heft beschriebenen Integrationsbarrieren (Lagerunterbringung, Residenzpflicht, Ausschluss von Sprachförderung etc.). Mit entsprechender Unterstützung kann es ihnen dennoch durchaus gelingen, Arbeit zu finden: Von den TeilnehmerInnen an Angeboten des Netzwerks Land in Sicht! - Arbeit für Flüchtlinge in Holstein (149 Personen) nahmen gut ein Viertel innerhalb eines Jahres eine Beschäftigung auf. Allerdings handelt es sich mehrheitlich nicht um sozialversicherungspflichtige Beschäftigung.

Die TeilnehmerInnen verfügen über beträchtliche Kompetenzen: gut ein Fünftel der TeilnehmerInnen hatte schon im Ausland eine Berufsausbildung aufgenommen, zusätzliche 12 Prozent der TeilnehmerInnen haben studiert. Fast die Hälfte aller TeilnehmerInnen hat bereits im Ausland Berufserfahrung erworben (wobei zu bedenken ist, dass ebenfalls die Hälfte aller TeilnehmerInnen unter 25 Jahre alt ist und dementsprechend vor ihrer Flucht oft keine Gelegenheit hatte, Berufserfahrung zu sammeln). Viele haben im handwerklichen Bereich gearbeitet, es sind aber auch IngenieurInnen, LehrerInnen, ÄrztInnen, RechtsanwaltgehilfInnen darunter. Über die Hälfte der TeilnehmerInnen beherrschen drei oder mehr Sprachen.

Doch nur zwei (!) der TeilnehmerInnen, die im Ausland eine Ausbildung oder ein Studium aufgenommen hatten, ist es gelungen, ihre Qualifikation in Schleswig-Holstein umzusetzen. Zwar haben fast die Hälfte (43 Prozent) in Schleswig-Holstein Berufserfahrung gesammelt - fast 90 Prozent davon waren bzw. sind allerdings im Reinigungs- und Helferbereich (insbesondere in Gastronomie und Bau) tätig.


Eckpunktepapier der Bundesregierung

Das Bundeskabinett hat im Dezember 2009 ein Eckpunktepapier beschlossen, das die Grundlagen für ein Gesetz zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse legt. Das Eckpunktepapier sieht einen Rechtsanspruch auf Prüfung der mitgebrachten Qualifikationen innerhalb einer bestimmten Frist für alle ImmigrantInnen vor. Auch Teilanerkennungen sollen ermöglicht werden. Die Verfahren für die Anerkennung von Qualifikationen sollen transparenter und einfacher gestaltet werden. Die Anerkennungspraxis für alle beruflichen Qualifikationen aus dem Ausland soll verbessert, berufliche Erfahrungen aus dem Heimatland dabei berücksichtigt werden.

Momentan erarbeitet die Bundesregierung auf dieser Basis ein Anerkennungsgesetz, das 2011 in Kraft treten soll. Damit ist ein wichtiger erster Schritt getan. Klar ist aber auch, dass ein Rechtsanspruch auf ein Anerkennungsverfahren nur ein erster Schritt ist.


Unsere Empfehlung

• Die Anerkennungsinstrumente sollten um informelle Gutachten für alle MigrantInnengruppen erweitert werden.

• Kompetenzfeststellungsverfahren sollten auch für Flüchtlinge eingesetzt werden, die fluchtbedingt keine Zeugnisse aus dem Herkunftsland vorlegen oder beschaffen können - bisher ist die Vorlage von Zeugnissen Voraussetzung für die Durchführung eines Anerkennungsverfahren.

• Wird nur eine Teilanerkennung ausgesprochen, sollte die Möglichkeit bestehen, eine Anschlussqualifizierung zu absolvieren.


Zugang zu Nachqualifizierungsmaßnahmen auch für
Flüchtlinge

Hierfür muss ein entsprechendes Angebot an passgenauen Anschlussqualifizierungen aufgebaut werden. Für diejenigen, die derzeit als "Ungelernte" tätig sind, obwohl sie über einen Berufsabschluss verfügen, sollten diese berufsbegleitend möglich sein. Für momentan Arbeitslose muss die Finanzierung durch die Arbeitsagenturen bzw. ARGEn sichergestellt werden. Der Bedarf an Nachqualifizierungen ergibt sich zusätzlich aus der Tatsache, dass viele der Betroffenen häufig über Jahre nicht entsprechend ihrer Qualifikation tätig sein konnten, so dass der Wiedereinstieg in ihren ursprünglichen Beruf meist schwer fallen dürfte.

Der Rechtsanspruch auf ein Anerkennungsverfahren sollte also ergänzt werden durch einen Rechtsanspruch auf Förderung einer passenden Anschlussqualifizierung. Anders als bereits bestehende Anpassungsqualifizierungen für Akademiker (z.B. im Programm AQUA Migration) müssen auch Flüchtlinge einbezogen werden, die noch keinen sicheren Aufenthaltsstatus erworben haben. Sie verlieren sonst kostbare Zeit, die ihnen einen späteren qualifizierten Berufseinstieg zusätzlich erschwert. Allein die sprachlichen Barrieren einer Anpassungsqualifizierung in einem speziellen Berufsfeld stellen sicher, dass nur Flüchtlinge teilnehmen können, die schon längere Zeit in Deutschland leben. Sie werden voraussichtlich auch in Deutschland bleiben: Entweder sie werden im Verlauf der Qualifizierungsmaßnahme ohnehin als Flüchtlinge anerkannt bzw. erhalten eine andere Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen - oder sie erhalten später eine Aufenthaltserlaubnis als Fachkraft. Dies ist möglich, wenn ihnen der Wiedereinstieg in qualifizierte Beschäftigung gelingt: seit dem 1.1.2009 können Flüchtlinge, die nur über eine ausländerrechtliche "Duldung" verfügen, eine Aufenthaltserlaubnis (nach § 18a Aufenthaltsgesetz) erhalten, wenn sie die letzten drei Jahren eine Beschäftigung ausgeübt haben, die eine qualifizierte Berufsausbildung voraussetzt.

Doch ohne eine formelle Anerkennung ihrer im Ausland erworbenen Qualifikationen oder die Teilnahme an einer Anpassungsqualifizierung gelingt das auf dem sehr Zeugnis-orientierten deutschen Arbeitsmarkt bisher fast niemandem.


Integration durch Anerkennung

Solange Kompetenzen und Berufsbildung aus dem Herkunftsland nicht adäquat erfasst werden und Menschen als ungelernt gelten, wenn ihr Abschluss in Deutschland nicht anerkannt wird, solange wird auch eine angemessene berufliche Integration nicht gelingen. Solange es kaum Maßnahmen gibt, die eine Anpassungsqualifizierung aufbauend auf vorhandene Kenntnisse ermöglichen, werden Zugewanderte entweder wieder ganz von vorne anfangen müssen oder nur Arbeit in unterqualifizierten Tätigkeiten finden. Beides ist mit dem Gefühl der Herabsetzung und fehlenden Wertschätzung verbunden und verhindert die gleichberechtigte Teilhabe in dieser Gesellschaft. Ein umfassendes "Anerkennungsgesetz" dagegen wäre ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu gleichberechtigter Teilhabe an dieser Gesellschaft für alle Menschen.


Farzaneh Vagdy-Voss arbeitet unter Trägerschaft des Flüchtlingsrates Schleswig-Holstein e.V. im Projekt access. Das Projekt ist ein Transferprojekt des Kompetenzzentrums NOBI - Norddeutsches Netzwerk zur beruflichen Integration von Migrantinnen und Migranten. Johanna Boettcher koordiniert das Netzwerk Land in Sicht! - Arbeit für Flüchtlinge in Holstein.


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Quelle:
Der Schlepper Nr. 51/52 - Sommer 2010, Seite XIV-XVI
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in Schleswig-Holstein
Herausgeber: Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
Oldenburger Str. 25, 24143 Kiel
Telefon: 0431/73 50 00, Fax: 0431/73 60 77
E-Mail: schlepper@frsh.de
Internet: www.frsh.de
Der Schlepper online im Internet: www.frsh.de/schlepp.htm

Der Schlepper erscheint vierteljährlich als Rundbrief
des Flüchtlingsrates Schleswig-Holstein e.V.
Für Vereinsmitglieder ist Der Schlepper kostenlos.
Nichtmitglieder können ihn für 18,00 Euro jährlich
abonnieren.


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2010