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FRAUEN/588: Oumou Sy - eine senegalesische Modemacherin (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 130, 4/14

Oumou Sy - eine senegalesische Modemacherin
Diskursive Räume für die Schaffung fantastischer Identitäten

Von Denise Fragner


Im Leben von Oumou Sy, Modemacherin aus dem Senegal, gibt es ein ständiges Wechseln zwischen Kulturarbeit, Bildungsprojekten und Identitätsproduktion. Anhand von Metissacana, dem ersten Internetcafé in Westafrika, und der Kostümkollektion rois et reines d'afrique (Könige und Königinnen von Afrika) sucht der folgende Beitrag nach Verknüpfungen zwischen den Bereichen und stellt die Arbeit von Ouomou Sy in den Kontext postkolonialer, emanzipatorischer und feministischer Kämpfe.


1952 im Norden Senegals geboren, war Sy als Modemacherin zuerst in ihrem Geburtsort Podor, dann in der Hauptstadt des Senegal, Dakar, tätig. Bis heute befinden sich dort die Arbeitsräume, die Modeschule Leydi und die Modelagentur Macsy, beide von Sy geleitet. 1996 eröffnete sie zusammen mit ihrem Partner Michel Mavros das Internetcafé Metissacana. Es war das erste Projekt im westlichen Afrika, das in den 1990ern Zugang zum Internet ermöglichte, damals war nur Südafrika voll ans Internet angeschlossen.

Neben dem Hosten von Websites und dem Verkauf von Hard- und Software bot Metissacana auch Schulungen zum Umgang mit internetbasierter Kommunikation an. Das zentrale Anliegen war, "Afrika aus der Isolation zu befreien", so Mavros. Damit setzt er das Projekt in Zusammenhang mit antikolonialen Bestrebungen, intellektuellen Austausch und mehr ökonomische Selbstbestimmung zu ermöglichen. Als positives Beispiel für internetbasiertes Unternehmer_innentum dient Oumou Sys eigener Onlineshop.


Internet für alle?

Sy betonte in vielen Interviews, dass sie Analphabetin sei, wie etwa 65% der Menschen im Senegal. Dem begegnete das Team von Metissacana mit einer Infokampagne durch Dörfer und Kleinstädte, in denen den Bewohner_innen Nutzungsmöglichkeiten des Internets nahegebracht werden sollte ohne die Notwendigkeit einer Alphabetisierung. Metissacana konzentrierte sich daher auf Internetradio oder Chat, um eine Vernetzung der Dörfer zu fördern.

Trotzdem ist das Internet bislang ein elitäres, an steigende Kosten gebundenes Tool für den Zugang zu Informationen geblieben - aber auch um die Arbeit von NGOs und Kollektiven sichtbar zu machen. Hier wird Onlinepräsenz zum Schlüsselfaktor, um mit Unterstützer_innen aus dem globalen Norden in Kontakt zu treten, lokale Arbeit "nachzuweisen" und der Erwartung zu entsprechen, neue Technologien in Projekte zu integrieren. Vor allem bei Gruppen mit feministischem Ansatz ist das wichtig, um der patriarchalen Sichtweise, Frauen seien unwissend im Gebrauch von (digitaler) Technik, entgegenzutreten.

2000 veranstalteten die Betreiber_innen von Metissacana Veranstaltungen rund um den Präsidentschaftswahlkampf. Sie organisierten einen Livechat mit den Kandidaten und veröffentlichten Wahlergebnisse. Nach dem Sieg von Präsident Abdoulaye Wade gab es vermehrt Kritik an dem schrittweisen Zurücksetzen demokratischer Prozesse hin zu einer Politik des Machterhalts und der Förderung wirtschaftlicher und kultureller Eliten. Auch eine spektakuläre Identitätspolitik, die bereits von Präsident Senghor betrieben wurde, verfolgte Wade weiter, etwa mit der Errichtung des "Monuments der afrikanischen Renaissance". Darstellung von Mondänität und Geschichtsinszenierungen spielen auch in vielen von Sy mitorganisierten Veranstaltungen, wie dem Karneval von Dakar, eine wesentliche Rolle.


Visionen von "Entwicklung"

Metissacana musste 2003 den Betrieb einstellen, als das senegalesisch-französische Unternehmen Sonatel von France Telecom übernommen wurde. Lizenzen wurden zurückgenommen, die Bandbreite reguliert, und Metissacana konnte Dienstleistungen nicht mehr anbieten. Dieses Vorgehen kann als Rekolonialisierung betrachtet werden, da es ein Quasimonopol von France Telecom im Senegal und sukzessive in ganz Westafrika herstellte. Während Metissacana mit Repressionen konfrontiert war, wurde Sys Modeproduktion mehr und mehr Trägerin von Auszeichnungen und Oumou Sy zu einer Botschafterin abstrakter Fantasien eines "neuen Afrika". Fortgeführte europäische Abhängigkeitspolitik steht hier einem Bild von selbstbewusstem Unternehmer_innentum gegenüber. Noch dazu zeichnet dieses Bild eine einzelne "Celebrity figure", die zwar durch ihr Tun Räume für Frauen eröffnet, sich aber nicht in Zusammenhang mit politischen feministischen Gruppen verortet.

Im Jahr 2000 wurde Oumou Sy für ihre Arbeit für Metissacana von der niederländischen Prins-Claus-Stiftung als urban hero ausgezeichnet. Der Kontext des urbanen Lebens und das Arbeiten mit finanziell wie kulturell ertragreichen Produkten - Haute Couture, der Karneval von Dakar, die Dakar Fashion Week - scheint der Anknüpfungspunkt für diese Auszeichnung zu sein. In diesen Projekten richtet sich Sy an nationale wie internationale Konsument_innen und schafft kulturtechnologische Visionen neuer oder "wieder erfundener" afrikanischer Figuren in spektakulärer Kleidung: vom Alltag abgesetzte Inszenierungen, den ökonomischen Zwängen und Regulierungen entrückt.


"Made in Africa"

Auf der Documenta 12 in Kassel und der Expo 2000 in Hannover präsentierte Sy rois et reines d'afrique - Gewänder, abgeleitet aus dem wenigen verfügbaren Bildmaterial der Volksgruppen Wolof und Tukulor aus der Zeit vor der Kolonisation. Diese Kollektion ist Teil von Made in Africa, ein Plan zur Wiederbelebung dörflicher Infrastrukturen zur Stoffherstellung und Stoffverarbeitung, und zugleich ein Identitätsmarker. Als Rückbesinnung auf kulturelle Techniken soll Made in Africa dazu ermutigen, das Begehren nach europäischer Secondhand-Massenware kritisch zu reflektieren und selbst Kleidung zu fairen Preisen zu produzieren. Oumou Sy unterrichtet in ihren Schulen mit diesem Konzept Stoffherstellung und -verarbeitung, Verwendung gefundener Materialien und senegalesische Stilgeschichte.

Innerhalb Dakars haben sich in der Modeschule Leydi und der Modelschule Macsy vergleichsweise freie Räume für Frauen entwickelt. Dennoch bedeutet das Modeln mitunter für die Frauen, an Grenzen zu stoßen, weil ihre Tätigkeit als der Prostitution nahe wahrgenommen wird.

In der von Scharia und "code de la famille" eingerahmten senegalesischen Gesellschaft stellt die Auseinandersetzung mit Mode, Verkleidung, Spektakel einen Schutzraum dar, da Kleidung und Stoffverarbeitung weiblich besetzte unternehmerische Felder sind. Es gibt hier keinen akuten Kampf um Zugänge für Frauen, ganz im Unterschied zu parlamentarischer Politik oder der Aushandlung sozialer Normen und Möglichkeiten.


Zur Autorin:
Denise Fragner studiert und arbeitet an der Akademie der bildenden Künste in Wien und setzt sich mit Formen von selbst organisierter Kunstlehre und -produktion auseinander. Zuvor studierte sie Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien.


LESETIPPS:

Joanna Grabski: Making fashion in the city: a case study of tailors and designers in Dakar, Senegal:
https://orientationtrip2011.files.wordpress.com/2010/09/a-case-study-of-tailors-and-designers-in-dakar.pdf

Joëlle Palmieri: From institutionalisation to direct democracy. Women's movements in Senegal and South Africa:
http://joellepalmieri.wordpress.com/2013/10/21/from-institutionalisation-to-direct-democracy-womens-movements-in-senegal-and-south-africa/

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 130, 4/2014, S. 6-7
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juni 2015

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