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FRAUEN/715: Zwischen Revolte und Repression - Frauenbewegungen in der Türkei (Universität Bremen)


Universität Bremen - Pressemitteilung vom 2. März 2018

Zwischen Revolte und Repression: Frauenbewegungen in der Türkei


Am Internationalen Frauentag am 8. März gehen auf der ganzen Welt Frauen für ihre Rechte auf die Straße. In der Türkei sind die Frauenbewegungen eine tragende Kraft für den gesellschaftlichen Wandel. Eine Studie von Forscherinnen der Universität Bremen gibt nun einen Einblick.

In der Türkei sind die Aktionen zum 8. März von besonderer Bedeutung. Seit Jahren nehmen die Repressionen gegen regierungskritische Aktivistinnen und Aktivisten zu. Demonstrationen und Proteste werden gewaltsam beendet oder von vornherein untersagt. Aber die Frauen haben sich nicht davon abhalten lassen. Am feministischen Nachtmarsch im März 2017 nahmen trotz des Verbots der Veranstaltung rund 40.000 Menschen teil.

Vielfalt und Stärke der Frauenbewegungen im Blick

Wie die verschiedenen Frauenbewegungen in der Türkei trotz ihrer Unterschiede zusammenarbeiten und welche gemeinsamen Ziele sie verfolgen, haben Wissenschaftlerinnen am Fachbereich Erziehungs- und Bildungswissenschaften der Universität Bremen seit 2014 in intensiven Feldstudien untersucht. Dafür nahmen Charlotte Binder und Aslı Polatdemir an Veranstaltungen zum Weltfrauentag teil und interviewten zahlreiche Aktivistinnen. "In den deutschen Medien herrscht oft ein Opferdiskurs über die muslimische türkeistämmige Migrantin vor. Ebenso fokussiert die Forschung über feministische Debatten und Bewegungen in der Türkei häufig auf die Defizite. Uns war es daher wichtig, die Aktivitäten und Debatten von Frauenbewegungen sichtbar zu machen, die gesellschaftliche Alternativen entwickeln und mitgestalten", erläutert Projektleiterin Professorin Yasemin Karakaşoğlu ihr Forschungsanliegen.

Was trennt, was eint?

Das Team um die Erziehungswissenschaftlerin konnte vor allem eines zeigen: Die Frauenbewegungen in der Türkei funktionieren trotz bestehender Differenzen zwischen verschiedenen Gruppen über die meisten ideologischen Grenzen hinweg als starkes Bündnis, wenn es um den Kampf gegen Gewalt an Frauen geht, um Zugangsrechte zu Arbeit und Bildung. Sie ist somit ein wichtiger Akteur in der Zivilgesellschaft im Kampf um soziale Veränderung. Aber auch Grenzen eines gemeinsamen Verständnisses werden deutlich: So sind Teile der religiös-konservativen Frauenbewegung inzwischen so eng mit der Regierungspartei AKP verbunden, dass sie von vielen feministischen Aktivistinnen nicht als ihre Bündnispartnerinnen gesehen werden. Auch trennen unterschiedliche Vorstellungen von einer geschlechtergerechten Gesellschaft die Aktivistinnen der links-feministischen und religiös-konservativen Frauenbewegungen.

Solidarität mit gefährdeten Kooperationpartnerinnen in der Türkei

Karakaşoğlu ist es wichtig, mit ihrer Forschung auf einen bitteren Umstand hinzuweisen: Einige ihrer Kooperationspartnerinnen an den Universitäten Ankara und Istanbul werden inzwischen massiv an der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert oder wurden sogar inhaftiert, viele der untersuchten Einrichtungen und Vereine wurden aufgelöst, ihre Mitglieder kriminalisiert. "Der 8. März ist für uns auch ein Anlass, auf dieses Unrecht aufmerksam zu machen. Wer sich in der Türkei für Frauenrechte einsetzt, muss aktuell mit Unterdrückung oder Verhaftung rechnen. Daher ist es uns ein großes Anliegen, die Arbeit von Aktiven im Bereich der Frauenarbeit und Geschlechterforschung bekannt zu machen und den Austausch mit ihnen auch unter schwierigen Bedingungen aufrecht zu halten."

Das Projekt "Frauenbewegungen im innertürkischen Vergleich" wurde von der Stiftung Mercator als eines von fünf Projekten des Programms "Blickwechsel. Studien zur zeitgenössischen Türkei" gefördert. Der Ergebnisbericht ist jetzt in den vier Sprachen Deutsch, Englisch, Türkisch und Kurdisch online erschienen. "Wir haben uns für eine Online-Publikation entschieden, da wir dies für eine transnational besonders gut zugängliche Form der Veröffentlichung halten. Über die Mehrsprachigkeit wollen wir unsere Ergebnisse über den Wissenschaftskontext hinaus bekannt machen und in einen Austausch auch mit Aktivist*innen, die sich uns für die Studie geöffnet haben, treten", erklären die Wissenschaftlerinnen.


Weitere Informationen:
www.fb12.uni-bremen.de/de/interkulturelle-bildung/forschung/frauenbewegungen-im-innertuerkischen-vergleich/forschungsergebnisse.html

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Quelle:
Pressemitteilung vom 2. März 2018 ML
Universität Bremen, Pressestelle
Telefon: 0421- 218 - 60150, Fax: 0421-218 - 60152
E-Mail: presse@uni-bremen.de
Internet: www.uni-bremen.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. März 2018

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