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ARBEIT/559: Argentinien - Geringe Erfolge bei der Formalisierung der Arbeit, Gesetz soll nachhelfen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. Mai 2014

Argentinien:
Geringe Erfolge bei der Formalisierung der Arbeit - Gesetz soll nachhelfen

Von Fabiana Frayssinet


Bild: © Fabiana Frayssinet / IPS

Daniel Reynoso mit einem seiner drei Söhne hinter seinem Staubwedelstand in Buenos Aires
Bild: © Fabiana Frayssinet / IPS

Buenos Aires, 2. Mai (IPS) - Der argentinische Student Franco ist 22 Jahre alt und hat gerade seinen ersten Job angetreten. Jedoch gehört er zu den 33 Prozent seiner Landsleute, die nicht sozialversichert sind. Die Regierung will nun mit Hilfe eines Gesetzes die Schattenwirtschaft weiter zurückdrängen.

In dem Betrieb, in dem Franco arbeitet, stehen zehn Prozent der 150 Mitarbeiter nicht auf der Gehaltsliste. "Ich bin nicht krankenversichert. Wenn mir auf dem Weg zur Arbeit oder auf dem Heimweg etwas zustößt, haftet der Arbeitgeber nicht. Ebenso wenig zählt meine Arbeitszeit für die Rente", kritisiert er. Den Job hat er nur deshalb angenommen, weil er ihn braucht.

Während der Regierungszeit von Ex-Präsident Néstor Kirchner (2003-2007) und unter seiner Frau und Amtsnachfolgerin Cristina Fernández ist die Arbeitslosigkeit von 17,3 Prozent im Jahr 2003 auf 6,4 Prozent Ende 2013 geschrumpft. Darüber hinaus konnte die informelle Beschäftigung von 49,6 Prozent auf 33,6 Prozent gedrückt werden, wie aus offiziellen Untersuchungen hervorgeht.

Dennoch sind Arbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigung nach wie vor ein Problem - vor allem für junge Leute. Nach Angaben des Ministeriums für Arbeit und soziale Sicherheit ist die Gruppe der unter 24-Jährigen in 58,7 Prozent dieser unsicheren Arbeitsverhältnisse anzutreffen.


Nehmen, was man kriegen kann

"Einem großen Teil der Bevölkerung ist der Zugang zu Anstellungen versperrt, in denen sie sozialen Schutz genießen. Die Betroffenen müssen nehmen, was sie kriegen", berichtet Juan Graña, Ökonom am Zentrum für Bevölkerungs-, Beschäftigungs- und Entwicklungsstudien (CEPED) und Autor des Buches 'Gehalt, Beschäftigungsqualität und Verteilung' ('Salario, calidad de empleo y distribución').

"Es gibt rechtliche Mechanismen, derer sich große Firmen bedienen können, um ihre Mitarbeiter unter prekären Arbeitsbedingungen zu beschäftigen. Verantwortlich dafür sind die Reformen der 1990er Jahre, die im Interesse der Kostenersparnis Kurzzeit- und Probearbeitsverträge sowie das Outsourcen von Arbeitsvorgängen begünstigen", fügte er hinzu.

Im 40 Millionen Menschen zählenden Argentinien gingen Ende des letzten Jahres 17,38 Millionen der 16,27 Millionen Erwerbsfähigen einer Beschäftigung nach - 76 Prozent davon als nicht Selbstständige. Bei den übrigen handelte es sich um Unternehmer, Freiberufler und Selbstständige. Von den Erwerbstätigen über 14 Jahren waren 33,6 Prozent nicht gemeldet. Etwa drei Millionen Menschen sind im öffentlichen Dienst beschäftigt. Der Rest arbeitet in der Privatwirtschaft, in der 41,5 Prozent der Beschäftigten nicht gemeldet oder nur teilweise gemeldet sind.

Wie der Manager eines Unternehmens, das Schulmaterialen verkauft, gegenüber IPS erklärt, heben die Sozialversicherungsbeiträge die Lohnausgaben in kleinen und mittelständischen Betrieben um 50 Prozent an. "Das sind sehr hohe Fixkosten, die die Profitmargen erheblich verringern. Verkaufen wir nicht genug, müssen wir schließen", erklärt er.

Am 15. April hat die Mitte-Links-Regierung ein Gesetz zur Förderung der registrierten Arbeit und zur Prävention von arbeitsrechtlichen Verstößen ins Parlament eingebracht. Die Reform soll in den ersten beiden Jahren nach Inkrafttreten die Beschäftigung von 650.000 Menschen regulieren, und den Anteil der im informellen Sektor Beschäftigten von 33,6 Prozent auf 28 Prozent senken.

Nach Angaben von Präsidentin Fernández sind prekäre und informelle Arbeitsverhältnisse das zweitgrößte Problem nach der Arbeitslosigkeit. Durch das geplante Gesetz würden die Sozialversicherungsbeiträge der Betriebe, die bis zu fünf Mitarbeiter beschäftigten, halbiert sowie Anreize für die Einrichtung zusätzlicher regulärer Stellen geschaffen.

Demzufolge sollen Betriebe mit bis zu 15 Arbeitnehmern für weitere Mitarbeiter im ersten Jahr der Beschäftigung keine und im zweiten Jahr nur 25 Prozent der Versicherungsbeiträge zahlen. Unternehmen mit 16 bis 80 Angestellten hätten im ersten Jahr der Beschäftigung für Neuzugänge nur die Hälfte der Versicherungsbeiträge zu entrichten, während Unternehmen mit einer noch größeren Belegschaft für nur 25 Prozent der Sozialversicherungsbeiträge für neue Mitarbeiter aufkommen sollen.


Staatlich subventionierten Unternehmen auf die Finger schauen

Eine weitere Säule der Reform ist eine öffentlich zugängliche Datenbank mit Unternehmen, die in den Genuss staatlicher Subventionen, Kredite, Steuererleichterungen und anderer staatlicher Beihilfen kommen. Für den Fall, dass sie sich arbeitsrechtlicher Vergehen schuldig machen sollten, ist vorgesehen, dass die staatlichen Leistungen gestrichen und Strafen verhängt werden. Außerdem sollen mehr Inspekteure eingestellt werden.

Besonders anfällig für informelle Beschäftigungsverhältnisse sind Haushaltshilfen, Klempner, Elektriker, Reinigungskräfte sowie Textil-, Land- und Bauarbeiter sowie Hotel- und Restaurantmitarbeiter. Darüber hinaus gibt es viele selbstständige Jobs wie den des Straßenverkäufers, die ein Schattenwirtschaftsdasein fristen.

Daniel Reynoso verkauft in Buenos Aires selbst gemachte Staubwedel. Inzwischen ernährt er mit den Einnahmen seine drei Kinder und hat für die Familie ein Haus in einem Armenviertel der argentinischen Hauptstadt gekauft. Reynoso mag seinen Job und die Freiheiten, die mit seiner Selbständigkeit verbunden sind. Doch wäre er gern kranken- und rentenversichert. Außerdem stört ihn, dass seine Einnahmen ständig schwanken. "Wenn es regnet, brauche ich gar nicht erst loszugehen. Dann verliere ich eine Tageseinnahme."

Im vergangenen Jahrzehnt wurden in Argentinien sechs Millionen Jobs geschaffen. Doch Staatspräsidentin Fernández räumt ein, dass die prekären Arbeitsbedingungen auch weiterhin die soziale Gleichheit behindern.

Graña zufolge sind die Chancen für Menschen, die in prekären Arbeitsverhältnissen arbeiten, gering, ihre arbeitsrechtliche Lage und ihre inflationsbedrohten Löhne zu verbessern und sich Wissen und Fähigkeiten anzueignen. Die Einnahmen liegen zwischen 35 und 50 Prozent unter den Gehältern der gemeldeten Kräfte. "Prekäre Arbeitsverhältnisse sind in jeder Volkswirtschaft einer der Hauptfaktoren für Einkommensungleichheit", so Graña. Strategien +++(, die dieses Phänomen bekämpften,) [zur Bekämfung dieses Phänomens] seien willkommen, weil sich dadurch die Lebensbedingungen der Familien und die Einkommensverteilung verbesserten.

Es gibt eine Reihe von Faktoren, die unsichere Arbeitsverhältnisse begünstigen. Dazu gehört auch die Schwierigkeit der Betriebe, zu überleben. Die Lösung dieses Problem bestehe einzig und allein in der wirtschaftlichen Entwicklung, meint Graña. Seiner Meinung nach gibt es einen Bedarf an Maßnahmen, wie sie im geplanten Gesetz vorgesehen sind. Solange sie nicht ergriffen würden, herrsche unter Arbeitgebern auch weiterhin die Mentalität vor, die Beschäftigten erst dann zu versichern, wenn der Staat Subventionen leiste.


Von der Wirtschaftskrise von 2001 noch nicht erholt

Der Wirtschaftswissenschaftler betont, dass sich seit dem Finanzdebakel Ende 2001, das die Wirtschaft in die schlimmste Wirtschaftskrise der argentinischen Geschichte stürzte, die Qualität des Arbeitsmarktes verbessert hat und viele der in den 1990er Jahren eingeführten Bestimmungen zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes zurückgenommen wurden. "Doch was Bezahlung und Qualität angeht, sind wir noch weit von den goldenen Zeiten entfernt, die wir einst in Argentinien hatten", fügt er hinzu. Die Kaufkraft der Industriearbeiter liegt noch immer 27 Prozent unter der von 1974.

Ernesto Mattos, Wirtschaftsexperte am Zentrum für Forschung und Management der solidarischen Wirtschaft (CIGES), unterstreicht ebenfalls die Fortschritte, die im Kampf gegen die informellen Arbeitsbedingungen von Berufsgruppen wie Landarbeitern und Haushaltshilfen durch ein neues, 2011 verabschiedetes Gesetz erzielt wurden. Seiner Meinung nach sollte kleinen Unternehmen der Zugang zu Krediten erleichtert werden. Auch wenn diese Firmen nicht sehr kapitalintensiv seien, beschäftigten sie mehr Arbeitskräfte in der Produktion.

Ausschlaggebend für die Verringerung der informellen Beschäftigung in Argentinien sei das Wachstum der Wirtschaftsaktivitäten, meint Mattos. Doch um weitere Fortschritte zu erzielen, sei es wichtig, die Arbeitskräfte "in dieser Phase des Kapitalismus, in der Technologien immer wichtiger werden", zu schulen. (Ende/IPS/kb/2014)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2014/04/trabajo-informal-duro-de-matar-en- argentina/
http://www.ipsnews.net/2014/04/argentinas-informal-economy-shrinks-fast- enough/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 2. Mai 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Mai 2014