Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → SOZIALES


FAMILIE/295: Väter - Zwischen Rebellion, Pragmatismus und Sicherheit (DJI Impulse)


DJI Impulse
Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 1/2016 - Nr. 112

Zwischen Rebellion, Pragmatismus und Sicherheit

Von Birgit Jentsch und Michaela Schier


Aktiven Vätern stehen in Deutschland viele Barrieren im Weg - eine unflexible Unternehmenskultur, fest verwurzelte traditionelle Rollenmuster und zahlreiche praktische Probleme. Sie befinden sich in einem schwierigen Abwägungsprozess.


Auch wenn sich die meisten Väter heute immer noch hauptsächlich als Ernährer der Familie verstehen, gibt es eine kleine Gruppe von aktiven Vätern, die ein neues, auf erzieherische Tätigkeiten fokussiertes Verständnis von Vaterschaft in die alltägliche Praxis umsetzen (Meuser 2014). Nach einer Untersuchung des Deutschen Jugendinstituts (DJI), dem Survey »Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten« (AID:A II), lassen sich die Väter in Deutschland in drei Gruppen einteilen (Li u.a. 2015). Demnach werden 20 Prozent der Väter als »wenig aktiv« eingestuft und 64 Prozent als »durchschnittlich aktiv«. Lediglich 16 Prozent lassen sich der Gruppe der »aktiven Väter« zurechnen. Sie leisten vergleichsweise mehr elterliche Aufgaben, beteiligen sich stärker an der alltäglichen Versorgung und Betreuung ihrer Kinder und verbringen mehr Zeit aktiv mit ihren Kindern als die anderen Väter.

Das von der EU geförderte, qualitative DJI-Forschungsprojekt mit dem Titel »FamiliesAndSocieties« untersuchte, wie sich ein besonders großer Einsatz von Vätern auf das Partnerschafts- und Familienleben auswirkt. Dazu wurden 20 Väter aus dem Westen Deutschlands interviewt, die sich selbst als aktive Väter betrachten. Für die befragten Männer hat die Beziehung zu ihren Kindern eine hohe Priorität. Starre Erwerbsbedingungen versuchen sie, so weit wie möglich an die Bedürfnisse der Familie anzupassen. Außerdem übernehmen sie umfassende Aufgaben im Haushalt. Gleichzeitig offenbarte sich in den Gesprächen mit den Vätern aber auch eine tiefe Verankerung von traditionellen Geschlechterrollen.


Die wenigsten Männer reduzieren die Arbeitszeit

Die Art und Weise der Erwerbseinbindung der Väter zeigte sich als ein besonders wichtiger Faktor in der Gestaltung ihrer Vaterschaft. Auch die vom DJI befragten Väter waren, wie die Mehrheit der Väter in Deutschland, meist in Vollzeit erwerbstätig (WSI 2015). Einige vollzeitbeschäftigte Väter berichteten, dass ihr Arbeitgeber keinerlei Zugeständnisse zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie mache. Die Männer bedauerten dies - gleichzeitig betonten aber manche, dass der Job ihnen viel bedeute und die finanzielle Absicherung der Familie darstelle. Die aktive Rolle in der Familie beschränkt sich bei diesen Vätern auf einzelne Abendstunden und vor allem auf das Wochenende, unter anderem auf Kosten der eigenen Freizeitaktivitäten.

Nach den Ergebnissen der qualitativen DJI-Studie versuchen jene Väter, deren Arbeitsplatz mehr Flexibilität bietet, diese zu nutzen, um einen größeren Teil der Sorgearbeit zu übernehmen und eventuelle berufsbedingte Abwesenheiten der Partnerin abzudecken. Allerdings stoßen manche Väter dabei schnell an Grenzen. Eine Minderheit trat hierbei als »Rebell« auf und handelte beispielsweise individuelle Arbeitszeiten mit dem Arbeitgeber aus, obwohl damit Risiken verbunden waren - wie etwa der Verlust des Arbeitsplatzes oder Karriereeinbußen.

»[Den Wunsch auf Teilzeitarbeit] habe ich meinem Chef vorsichtig beigebracht. Der hat sich sehr, sehr schwer damit getan. Effektiv habe ich erst die Genehmigung für die Teilzeit bekommen, nachdem ich ihm die Kündigung auf den Tisch gelegt habe.«


Ein temporärer Rollentausch ist oft das Ergebnis von pragmatischen Abwägungen

Es gibt Erwerbskonstellationen, die anscheinend förderlich für eine aktive Vaterschaft von Männern sind. Väter zeigen sich als besonders aktiv, wenn sie ihre Erwerbsarbeitsstunden auf weniger als 35 Stunden pro Woche reduziert haben; oder wenn Mütter ein relativ hohes Erwerbsstundenvolumen aufweisen, nämlich mehr als 25 Stunden pro Woche (Li u.a. 2015). In den qualitativen Interviews bestätigt sich der Zusammenhang von reduzierter Erwerbseinbindung und aktiver Vaterschaft: Väter sind besonders aktiv, wenn sie ihre Arbeitszeit verringern und ihre Frauen sich stärker beruflich engagieren (Li u.a. 2015). Vor allem jene Väter, die ihre Erwerbstätigkeit für eine mehrmonatige Elternzeit unterbrachen, während die Partnerin (temporär) die Rolle der Ernährerin übernahm, waren besonders stark in familiale Aufgaben eingebunden. Aufgrund ihrer Präsenz im Haus kümmerten sich diese Väter umfassend um Kinder und Haushalt. Was auf den ersten Blick fortschrittlich erscheinen mag, ist jedoch bei näherem Hinsehen zu einem nicht unbedeutenden Maß von pragmatischen Überlegungen bestimmt. Männer, die zugunsten der Familie auf ihre Karriere verzichteten, hatten mit einer einzigen Ausnahme ein geringeres Einkommen als ihre beruflich aktiven Frauen. Die Entscheidung für einen Rollentausch ist damit finanziell gesehen sinnvoll. Desweiteren hatten diese Väter oft enttäuschende Erfahrungen mit ihrem Arbeitgeber gemacht. Sie nutzten die Elternzeit daher als eine Möglichkeit, diesem für eine gewisse Zeit den Rücken zu kehren. Dennoch zeigte sich in den Interviews deutlich, dass die Erwerbseinbindung für die Identität der Männer eine große Bedeutung hat. Ihren Ausdruck fand das zum Beispiel in den beschriebenen zukünftigen Karriereplänen.

Die Interviews mit den Vätern weisen überdies darauf hin, dass die kontranormative Rollenverteilung in der Familienarbeit Ergebnis einer Verhandlung und von temporären Zugeständnissen ist: »... meine Frau hat mich gefragt, und ich habe halt gesagt: Ja, ich würde das mal machen, ich würde es ausprobieren, ich würde es mir zutrauen.«

Es ist kaum vorstellbar, dass Frauen in traditionellen Familienmodellen von ihren männlichen Partnern eine solche Frage gestellt bekommen oder ihre Sorgearbeit den Status des Ausprobierens hat. Stattdessen basieren traditionelle Verhaltensmuster auf gesellschaftlich etablierten Selbstverständlichkeiten und biologischen Vorstellungen von »natürlichen« Fähigkeiten von Müttern. Dabei werden tief verwurzelte, gender-stereotypische Vorstellungen deutlich.

In den Interviews berichten die Väter, dass ihre Partnerinnen in der Regel erwarten, dass sie sich ebenfalls an der Hausarbeit beteiligen. Auch die Väter selbst sehen einen solchen Beitrag als selbstverständlich an. Sie übernehmen eine umfassende Palette von Arbeiten, die in vielen Fällen stereotypisch weiblich sind. Die meisten Männer beschrieben die Aufteilung als »gerecht« oder »fair«. Sieht man von Konstellationen ab, bei denen ein Partner nicht erwerbstätig ist, waren die Aufgabenbereiche allerdings in fast allen Fällen klar getrennt (zum Beispiel die Frau putzt, der Mann kauft ein). Dies erklärten die Väter mit den Präferenzen der Elternteile für bestimmte Tätigkeiten. Diese Trennung von Aufgaben macht es schwer zu beurteilen, wie die verschiedenen Beiträge zu gewichten sind. Die beschriebene Regelung einer diffusen Gegenseitigkeit schließt nicht aus, dass indirekt geschlechtsspezifische Ungleichheitsmuster bestehen bleiben. Mit einer auf problemzentrierten Interviews basierten Studie lässt sich dies nicht eindeutig erfassen. Zahlreiche quantitative Studien weisen allerdings darauf hin, dass Mütter in jeglichen Erwerbskonstellationen mehr Hausarbeitsstunden leisten als ihre Partner (Zerle/Keddi 2011).


Die individuelle Lebenssituation bestimmt maßgeblich die Ansprüche

Die befragten Väter beurteilen ihre eigene Leistung als »aktiver Vater« oft, indem sie ihr eigenes (hohes) Engagement in der Familie an dem (geringeren) von anderen fiktiven oder bekannten Vätern messen. Mit dem, was Mütter für den Haushalt und bei der Erziehung der Kinder leisten, vergleichen sich die Väter aber nicht.

Interessanterweise betonen die interviewten Väter, die zeitlich stark in die Erwerbswelt eingebunden waren, dass die Quantität der Zeit mit den Kindern für ihre aktive Vaterrolle nicht so wichtig sei, sondern es eher darauf ankäme, wie intensiv die gemeinsame Zeit genutzt werde. Diese Aussage steht im Kontrast zu der Position der Gruppe von befragten Vätern, die eine relativ lange Elternzeit in Anspruch genommen haben (bis zu 19 Monaten), in denen sie die alleinige Verantwortung für die Kinder und den Haushalt übernahmen: Sie bezweifeln, dass eine aktive Vaterschaft möglich sei, ohne die Zeit für die Erwerbsarbeit zu reduzieren. Sie betonen, wie wichtig es ist, den Alltag mit den Kindern allein meistern zu können, auch weil damit eine besonders enge Verbindung mit dem Kind entstehe. Die Erwartungen von Vätern an eine aktive Vaterschaft scheinen demnach maßgeblich von ihren persönlichen Lebenssituationen bestimmt zu sein. Väter nutzen offensichtlich flexible Interpretationen von aktiver Vaterschaft, mit denen sie ihren individuellen Ansprüchen gerecht werden können.

Die Studie weist auf die Herausforderungen hin, die sich für Eltern, Arbeitgeber und Politik ergeben, wenn Väter mehr in ihrer Familie involviert sein wollen. Für Eltern stellt sich nicht nur die Frage, inwieweit sie sich mit egalitären Vorstellungen von Elternschaft identifizieren, sondern auch, ob es praktische Unterstützung für die Umsetzung ihrer Pläne gibt. Hier sind Arbeitgeber gefragt, die akzeptieren, dass auch Männer - ähnlich wie Frauen - familiale Verpflichtungen und Interessen haben, und die Arbeitszeitmodelle schaffen, die den individuellen Lebensverlauf von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern berücksichtigen.

Auf der politischen Ebene gilt es, Anreize für Eltern zu schaffen, mit vorherrschenden Normen zu brechen. Das von der Familienministerin Manuela Schwesig vorgeschlagene Familienzeitprojekt, das ein reduziertes Arbeitszeitmodell (30 bis 32 Stunden pro Woche) für Mütter und Väter mit Sorgepflichten vorschlägt, könnte ein Schritt in die richtige Richtung sein. Aber auch das Steuer- und das Wohlfahrtssystem, die momentan noch Familien bevorteilen, bei denen ein Elternteil zuhause bleibt, müssen überdacht werden (siehe auch S. 4 in dieser Ausgabe). Zusammen mit dem fortbestehenden geschlechterspezifischen Lohngefälle stellen sie klare finanzielle Barrieren für eine aktive Vaterschaft dar.


Die Autorinnen

Dr. Birgit Jentsch promovierte in Sozialpolitik und ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Deutschen Jugendinstituts (DJI). Hier befasst sie sich mit der qualitativen Studie über aktive Väter in Deutschland, die ein Teil des EU-finanzierten Projekts »FamiliesAndSocieties« ist. Ihre Forschungsschwerpunkte beinhalten Gender- und Arbeitsforschung, internationale Migration im ländlichen Raum sowie Sozialpolitik im länderübergreifenden Vergleich.
Kontakt: jentsch@dji.de

Dr. Michaela Schier ist kommissarische Leiterin der Fachgruppe »Lebenslagen und Lebensführung von Familien« in der Abteilung »Familie und Familienpolitik« des DJIs. Von 2009 bis 2014 leitete sie dort die Schumpeter-Forschungsgruppe »Multilokalität von Familie: Die Gestaltung von Familienleben bei räumlicher Trennung«. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen die Alltags-, Familien-, Gender- und Arbeitsforschung, Multilokalität, Mobilität, Migration, alltägliche beziehungsweise familiale Lebensführung, den Wandel von (Erwerbs-)Arbeit und von Familie.
Kontakt: schier@dji.de


Literatur

LI, XUAN / ZERLE-ELSÄSSER, CLAUDIA / ENTLEITNER-PHLEPS, CHRISTINE / SCHIER, MICHAELA (2015): Väter 2015: Wie aktiv sind sie, wie geht es ihnen und was brauchen sie? Eine aktuelle Studie des Deutschen Jugendinstituts, DJI. München

MEUSER, MICHAEL (2014): Care und Männlichkeit in modernen Gesellschaften: Grundlegende Überlegungen illustriert am Beispiel involvierter Vaterschaft. In: Soziale Welt, Sonderband, Bd. 20, S. 159-174

WIRTSCHAFTS- UND SOZIALWISSENSCHAFTLICHES INSTITUT IN DER HANS-BÖCKLER-STIFTUNG (WSI; 2015): Gender News: Große Unterschiede in den Arbeitszeiten von Frauen und Männern. Hans-Böckler-Stiftung. Düsseldorf

ZERLE, CLAUDIA / KEDDI, BARBARA (2011): »Doing Care« im Alltag Vollzeit erwerbstätiger Mütter und Väter. Aktuelle Befunde aus AID:A. In: Gender, Heft 3, S. 55-72

*

Quelle:
DJI Impulse - Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 1/2016 - Nr. 112, S. 18-20
Herausgeber: Deutsches Jugendinstitut e.V.
Nockherstraße 2, 81541 München
Telefon: 089/6 23 06-140, Fax: 089/6 23 06-265
Internet: www.dji.de, www.dji.de/impulse
 
DJI Impulse erscheint viermal im Jahr.
Die Printausgabe von DJI Impulse kann kostenlos bestellt
und auf Wunsch auch abonniert werden unter impulse@dji.de.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. August 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang