Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → SOZIALES

INTERNATIONAL/020: Libyen - Migranten-Exodus kappt Auslandsüberweisungen, Löcher in Heimatbudgets (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. April 2011

Libyen: Migranten-Exodus kappt Auslandsüberweisungen - Löcher in den Heimatbudgets

Von Simba Russeau


Kairo, 14. April (IPS) - Die Revolution in Libyen hat viele tausend ausländische Arbeitsmigranten um Lohn und Brot gebracht und außer Landes getrieben. In ihren asiatischen, nord- und schwarzafrikanischen Heimatländern fehlt jetzt zahllosen Familien und Gemeinden das Geld, das die fernen Gastarbeiter bislang regelmäßig nach Hause schickten. Die Überweisungen aus dem Job-Eldorado Libyen, auf dessen gigantischen Infrastrukturprojekten selbst unqualifizierte Arbeitsuchende aus armen Ländern vergleichsweise gut bezahlt wurden, sind vorerst versiegt.

"Verloren sind auch hohe Vorausleistungen wie etwa Visakosten von 2.000 bis 3.000 US-Dollar, für deren Finanzierung Migranten bisweilen sogar ihr Land verkaufen", berichtete der Wirtschaftswissenschaftler Mizanur Rhamna von der Nationaluniversität von Singapur.

Nach jüngsten Berechnungen der Weltbank haben Arbeitsmigranten aus Entwicklungsländern 2010 mehr als 325 Milliarden Dollar in ihre Heimatländer überwiesen und damit das Gesamtaufkommen an Entwicklungshilfe und ausländischen Direktinvestitionen noch übertroffen.

Nach Angaben der Afrikanischen Entwicklungsbank (AfDB) ließen allein afrikanische Migranten ihren Heimatländern 2010 insgesamt 40 Milliarden Dollar zukommen - viermal mehr als noch vor 20 Jahren.

"Für Afrikaner, die im eigenen Land den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien nicht mehr aufbringen konnten, waren vor allem wirtschaftlich stabile Länder wie Libyen attraktiv", stellte die Expertin Emira Woods fest, Ko-Direktorin der Abteilung für Außenpolitik am 'Institute for Political Studies' in Washington.

"Als Potential für die Finanzierung wirtschaftlicher Entwicklung gelten Lohnüberweisungen in die Herkunftsländer als ein schlafender Riese", sagte die Politologin. Sie werden zum finanziellen Bindeglied zwischen den Menschen und ihren Gemeinden, denn mit ihrer Hilfe lassen sich Infrastrukturprojekte wie Krankenhäuser, Schulen und Straßen bauen."

Wie die Expertin weiter betonte, haben die Auslandsüberweisungen vielen Staaten geholfen, sich von externen Geldgebern wie Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) unabhängiger zu machen, deren Kredit- und Zinsbedingungen Afrika wenig geholfen haben.

Seit Muammar al-Gaddafis Machtübernahme 1969 strömten Arbeitsmigranten nach Libyen, um am Aufbau des nordafrikanischen Landes mitzuarbeiten. Zunächst kamen tunesische Bauarbeiter, ägyptische und palästinensische Lehrer sowie Ärzte und Krankenschwestern aus Jugoslawien und Bulgarien.


"Im eigenen Land mehr Arbeitsplätze schaffen"

20 Jahre später machten sich zahllose Jobsuchende vor allem aus Asien sowie aus West- und Sub-Sahara-Afrika auf den Weg nach Libyen, angelockt von Monatslöhnen von bis zu 300 Dollar für ungelernte Arbeitskräfte.

Angesichts des derzeitigen Exodus von tausenden Migranten, die vor der Gewalt in ihre armen Heimatländer wie Ägypten zurückströmen, zeigt sich jedoch die gesamtwirtschaftliche Kehrseite dieser Entwicklung. "Diese Länder mit ohnehin hoher Arbeitslosigkeit stehen unversehens vor dem Problem, den arbeitslos gewordenen Heimkehrern Jobs zu beschaffen", sagte Ibrahim Awad, der Direktor des Studienzentrums für Migrations- und Flüchtlingsfragen an der Amerikanischen Universität in Kairo, im Gespräch mit IPS.

"Jetzt wird deutlich, wie abhängig manche Länder von den Einkünften ihrer im Ausland arbeitenden Bürger sind. In manchen Ländern machen die Auslandsüberweisungen mehr als 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Hier klaffen nicht nur in den Familienbudgets, sondern auch im Staatshaltshalt Löcher, die kaum zu stopfen sind", warnte Awad. "Bemühungen, mit Hilfe der Auslandsüberweisungen die Wirtschaft anzukurbeln und die Armut zu bekämpfen, geraten jetzt ins Stocken."

Wenn die Revolutionsbewegung auch auf die reichen Ölstaaten am Persischen Golf übergreift, könnten dort elf Millionen Migrantenjobs auf dem Spiel stehen. Awad rät den betroffenen Ländern, nicht darauf zu warten, dass die Krise in Libyen endet und die Migranten dorthin zurückkehren können. "Stattdessen sollten sie ihre Abhängigkeit vom Export ihrer Arbeitskräfte zurückfahren und mit gezielten wirtschaftlichen Maßnahmen dafür sorgen, dass es im eigenen Land mehr Arbeit gibt, von der die Menschen ordentlich leben können", betonte er. (Ende/IPS/mp/2011)


Link:
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=55236

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 14. April 2011
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. April 2011