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FRAUEN/684: Klimawandel und Patriarchat (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 140, 2/17

Klimawandel und Patriarchat

Fliehen Frauen vor Klimakatastrophen oder vor Ungleichheitsverhältnissen?

von Sybille Bauriedl


In der internationalen Klimadebatte kursieren Bilder von armen Frauen in Entwicklungsländern, die die Lasten des Klimawandels buchstäblich auf den Schultern tragen, da sie immer weitere Wege für die Versorgung ihrer Familie mit Wasser und Brennholz gehen müssen. Sie werden als tendenziell besonders verwundbar gegenüber den Folgen des Klimawandels dargestellt. Begründet wird diese ungleiche Verwundbarkeit in zahlreichen Studien der Vereinten Nationen und von NGOs durch biologisch und kulturell abgeleitete Geschlechterrollen. Ist der Klimawandel Ursache von Flucht und Migration? Gibt es frauenspezifische Fluchtursachen im Klimawandel?


Infolge von Naturkatastrophen sterben deutlich mehr Frauen als Männer - immer wieder sind auffällig ungleiche Mortalitätsraten von Männern und Frauen zu beobachten. Für diese geschlechtsspezifische Betroffenheit gibt es verschiedene Erklärungsversuche, die sich empirisch schwer belegen lassen, da sie mit indirekten geschlechtsspezifischen Ursachen argumentieren. Der Klimawandel wird als Verstärker von Ungleichheitsstrukturen betrachtet. Diese führen dazu, dass vor allem Frauen von durch Klimawandel bedingten Extremereignissen betroffen sind und migrieren müssen.


Frauen fliehen anders als Männer

Die hohen Todeszahlen von Frauen bei Flutkatastrophen - explizit in islamischen Ländern wie Bangladesch oder Pakistan - werden dadurch erklärt, dass Frauen weniger Mobilitätsmöglichkeiten haben, dass sie ohne männliche Begleitung nicht das Haus verlassen und weniger Zugang zu relevanten Informationen haben. Diese Kausalkette führt zu einer additiven Viktimisierung von armen Frauen in Entwicklungsländern. Weil sie aufgrund ihrer Sorgearbeit und familiären Abhängigkeit grundsätzlich verwundbarer als Männer seien.

Diese verkürzten Erklärungen naturalisieren soziale und ökonomische Dimensionen sozialer Ungleichheit, über die bestimmte Armutsformen erst generiert werden. So verstellen sie den Blick auf die Frage, warum Frauen stärker von Armut und Ausgrenzung betroffen sind und was das für den Umgang mit dem Klimawandel in konkreten Situationen bedeutet.

Die aktuelle Berichterstattung über Dürreopfer in Somalia und im Südsudan zeigt vor allem Mütter mit Kindern. Diese Repräsentationen illustrieren geschlechtskonformes, heteronormatives Rollenverhalten und eliminieren die vielfältigen Realitäten von Geschlecht und Geschlechterverhältnissen. Diese Bilder verschweigen auch, dass die rettenden Flüchtlingslager eine Bedrohung durch sexuelle Gewalt bedeuten sowie den fortgesetzten Kampf um knappe Lebensmittel. Biographien und Strategien, die Geschlechternormen aufbrechen, sind kein Gegenstand von Vulnerabilitäts- oder Klimaanpassungsstudien.


Das Patriarchat im Anthropozän

Die Spuren des Industriekapitalismus mit seinem Massenkonsum werden auch noch in Hunderttausenden Jahren sichtbar sein. Diese Eingriffe und Einflüsse der Menschen auf unseren Planeten haben im Sommer letzten Jahres den internationalen Geolog_innenverband dazu bewogen, ein neues geologisches Zeitalter zu verkünden: das Anthropozän. Damit ist eine eindeutige Botschaft verbunden: Die Folgen des Klimawandels sind nicht mehr rückgängig zu machen.

Die zweite Botschaft kommt hingegen zwiespältig daher: Wer die Kraft hat, ein geologisches Zeitalter auszurufen, hat auch die Möglichkeit, die negativen Folgen zu beherrschen. Und die Möglichkeiten werden in der nationalen und internationalen Klimapolitik bisher immer im Bereich technologischer Innovationen gesehen. Diese sollen einen effizienten Ressourceneinsatz ohne Kohlenstoffemissionen ermöglichen. Der Klimawandel wird als ein technologisches Problem betrachtet. Dabei wird verdrängt, dass die kapitalistische Industrialisierung zwei Geschwister hat: den Imperialismus und das Patriarchat.


Sorgearbeit für den Klimaschutz

Der Einsatz von Klimaschutztechnologien zeigt schon heute, dass dadurch Frauen im Globalen Süden weitere Lasten aufgebürdet werden. Ein offensichtliches Beispiel ist der Einsatz von ressourceneffizienten Kochern auf Haushaltsebene. Frauen werden in sogenannten Entwicklungsländern - insbesondere in Südasien und Ostafrika - gedrängt, nicht mehr auf dem offenen Feuer zu kochen, damit ihre Nationalregierungen Emissionszertifikate an Unternehmen in Industrieländern verkaufen können. Die kochenden Frauen profitieren finanziell nicht davon.

Auch Waldschutzprogramme der Vereinten Nationen gehen oft zu Lasten der Frauen, die auf das Sammeln von Wurzeln und Früchten auf Gemeinschaftsflächen angewiesen sind. Denn wenn eine Waldfläche zur Reduktion von Kohlenstoff in der Atmosphäre dient, darf sie nicht mehr mehrfach genutzt werden. Frauen im Globalen Süden sind in vielen Regionen stärker von den Folgen des globalen Klimaschutzes betroffen ebenso wie vom Klimawandel.


Geschlechtergerechtigkeit der Klimapolitik

Beim Pariser Klimagipfel von 2015 wurde ein ehrgeiziges Programm zur Kohlenstoffreduktion beschlossen. Dabei ist das Ziel die sogenannte Dekarbonisierung von Wirtschaft und Transport um 90 % bis 2050 schon heute obsolet. Politisch relevanter ist ohnehin die Vereinbarung, dass die Wahl der Maßnahmen den Nationalstaaten und deren Industrien übertragen wird. Diese können entscheiden, ob sie in Großtechnologien zur Treibhausgasreduktion investieren, Zertifikate für Verschmutzungsrechte kaufen, fossile Energieträger substituieren (Energiewende) oder auf emissionsintensive Wirtschafts- und Lebensweisen verzichten (Postwachstum).

Solange patriarchale und imperiale Lebensweisen kein internationales Thema sind, werden die Verantwortung für den Klimawandel und die Lasten des Klimaschutzes ungleich verteilt bleiben. Und diese Ungleichheit verläuft entlang (neo-)kolonialer Grenzen, entlang geschlechterkonformer Rollenverteilung und entlang ökonomischer Kräfteverhältnisse. Frauen machen sich nicht von Natur aus mehr Sorgen um die Folgen des Klimawandels, sondern ihre Bereitschaft für eine häusliche und emotionale Sorgearbeit wird in der klimapolitischen Debatte funktionalisiert.

Um diese patriarchale Praxis deutlicher erkennen zu können, sollte die Diskussion um den Zusammenhang von imperialer, patriarchaler und heteronormativer Arbeitsteilung im Kapitalismus wiederbelebt werden. Nur so können die für Flucht entscheidenden Faktoren thematisiert und Geschlechtergerechtigkeit im Klimawandel eingefordert werden. Die Diagnose geschlechtsspezifischer Verwundbarkeit oder Begriffe wie "geschlechtsspezifische Klimaflucht" naturalisieren und verschleiern hingegen patriarchale und neoimperiale Ungleichheitsstrukturen.


Zur Autorin:
Sybille Bauriedl arbeitet zu Klimagerechtigkeit, Energiewende, Bioökonomie, Digitalisierung und Nachhaltigkeit in Europa und Ostafrika. Sie ist Gastprofessorin für Geographie und Geschlechterforschung an der Universität Graz, lebt in Hamburg und betreibt den Blog: https://klimadebatte.wordpress.com.

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 140, 2/2017, S. 12-13
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juli 2017

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