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GENDER/008: Zur Situation von Lesben in China (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 108, 2/09

Hochzeit in Weiß
Zur Situation von Lesben in China

Von Astrid Lipinsky


Obwohl es die inszenierte Hochzeit eines lesbischen Paars in Beijing zu Valentin 2009 sogar in die internationale Presse schaffte, ist lesbisches Zusammenleben noch lange nicht Alltag in der chinesischen Gesellschaft, die auf Heteronormativität, das Recht des Mannes auf eine Frau und auf kontrollierte Fortpflanzung ausgerichtet ist, was im Ernstfall auch mit Staatsgewalt durchgesetzt wird, wie die Autorin im Folgenden beschreibt.


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Was es auf das Titelblatt von Vogue schafft, muss es auch in Beijing (sprich: im modernen, weltoffenen, großstädtischen China) geben: Am Valentinstag 2009 ließen sie sich mitten im großstädtischen Fußgängerzonen-Trubel ungestört sehen und ablichten, ein lesbisches Paar, inklusive Brautstrauß, Schleier und Hochzeitskuss. Die Fotos fanden sich sogar auf chinesischen Internetseiten, und die internationale Presse(1) berichtete exklusiv.


Bedienung von Klischees

Seine Absicht, lesbische Liebe in China aus der Schmuddelecke zu holen und ins Licht der Öffentlichkeit zu bringen, hat das Paar erreicht, nur leider auch die Realität und herrschende Klischees bedient: Lesbisch leben zu wollen, ist eine westliche Idee. Deshalb findet die Lesben-"Heirat" im weißen, westlich gerüscht-romantischen, langen Kleid statt. Zwar werden in China solche Brautkleider immer populärer, aber chinesisch ist das nicht. Die chinesische Braut heiratet in der Glücksfarbe Rot. Sogar die Geschenke sind rot kuvertiert. Dagegen haben die Geldumschläge, die man zu einer Trauerfeier mitbringt, weiß zu sein, denn Weiß ist die Trauerfarbe, die Nicht-Farbe der jenseitigen Welt der Geister.

Chinesische Eltern würden auf rot bestehen, oder wenigstens rosa. Wenn die Braut in Weiß heiraten will, sollte sie sich wenigstens dann, wenn es an den familiären Teil der Zeremonie geht, umziehen. Oder für die Fotos im Hochzeitsbilder-Studio die weiße Robe anziehen, aber nicht, wenn es ernst wird.

Bei dem Lesbenpaar ist das anders: Es ist keine Familie in Sicht. Umfragen der letzten Jahre und Lebensberichte von Lesben zeigen, dass sich das chinesische Lesbenleben nicht nur auf die Großstädte beschränkt, sondern auch auf die Jugend der Beteiligten. Viele Eltern trösten sich damit, dass es eine vorübergehende Phase ist, solange die Tochter studiert (umso besser, wenn sie mit einer Frau zusammenlebt, da kann sie wenigstens nicht ungewollt schwanger werden), oder solange sie sich noch innerhalb des heterosexuellen Heiratsalters bewegt. In Chinas Großstädten verschiebt sich das immer weiter nach oben, bis die Tochter Ende 30 ist, müssen sich Eltern und Arbeitskollegen noch keine Sorgen machen und die Vermittlungsversuche nicht intensivieren. Dennoch: die lesbische Hochzeit kann nicht ernst gemeint sein und wird aus familiärer, vor allem aus elterlicher Sicht nicht ernst genommen.


Kontrollierte Fortpflanzung in der Ehe als Ideal

Die Verheiratung der Kinder (des Kindes) ist die alleroberste moralische Pflicht der Eltern. Selbst wenn man ihnen im heutigen großstädtischen China nicht mehr folgt, so haben Eltern doch die traditionellen Hochzeitsriten im Hinterkopf, die allesamt auf das Kindergebären, auf die Hochzeit als offizielle Legitimation der Familiengründung verweisen. "Hochzeit" ist - auch - ein Fruchtbarkeitsritual. Als solches ist sie sogar von staatlicher Seite legitimiert: Außereheliche Geburten sind in China nicht erlaubt, aber mit dem Hochzeitsdatum kann das Paar einen Geburtenplatz beantragen, und dieser wird, je eher die Beteiligten das Hochzeitsmindestalter (20 Jahre für Frauen und 22 für Männer) schon deutlich überschritten haben, auch umgehend bewilligt. Chinas Ehegesetz verspricht, das erwünschte "späte Gebären" möglichst zu fördern. Eine Mutter in den Dreißigern erhält verlängerten Gebärurlaub und die maximale ärztliche Schwangerschaftsbegleitung.

Solche Hochzeit ist notwendigerweise heterosexuell (Paragraph 5 Ehegesetz). Bis Anfang August 2003 hat sich China sogar mit der Registrierung und damit offiziellen Erlaubnis einer heterosexuellen Hochzeit zwischen zwei HIV-Positiven schwer getan. Gleichgültig, dass beide Beteiligte bereits Kinder hatten und versprachen, keine mehr zu wollen, egal, dass sie ihre Heirat als Vereinbarung zur gegenseitigen Fürsorge und Pflege beim Ausbruch der Aids-Krankheit verstanden. Trotz der nationalen "offiziellen" Genehmigung werden in vielen Provinzen Eheschließungen von HIV-Positiven weiterhin verboten.

Am 20. Dezember 2006 hat China die Bestimmungen für Adoptionen chinesischer Kinder durch AusländerInnen verschärft. Unter anderem ist die Adoption durch homosexuelle Paare jetzt ausdrücklich verboten. Homosexualität, so die Erläuterungen auf offiziellen chinesischen Webseiten, gelte in China als psychische Störung und sei nicht vereinbar mit der traditionellen chinesischen Ethik. Dieser zufolge verstoße Homosexualität gegen die öffentliche Moral. Das Adoptionsgesetz verbiete aber eine Adoption, die die gesellschaftlichen Sitten verletze.


Lesbische Szene auf Großstädte beschränkt

Eine lesbische "Szene" findet sich inzwischen nicht nur in den Mega-Großstädten Peking, Shanghai oder Hongkong, sondern auch in etwas kleineren Großstädten wie Kunming oder Xi'an. Informationen über die jeweilige lokale lesbische Szene finden sich auch im Internet(2).

Damit bestätigt sich dreierlei: Erstens, die lesbische Szene beschränkt sich auf eine Handvoll Großstädte und findet sich dort vor allem in Bars und Cafés. Es ist eine vorwiegend nächtliche, und insofern verborgene Gemeinschaft, die vorwiegend "gemütliche Privatsphäre" zum Treffen und Gespräch bietet. Im Angebot sind regelmäßige "lesbische Nachmittage". Es werden auch lesbische Filme gezeigt. Zweitens, die Szene ist stark international orientiert, ausschließlich in touristischen Metropolen zu finden und wirbt aktiv Ausländerinnen. Und drittens, das bestätigen auch chinesische Lesben, haben erst das Internet, e-zines und Blogs die Verbreitung von lesbischem Leben in China möglich gemacht. Mehrere junge Lesben schreiben, dass sie erst im Internet festgestellt haben, dass sie nicht abnorm sind, sondern dass es "viele viele wie mich gibt", wie eine Bloggerin sich freut.


Cyberspace fördert Identität

Durch das Internet kann sich lesbisches Leben in China einerseits genauer inhaltlich füllen, ausdifferenzieren und internationalisieren. Über den Internet-Diskurs kann eine lesbische Identität entwickelt werden. Lesbisches Leben entdeckt sich als Vielzahl und schafft Solidarität. Ausdruck war zum Beispiel die Gründung einer ersten Lesben-Beratungs-Hotline in Shanghai im November 2006. Die Lesben-Hotline ist Ableger einer schon länger bestehenden Hotline für Homosexuelle in Shanghai, wo bis dahin ausschließlich männliche TelefonberaterInnen auch die weiblichen Homosexuellen abdeckten. Dieser Ursprung lässt sich verallgemeinern: Schwule sind in China viel prominenter präsent und breiter vernetzt als Lesben. Als HIV/ Aids-Risikogruppe sind sie Fokus von Regierungsinitiativen, auch, weil viele Männer bisexuell leben und Frau und Familie infizieren könnten.

Andererseits wird durch das Internet das lesbische Leben virtualisiert und anonymisiert. Nutzerinnen können sich als Lesben definieren, ohne in der Alltagsrealität lesbisches Leben jemals ausprobiert zu haben. Virtuell lebt es sich als Lesbe problemlos und ohne in Konfrontationen verwickelt zu werden. Aus dem tatsächlichen Leben werden dagegen immer wieder Polizeirazzien, willkürliche Verhaftungen und Schließungen von lesbischen Bars gemeldet. Es gibt keine zahlenstarke lesbische "Masse", die gegen solche Aktionen kollektiv protestieren könnte oder wollte. Öffentliche Lesben treten, wie auch die Beijinger Valentinstagshochzeit zeigt, einzeln auf, und sind nicht willens, mit ihrem richtigen Namen für ihre Ausrichtung einzustehen.

Der kommunistische chinesische Staat hat bisher immer alles aktiv unterbunden, was den breiteren - häufig mit Gewalt gegen Frauen verbundenen - Protest einer Vielzahl von Männern auslöste. Aufgrund solcher Proteste wurde die Scheidungsfreiheit, die vorwiegend Frauen beanspruchten, vorwiegend im ländlichen China immer wieder eingeschränkt. Es ist anerkannt, dass jeder Mann Anspruch auf eine Frau hat, und dass der Staat die Durchsetzung dieses Anspruches garantiert. Wo sich Frauen dem publikumswirksam und öffentlich in großer Zahl entziehen, greift der Staat ein. Das dürfte auch für Lesben gelten. Solange ihre Zahl klein bleibt und ihr Leben wenig öffentlich, so lange dürfte es sie auch offiziell geben: die chinesische Lesbe und das chinesische lesbische Paar.


Anmerkungen:
(1) Zum Beispiel: www.guardian.co.uk/world/2009/feb/25/gay-rights-china-beijing
(2) http://www.utopia-asia.com/womchin.htm


Zur Autorin:
Astrid Lipinsky ist Universitätsassistentin am Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Wien mit den Schwerpunkten Gender und Recht.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 108, 2/2009, S. 14-15
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Berggasse 7, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-355
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2009