Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → SOZIALES

FRAUEN/557: Japan - "Womenomics" versus "Abenomics", Frauen wehren sich gegen Feminisierung der Armut (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. Oktober 2014

Japan: 'Womenomics' versus 'Abenomics' - Frauen wehren sich gegen Feminisierung der Armut

von Suvendrini Kakuchi


Bild: © S. H. isado/CC BY-ND 2.0

Frauen machen den größten Teil der Alten und Armen in Japan aus
Bild: © S. H. isado/CC BY-ND 2.0

Tokio, 7. Oktober (IPS) - Marlyn Maeda, eine ledige Journalistin in Tokio, die niemals in ihrem Leben eine feste Anstellung hatte, kann sich ihren Traum von Unabhängigkeit im Alter endgültig abschminken. "Ich habe vier Jobs und komme kaum über die Runden", stellt die 54-Jährige bitter fest.

Das Schreiben von Artikeln, die Arbeit in einem Callcenter, der Verkauf von Kosmetik an fünf Tagen und eine Nachtschicht pro Woche in einer Bar bringen Maeda - der Name ist ihr Pseudonym - keine 1.600 US-Dollar ein. Sie gehört zu der Schicht der Armen, die sich in der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt explosionsartig vergrößert. In zwei Jahrzehnten mit schleppendem Wachstum sind die Einkommen in Japan stark gesunken. Von den etwa 127,3 Millionen Einwohnern des Landes findet kaum jemand noch einen festen Arbeitsplatz. Kein Wunder, dass im vergangenen Jahr die Armutsrate auf über 16 Prozent geklettert ist.

Am Beispiel von Maeda zeigt sich zudem, dass in der am raschesten alternden Gesellschaft der Welt immer mehr Seniorinnen unter prekären finanziellen Bedingungen leben werden. Die Journalistin erklärt, dass sie inzwischen für einen Artikel nur noch 50 Dollar Honorar erhält. In den 1980er und 1990er Jahren hatte sie das Dreifache erhalten.


Angst vor sozialem Absturz und Obdachlosigkeit

In Japan gelten alle diejenigen als arm, deren Einnahmen unter 10.000 Dollar jährlich liegen. Dies trifft vor allem auf Ältere und Teilzeitbeschäftigte zu. Maeda liegt mit ihrem hart verdienten Einkommen zwar fast doppelt so hoch, kommt damit aber dennoch nicht viel weiter. Selbst die allernötigsten Ausgaben kann sie von den kargen Einkünften kaum bestreiten. "Als das Call Center meine wöchentliche Arbeitszeit auf drei Tage kürzte und meine Autorenhonorare schrumpften, fing ich an, mir ernsthaft Sorgen um meine Zukunft zu machen", bekennt sie. "Sollte ich krank werden und nicht mehr arbeiten können, werde ich auf der Straße leben müssen." Wenn Maeda Miete, Steuern und Krankenversicherung gezahlt hat, muss sie sich manchmal Geld von ihren Eltern leihen, um nicht zu verhungern.

Viele Japanerinnen sind in einer ähnlich schlimmen Lage. Dabei versucht die Regierung, die Rechte von Frauen zu stärken und ihnen eine größere wirtschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. In diesem Jahr hat Ministerpräsident Shinzo Abe ein Maßnahmenpaket eingeführt, das bei Frauenrechtsaktivisten allerdings auf Skepsis stößt. Sie kritisieren, dass Japanerinnen nach wie vor zahlreiche soziale und ökonomische Hürden überwinden müssten.

In Anlehnung an die als 'Abenomics' bezeichnete Wirtschaftspolitik des Ministerpräsidenten, die auf Anti-Deflation und eine Erhöhung des Bruttoinlandsprodukts abzielt, hat sich die neue Bewegung 'Womenomics' genannt. Die Aktivisten fordern unter anderem, dass Frauen ebenso viel wie Männer verdienen, rascher befördert werden sollen und eine längere Kinderbetreuungspause einlegen dürfen. Bislang geben 60 Prozent der Japanerinnen ihre Arbeitsstelle ganz auf, wenn sie eine Familie gründen.


Regierung will Kinderbetreuung ausbauen

Abe hat versprochen, die Zahl der Kinderbetreuungsplätze um 20.000 zu erhöhen, um mehr Frauen die Rückkehr in die Erwerbstätigkeit zu erleichtern. Auch die Hortplätze für Schüler sollen bis zum Jahr 2020 um 300.000 aufgestockt werden. Bis dahin soll zudem der Anteil von Frauen in Führungspositionen auf 30 Prozent angewachsen sein.

In einem Beitrag für das 'Wall Street Journal' erklärte Abe kürzlich, dass der Wachstumsplan seiner Regierung darauf abziele, die Produktivität in Japan mittel- bis langfristig um zwei Prozent zu steigern, um dadurch in einem Zeitraum von zehn Jahren ein durchschnittlich um zwei Prozent wachsendes inflationsbereinigtes Bruttoinlandsprodukt zu erreichen.

"Wir verfolgen das Ziel, bis zum Jahr 2020 den Anteil der berufstätigen Frauen von derzeit 68 Prozent auf 73 Prozent zu erhöhen", schrieb Abe. "Japanerinnen verdienen bisher durchschnittlich 30,2 Prozent weniger als Männer. Diese Kluft müssen wir überbrücken." Im Vergleich dazu verdienen Frauen in Deutschland ein Fünftel weniger als ihre männlichen Kollegen, während die Differenz auf den Philippinen lediglich 0,2 Prozent beträgt.

Gender-Forscherinnen wie Hiroko Inokuma, die sich mit den Problemen berufstätiger Mütter beschäftigt, betrachten Abes Vorhaben als sehr ehrgeizig, zumal die zunehmende Gefährdung von Arbeitsplätzen viele Frauen bereits jetzt in die Armut abrutschen lässt. Statistiken geben wenig Anlass zur Hoffnung auf eine Besserung der Lage.

Wie der Think Tank NIPSSR mit Sitz in Tokio festgestellt hat, lebt jede dritte alleinstehende Frau im Alter zwischen 20 und 64 Jahren mittlerweile in Armut. Bei verheirateten Frauen liegt der Anteil hingegen bei nur elf Prozent. In dieser Gruppe sind zumeist ältere Witwen von materieller Not betroffen. Etwa die Hälfte der geschiedenen Japanerinnen hat Existenzsorgen. Von den erwerbstätigen Frauen sind 31,6 Prozent arm und von den Männern 25,1 Prozent.


Armut in Japan auf Rekordniveau

Laut dem Gesundheits- und Sozialministerium erhielten 2,09 Millionen Menschen im Jahr 2010 staatliche Sozialhilfe. Das entsprach 1,64 Prozent der gesamten Landesbevölkerung. Nach Ansicht von Akiko Suzuki von der gemeinnützigen Obdachlosenhilfsorganisation 'Inclusive Net' gehen Abes Zielsetzungen an der Realität vorbei. Die zunehmende Verarmung von Frauen führt sie vor allem auf die steigende Zahl von Teilzeit- und Leiharbeitsstellen zurück. Vollzeitstellen in Unternehmen würden dadurch immer weiter abgebaut, sagt sie. In der Pflegebranche sind in Japan die meisten Teilzeitbeschäftigten tätig, von denen 90,5 Prozent Frauen sind.

Nach Erkenntnissen von Inclusive Net machen Frauen 20 Prozent der durchschnittlich rund 3.000 Personen aus, die jeden Monat wegen ihrer wirtschaftlichen Probleme bei der Organisation Hilfe suchen. Vor drei Jahren lag der Anteil noch bei weniger als zehn Prozent. "Manche Frauen sind verzweifelt. Da sie keine festen Stellen haben, wehren sie sich nicht gegen häusliche Gewalt und Diskriminierung am Arbeitsplatz."

Etwa 20 Millionen Japaner - 40 Prozent aller Erwerbstätigen - sind auf der Grundlage befristeter Verträge beschäftigt. Frauen machen 63 Prozent derjenigen Beschäftigten aus, die weniger als 38 Prozent der Gehälter von Vollzeit-Angestellten verdienen. Von jeher müssten Japanerinnen im Vergleich zu den Männern zurückstecken, sagt Aya Abe, die für NIPSSR arbeitet. "Jahrzehntelang sind die Frauen damit zurechtgekommen, weil entweder ihre Männer gut verdienten oder weil sie noch bei ihren Eltern lebten. Der neue Verarmungstrend kann darauf zurückgeführt werden, dass weniger Frauen heiraten und schlecht bezahlte Arbeiten annehmen müssen."

Abes Reformprogramm sieht zudem vor, einen bislang hart verteidigten Steuervorteil für verheiratete Männer zu streichen, deren Frauen ein Jahreseinkommen von weniger als 10.000 Dollar beziehen. Die Steuer wurde 1961 eingeführt, als in Japan zumeist nur Männer in lebenslanger Stellung arbeiteten und damit ihre Familien ernährten.

Befürworter der Reform erklären, dass nun mehr Frauen dazu ermutigt würden, in Vollzeit zu arbeiten. Andere Beobachter wenden jedoch ein, dass damit ein wichtiges soziales Sicherheitsnetz abgebaut werde.

Suzuki jedenfalls blickt mit Sorge in die Zukunft: "Eine alternde Gesellschaft und unstabile Jobs bedeuten, dass Frauen weiterhin in Armut leben werden." (Ende/IPS/ck/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/09/can-womenomics-stem-the-feminisation-of-poverty-in-japan/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 7. Oktober 2014
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Oktober 2014