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FRAGEN/060: Costa Rica - Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe ist erst der Anfang (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Costa Rica

Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe ist erst der Anfang


Die Ehe ist nichts anderes als ein Vertrag. Die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe ermöglicht uns, Entscheidungen über unser Leben zu treffen.

(San José, 4. Juni 2020, colombia informa) - Nach langen Kämpfen sozialer Verbände hat das Verfassungsgericht die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe beschlossen. Costa Rica ist weltweit Land Nummer 29 (und in Zentralamerika Land Nummer 1), in dem gleichgeschlechtliche Paare heiraten können. Colombia Informa sprach mit den Eheleuten Margarita Salas und Iliana Espitia über die rechtliche Gleichstellung hetero- und homosexueller Paare in Costa Rica. Die Kolumbianerin Iliana Espitia ist Feministin und LGBTI+-Aktivistin. Seit anderthalb Jahren lebt sie mit Margarita Salas in Costa Rica. Salas, ebenfalls Feministin und LGBTI+-Aktivistin, ist Costa-Ricanerin und Vorsitzende der Partei Vamos.

Colombia Informa: Wie lief die Zusammenarbeit mit den Institutionen?

Margarita Salas: Die soziale Bewegung hat mit den einschlägigen Bereichen der Regierung eng zusammengearbeitet. Darüber konnten immer wieder kleinere Erfolge in einzelnen Bereichen verzeichnet werden, die der Exekutive unterstellt sind. Auch in der Rechtsprechung ging es in kleinen Schritten voran. Zum Beispiel hatten gleichgeschlechtliche Paare schon vorher die Möglichkeit, durch eine eidesstattliche Lebenspartnerschaftserklärung den Partner bzw. die Partnerin in die Kranken- und Sozialversicherung aufzunehmen. Im Bereich der Gesetzgebung wurde hingegen ziemlich gemauert. Wir leben ja in einem sehr religiösen Land, und der Zulauf bei der evangelischen Kirche nimmt gegenüber den katholischen Gemeinden stetig zu. Die evangelischen Glaubensverbände richten sich besonders an Menschen aus den unteren Bildungsschichten und mit geringerem Einkommen. In den Randgebieten und an der Küste sind sie sehr aktiv. Im nicht-säkulären Costa Rica dürfen katholische Priester nicht zur Wahl antreten. Da die evangelischen Glaubensvorsteher jedoch vom Staat nicht als Priester anerkannt werden, dürfen sie sich zur Wahl stellen. So haben sich evangelische Parteien gebildet und im Nationalkongress nach und nach an Bedeutung gewonnen. Um den Parlamentsvorsitz zu übernehmen, tauschte eine der Rechtsparteien Stimmen mit dem evangelischen Politiker Justo Orozco und platzierte ihn an die Spitze der Menschenrechtskommission. Das führte zu Entrüstung bei den Feministinnen, den LGBTI+-Gruppen sowie bei den Aktivist*innen, die sich für einen laizistischen Staat und die Legalisierung der In-vitro-Befruchtung einsetzen, und förderte die Mobilisierung der Bewegung der Unsichtbaren. So konnten breitere Zusammenschlüsse entstehen, aus denen schließlich das Bündnis für gleiche Rechte ("Frente por los Derechos Igualitarios") hervorging.

Iliana Espitia: Mit der ehemaligen Vizepräsidentin Ana Helena Chacón hatten wir außerdem eine starke Verbündete. Wir wussten, dass wir im Kongress nicht weiterkommen würden, also wurde eine Eingabe beim Interamerikanischen Gerichtshof CIDH eingereicht. Was dann folgte, ähnelt im Wesentlichen dem Verfahren in Kolumbien, als es dort um die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe ging. Die Legalisierung lief nicht über die Einreichung eines Gesetzesentwurfs im Kongress, sondern direkt über den Gerichtshof für Menschenrechte.

M.S.: Ana Helena Chacón hatte bereits 2016 beim CIDH nachgefragt, ob es diskriminierend sei, dass in Costa Rica kein behördlicher Prozess für die rechtliche Gleichstellung von Trans*personen stattfindet und dass kein Schutz der Vermögenswerte gleichgeschlechtlicher Paare existiert. Entsprechend seiner Befugnis bejahte der CIDH im Januar 2018 ihre Anfrage OC 24 und erklärte, das Land habe hinsichtlich der diskriminierenden Umstände Abhilfe zu schaffen und die Identität von Trans*personen anzuerkennen. Gleichgeschlechtliche Paare seien heterosexuellen Paaren gleichzustellen, und es sei nicht opportun, rechtliche Parallelsituationen zu schaffen.

I.E.: Das mit der OC 24 ist sehr interessant. Für die Länder, die die Interamerikanische Menschenrechtskonvention unterzeichnet haben, könnte sich daraus eine Leitlinie entwickeln. Die Fragen der OC 24 haben Costa Rica und andere lateinamerikanische Länder sehr beschäftigt, und so kam es schließlich zur Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe in Ecuador. Die Anfrage ging von Costa Rica aus, durchgesetzt wurde die Gesetzesänderung dann zuerst in Ecuador. Das hängt immer auch von der politischen Bereitschaft ab.

M.S.: Wichtig ist auch zu erwähnen, dass das Ergebnis der Anfrage beim CIDH einen Monat vor den Präsidentschaftswahlen herauskam. Somit hat es zu einigen gewaltigen politischen Wellen geführt: Der Kandidat der konservativen Partei erklärte, falls er die Wahl gewinnen sollte, werde er den Rückzug Costa Ricas aus der Menschenrechtskonvention veranlassen, und die Empfehlung des CIDH sei ihm egal (was so natürlich nicht funktioniert). Der moderatere Kandidat hingegen erklärte, er unterstütze die Empfehlungen. Somit drehte sich die gesamte Wahl 2018 um diesen Punkt. Zum Glück gewann der Kandidat, der sich für die Einführung der Homo-Ehe ausgesprochen hatte. Im Dezember desselben Jahres schloss sich das Oberste Verfassungsgericht den Empfehlungen des CIDH an und erklärte, das Parlament habe 18 Monate Zeit, um die Beschlüsse umzusetzen. Nach Ablauf der Frist sollte die gleichgeschlechtliche Ehe automatisch rechtens sein. Artikel 14, Anhang 6 des Familiengesetzbuchs, der besagt, dass I. Minderjährige und II. Personen desselben Geschlechts nicht heiraten dürfen, wurde damit gestrichen.

C.I.: Würdest du sagen, dass die Ehe eigentlich ein Unterdrückungsinstrument ist, das dem Staat und der Kirche die Macht gibt, über das Leben von Menschen zu entscheiden?

I.E.: Vor vier Jahren habe ich noch so gedacht. Die Forderung nach der Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe erschien mir rückschrittlich und als Rechtsgarantie eher wacklig. Heute sehe ich das anders. Die Ehe ist nichts anderes als ein Vertrag. Die gleichgeschlechtliche Ehe zu verbieten bedeutet, mir als Lesbe die Möglichkeit vorzuenthalten, an einen Mietvertrag zu kommen oder Eigentum zu besitzen. Die Ehe ermöglicht uns, Entscheidungen über unser Leben zu treffen. Für mich bedeutet das zum Beispiel, mich legal in Costa Rica aufhalten und meinen Beruf ausüben zu können, weil ich mit einer Costa-Ricanerin verheiratet bin. Deshalb erkennt der Staat mir das Recht zu, eigene Entscheidungen zu treffen.

M.S.: Die Debatte über die Rolle des Staats im Leben der Menschen ist sehr vielschichtig. Ich glaube, wir müssen uns kritisch damit auseinandersetzen, wer sich hier außerhalb des Systems bewegen kann, wer in der Lage ist, allein oder innerhalb einer kleinen Gruppe von Menschen die eigenen individuellen Bedürfnisse zu befriedigen. Das sind in der Regel Menschen mit riesigen Privilegien: Menschen, die viel Land besitzen, über großes Eigentum verfügen und ähnliche materielle Dinge. Diese Menschen sind auch in der Lage, ihre Probleme selbst zu lösen. Was ich schwierig finde an der Haltung, sich gegen die Ehe zu stellen, ist, dass damit für viele Menschen die Entscheidung, diese zu unterstützen oder nicht, vorweggenommen wird. Die gleichgeschlechtliche Ehe macht die Lebenspartnerschaft überhaupt erst möglich: Ich will vielleicht nicht heiraten, aber ich will trotzdem davon ausgehen können, dass ich nach drei Jahren ein paar Sicherheiten habe, die sich aus einer ehelichen Verbindung ergeben. Diese Position, auf die Ehe verzichten zu können, basiert auf einem soliden Privileg. Die Homoehe ebnet den Boden für die Rechte nicht-binärer und Trans*personen. Man darf nicht aus dem Blickwinkel verlieren, dass jeder einzelne Buchstabe des LGBTI (Lesben, Gays, Bisexuelle, Transsexuelle und Intersexuelle) für eine spezielle Personengruppe mit eigenen Forderungen steht. Die Forderungen der nicht-binären und Trans*personen haben mit Identität zu tun und nicht mit sexueller Orientierung. Der Prozess der Legalisierung der Homoehe umfasst gesellschaftliche Diskussionen über geschlechtliche Orientierung und geschlechtliche Identität. Dabei geht es um Ermächtigung und Sensibilisierung im öffentlichen Raum. Diese Debatte steht jedoch für den gesamten LGBTI+-Komplex an, nicht nur für die sexuelle Orientierung. Das Gesetz ist ein Instrument für die Herbeiführung kultureller Veränderungen, wenn man so will. Dazu muss man natürlich sagen, dass Costa Rica auch ein besonderer Ort ist. Für mich ist der Staat ein beschützendes Gebilde und kein unterdrückerischer Apparat. Den Staat, wie ich ihn kenne, kann man als Rechtsgaranten in die Pflicht nehmen. Innerhalb der LGBTI+-Bewegung ist der Teil, der für die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe eintritt, der mit dem meisten Geld. Daher besteht die Gefahr, dass dieser Teil seine Unterstützung entzieht und aufhört, seine Kontakte spielen zu lassen, sobald die bürgerliche Forderung der Ehe für alle erfüllt ist und es jetzt "nur noch" um die Forderungen anderer Menschen im Zusammenhang mit der geschlechtlichen Identität geht.

I.E.: Es ist natürlich super, auf die Solidarität von nicht-binären und Trans*personen bauen zu können. Es geht aber auch darum, diese Personen in ihren Kämpfen zu unterstützen. OC 24 eröffnet Lesben, Schwulen und Bisexuellen die Möglichkeit, als erwachsene Menschen anerkannt zu werden, die ein Recht auf eigene Entscheidungen haben. OC 24 dient nicht-binären und Trans*personen als Werkzeug, um ihre rechtliche Anerkennung durchzufechten und Ausweisdokumente zu bekommen, die mit ihrer Identität übereinstimmen. Unser Ziel sind Rechtsgarantien für alle Menschen. OC 24 war ein wichtiger Schritt in diese Richtung.


Übersetzung: Lui Lüdicke


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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juni 2020

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