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FAMILIE/293: Das Vereinbarkeitsdilemma (DJI Impulse)


DJI Impulse
Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 1/2016 - Nr. 112

Das Vereinbarkeitsdilemma

von Claudia Zerle-Elsäßer und Xuan Li


Männer wollen Zeit mit ihren Kindern verbringen, sollen die Familie ernähren und müssen oft Überstunden leisten. Wie die Politik dabei helfen könnte, Vätern mehr Freiräume für die Familie zu schaffen.


Obwohl sich Väter heute im Schnitt mehr in Kinderbetreuung und Familie engagieren wollen, blieben die grundlegenden Strukturen seit der Elternzeitreform im Jahr 2007 bestehen: Mütter steigen zwar kürzer als früher aus ihren Berufen aus, aber immer noch deutlich länger als Väter, und sie steigen überwiegend in Teilzeit ein (BMFSFJ 2013). Väter nehmen, wenn überhaupt, nach der Geburt eines Kindes nur sehr kurze Auszeiten und arbeiten dann unvermindert beziehungsweise sogar mit mehr Wochenarbeitsstunden in ihren Vollzeitjobs weiter.

Aktuelle Studien zum Thema zeigen differenziertere Befunde: Insgesamt weitet sich der Erwerbsumfang von Vätern mit der Geburt eines Kindes aus - und damit sind auch Einkommenszuwächse verbunden -, allerdings gilt dies nicht für alle Väter gleichermaßen (Pollmann-Schult/Wagner 2014). Ihr Einkommen verbessern insbesondere Väter mit einer nicht-erwerbstätigen Partnerin, verheiratete Männer und/oder Männer mit einem eher traditionellen Rollenverständnis - also letztlich diejenigen Väter, die ein traditionelles Familienmodell leben, weil sie sich für die Sicherung des Familieneinkommens zuständig fühlen. Außerdem trifft dies oft auf Väter zu, die gut gebildet sind oder eine hohe berufliche Position innehaben.

Anders beziehungsweise sogar umgekehrt verhält es sich für die anderen, die egalitärer denken, weniger traditionell und weniger karriereorientiert sind und deren Partnerinnen in Vollzeit arbeiten. Ähnliches gilt in Bezug auf die Ausweitung der Arbeitszeit. Diese Ergebnisse machen deutlich, dass nicht nur individuelle Eigenschaften der Väter, sondern Konstellationen auf Paarebene wesentliche Faktoren sind, welche die Aufteilung des elterlichen Engagements in Beruf und Familie beeinflussen.

Obwohl Väter immer noch viel Zeit am Arbeitsplatz verbringen, hat sich das gesellschaftliche Bild vom »guten Vater« in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. Zwar bleiben Erwerbsarbeit und damit auch die Versorgung der Familie weiterhin ein zentraler Bestandteil der männlichen Identität und des gesellschaftlichen Rollenverständnisses (Christiansen/Palkovitz 2001), aber Zeit und Zuwendung für Kinder gewinnen an Bedeutung. Väter wollen sich heute verstärkt in die Betreuung und Erziehung der Kinder einbringen (Zerle/Krok 2008). Die Wissenschaft nennt diesen Typus »modernisierten Ernährer«.

Diese Väter haben einerseits den Wunsch, ihre Erwerbsarbeit zugunsten der Familie zu reduzieren, andererseits scheitern sie bereits dabei, eine 40-Stunden-Arbeitswoche zu realisieren. Mehr als die Hälfte der befragten Väter des Surveys »Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten« (AID:A II) des Deutschen Jugendinstituts (DJI) arbeiten - gewollt oder ungewollt - weit über diese normale Arbeitszeit hinaus. Sie leisten, anders als die in Vollzeit erwerbstätigen Mütter, viele Überstunden. Ein großer Anteil von ihnen arbeitet wöchentlich sogar 46 und mehr Stunden. Das trifft auf etwa 23 Prozent der Männer mit Haupt- oder Realschulabschluss und ein Drittel der Männer mit einem (Fach-)Abitur zu.

Die Menge an Überstunden erweist sich als einer der wichtigsten Faktoren, der einer »aktiven Vaterschaft« im Weg steht 12 DJI IMPULSE 1.2016 (Li/Zerle-Elsäßer 2015). In diesem Zusammenhang wurde ein bislang in der Wissenschaft und der Öffentlichkeit eher wenig beachtetes Phänomen offensichtlich: dass auch Väter mehr oder minder starken Vereinbarkeitskonflikten zu unterliegen scheinen. So gerät ein großer Anteil der Väter in den sogenannten Work-to-Family-Konflikt (Greenhaus/Beutell 1985). Dieser tritt auf, wenn eine Person aufgrund ihrer Arbeitsrolle nicht den Anforderungen ihrer Familienrolle nachkommen kann. Die Wahrnehmung dieses Konflikts hängt unmittelbar mit dem Umfang der Erwerbsarbeitszeit (inklusive Überstunden) zusammen (siehe Abbildung 1): Nur 13,9 Prozent der Männer mit reduzierter Arbeitszeit berichten, dass es durch den Beruf für sie schwierig ist, die familiären Aufgaben zu erfüllen. Bei Vätern, die in »normaler Vollzeit« arbeiten, sind es schon 25,1 Prozent und bei denjenigen, die lange Überstunden und damit 46 und mehr Stunden pro Woche arbeiten, 45,2 Prozent.

Aber nicht nur viele Überstunden verstärken die Work-to-Family-Konflikte deutlich, sondern auch die Anforderungen des heutigen Arbeitslebens, wie etwa räumliche Distanzen zum Arbeitsplatz, häufige Dienstreisen sowie die zunehmende räumliche und zeitliche Entgrenzung der Arbeit. Fast die Hälfte der Väter, die in der Freizeit sehr oft Aufgaben für die Arbeit erledigen, berichten von großen Work-to-Family-Konflikten (siehe Abbildung 2). Zum Vergleich: Nur 21,1 Prozent der Männer, die in der Freizeit nie Arbeitsaufgaben erledigen, sprechen von solchen Belastungen. Ähnliches gilt für die Notwendigkeit, auch außerhalb der Arbeitszeit für Vorgesetzte oder Kolleginnen und Kollegen erreichbar zu bleiben.


Ein Großteil der Väter klagt über zu wenig Zeit für die Kinder

Überstunden und andere Faktoren entgrenzten Arbeitens erschweren wiederum das väterliche Engagement in der Familie und wirken sich massiv auf die Zufriedenheit der Väter mit ihrer Zeit aus (siehe Abbildung 2). Mehr als drei Viertel der Väter, die viele Überstunden (46 und mehr Stunden pro Woche) machen, haben das Gefühl, dass ihnen zu wenig Zeit für Aktivitäten mit den Kindern bleibt. Das entspricht fast einem Drittel aller befragten Väter. Fast zwei Drittel derjenigen, die bis zu 45 Stunden pro Woche arbeiten, kommen zum selben Schluss. Demgegenüber berichtet ein Großteil der Väter, die bis zu 35 Stunden pro Woche arbeiten, dass sie ausreichend Zeit mit ihren Kindern verbringen (»gerade richtig«).

Ähnlich ist die Zufriedenheit mit der verwendeten Zeit für die Familie allgemein, für die Partnerin und für sich selbst. Bei den beiden letztgenannten Lebensbereichen fallen die Unterschiede allerdings am geringsten aus. Deutlich wird bei allen Vätern, dass an der Zeit für sich selbst und an der exklusiven Paarzeit zugunsten von Beruf und Kindern am meisten gespart wird. Die Befunde für Mütter sind hier vergleichbar.

Was bedeutet dies hinsichtlich der anfangs aufgeworfenen Frage, wie es den Vätern mit dem doppelten Anspruch geht, Ernährer und Erzieher zu sein? Väter spüren heute deutlich die Konflikte, die die zum Teil massiven Eingriffe der Erwerbsarbeit in die Familiensphäre verursachen. Auf die scheinbare Unvereinbarkeit von Beruf und Familie reagieren die meisten Familien mit dem Modell des männlichen Ernährers und der Mutter als Teilzeit-Arbeitende. Es bleibt zu hoffen, dass neue Angebote der Politik beiden Elternteilen eine Reduktion ihrer Erwerbsarbeit in Form einer langen Teilzeit ermöglichen, wodurch die Teilhabe von Vätern am Familienleben und das der Mütter an der Erwerbsarbeit verbessert würde.

Das sogenannte Elterngeld Plus etwa ist ein erster richtiger Schritt in Richtung eines Familienarbeitszeitmodells: Es soll Eltern dabei unterstützen, das Muster zu durchbrechen, demzufolge ein Partner in Vollzeit und die/der andere (sehr) wenig arbeitet. Stattdessen sollen beide in langer Teilzeit mit ähnlichen Stunden pro Woche (zwischen 25 und 30) tätig sein und für ihren Gehaltsverlust einen Ausgleich erhalten. Elterngeld Plus verlängert zudem die Elternzeit, indem jeden Monat nur die Hälfte des Elterngeldes ausbezahlt wird, dafür aber doppelt so lang (24 statt 12 Monate).


Die Autorinnen

Dr. Claudia Zerle-Elsäßer ist kommissarische Leiterin der Fachgruppe »Lebenslagen und Lebensführung von Familien« in der Abteilung »Familie und Familienpolitik« des Deutschen Jugendinstituts (DJI). Ihre Forschungsschwerpunkte sind Vaterschaft, Familiengründung sowie die Lebensführung von Eltern und Kindern.
Kontakt: zerle@dji.de

Dr. Xuan Li war Mitarbeiterin im Kompetenzteam »Familie« des DJI-Surveys »Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten« (AID:A) in der Abteilung »Familien und Familienpolitik« des DJIs. Seit Januar 2016 ist sie Juniorprofessorin an der New York University in Shanghai und forscht dort unter anderem zu Vaterschaft und väterlichem Erziehungsverhalten hinsichtlich der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen.
Kontakt: xuanli@nyu.edu


Literatur

BUNDESMINISTERIUM FAMILIE, SENIOREN, FRAUEN UND JUGEND (BMFSFJ; 2013): Elterngeld-Monitor 2012. Kurzfassung. Im Internet verfügbar unter:
www.bmfsfj.de/BMFSFJ/Service/Publikationen/publikationsliste,did=184556.html
(Zugriff: 16.03.2016)

CHRISTIANSEN, SHAWN L. / PALKOVITZ, ROB (2001): Why the »good provider« role still matters providing as a form of paternal involvement. In: Journal of Family Issues, Heft 1, S. 84-106

GREENHAUS, JEFFREY H./ BEUTELL, NICHOLAS J. (1985): Sources of conflict between work and family roles. In: The Academy of Management Review, Heft 1, S. 76-88

LI, XUAN / ZERLE-ELSÄSSER, CLAUDIA (2015): Können Väter alles unter einen Hut bringen? Das Vereinbarkeitsdilemma engagierter Väter. In: Walper, Sabine / Bien, Walter / Rauschenbach, Thomas (Hrsg.): Aufwachsen in Deutschland heute. Erste Befunde aus dem DJI-Survey AID:A 2015. München, S. 16-20

POLLMANN-SCHULT, MATTHIAS / WAGNER, MAREIKE (2014): Vaterschaft im Kontext. Wie die Familiengründung die Erwerbstätigkeit von Männern beeinflusst. In: WZB Mitteilungen, Heft 143, S. 19-22

ZERLE, CLAUDIA / KROK, ISABELLE (2008): Null Bock auf Familie? Der schwierige Weg junger Männer in die Vaterschaft. Gütersloh

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Quelle:
DJI Impulse - Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 1/2016 - Nr. 112, S. 11-13
Herausgeber: Deutsches Jugendinstitut e.V.
Nockherstraße 2, 81541 München
Telefon: 089/6 23 06-140, Fax: 089/6 23 06-265
Internet: www.dji.de, www.dji.de/impulse
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2016

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