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INTERNATIONAL/053: Philippinen - Virtuelle Familienbesuche, Häftlinge kommunizieren via Skype (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 31. Oktober 2011

Philippinen: Virtuelle Familienbesuche - Häftlinge kommunizieren via Skype

von Art Fuentes und Kara Santos


Manila, 31. Oktober (IPS) - Zum ersten Mal seit der Entbindung hinter Gittern vor 13 Jahren hat Sarah ihre Tochter gesehen. Allerdings nicht in der realen Welt, sondern während eines Video-Chats über Skype. Denn die dreifache Mutter sitzt weiterhin im größten Frauengefängnis auf den Philippinen ein.

Sarah, die eigentlich anders heißt, wurde vor mehr als zehn Jahren wegen Drogenhandels verurteilt. Damals wusste sie noch nicht, dass sie schwanger war. Drei Wochen nach der Geburt ihrer Tochter im Gefängnis von Quezon City schickte sie das Baby zu ihren Verwandten nach Iloilo, etwa 480 Kilometer von der Hauptstadt Manila entfernt. Mit ihrer Familie konnte sie bisher nur über die Briefpost kommunizieren, die etwa drei Monate brauchte.

Vor kurzem führte die Haftanstalt aber ein virtuelles Besucherprogramm ein. Und Sarah sah im Internet endlich ihre jüngste Tochter und konnte nach einem Jahrzehnt wieder mit ihren beiden älteren Kindern sprechen. "Ich bin glücklich darüber, dass meine Gebete erhört wurden und dass meine Kinder gut aufwachsen", sagte Sarah.

Bevor das Programm 'e-dalaw' ('Filipino auf Besuch') Mitte Oktober eingeführt wurde, hatten auch andere Häftlinge in den überfüllten Gefängnissen von Manila ihre Angehörigen jahrelang nicht zu Gesicht bekommen. "Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, um Gefängnisse menschlicher zu machen", sagte die Sozialarbeiterin Cherry Huet, als sie Gefangenen beim Gespräch mit ihren Familien beobachtete.

Huet arbeitet für die Frauenbesserungsanstalt CIW. Sie führte in den vergangenen Wochen Interviews mit Häftlingen, um sich ein Bild von den Vorteilen des neuen Programms zu machen.


Fast die Hälfte bekommt nie Verwandtenbesuch

Der Gefängnisbehörde zufolge bekommen etwa 40 Prozent der Insassen in Manila niemals Besuch von ihren Familien. Betroffen sind vor allem die Frauen, die aus weit entfernten Provinzen stammen. Für die meisten Angehörigen sind die Fahrt- und Unterbringungskosten selbst einmal im Jahr nicht zu finanzieren. Sarahs Familie müsste auf ihrer 20-stündigen Reise auch eine Fähre nehmen. In Manila müssten die Verwandten dann eine Unterkunft für mindestens zwei Nächte bezahlen.

Filipinos sind Familienmenschen. Der Kontakt zu den Verwandten auf dem virtuellen Weg ist somit eine Bereicherung. Da inzwischen landesweit Internetverbindungen bestehen, können auch Menschen in den entlegenen Gebieten den e-Visit-Dienst nutzen. Diejenigen, die keinen eigenen Computer besitzen, haben die Möglichkeit, eines der zahlreichen Internetcafés aufzusuchen.

Die Gefängnisbehörden gehen davon aus, dass die Initiative den Häftlingen helfen wird, ihre Einsamkeit und Depressionen zu überwinden und sich später besser in die Gesellschaft zu integrieren. Einen Wermutstropfen gibt es allerdings doch: Die Gespräche können nur kurz sein, da Tausende Insassen Zugang zu den wenigen an das Internet angeschlossenen Computern suchen.

Im Gefängnis von City Jail, wo das Pilotprojekt gestartet ist, gibt es für rund 3.000 Gefangene nur fünf Rechner mit Webcams und Internetverbindung. Die Computer wurden von den Behörden gespendet, und die Verwaltung der Haftanstalt übernimmt die monatliche Internetgebühr von umgerechnet 20 US-Dollar. Davon verspricht sie sich einen Rückgang des Waffenschmuggels hinter Gittern, da weniger Besucher eingelassen werden.


Armutskriminalität

Viele Insassen der Anstalt von Quezon City wurden für armutsbedingte Straftaten verurteilt. Dazu gehören Raubüberfälle und Diebstähle, auch in Geschäften. Dem Gefängnisdirektor Joseph Vela zufolge ist die Haftanstalt zu 400 Prozent überfüllt.

Aus Sicherheitsgründen werden die Skype-Gespräche abgehört. Ältere und kranke Gefangene erhalten bevorzugt Zugang zum Internet, um Kontakt zu ihren Familien zu halten. Anfangs konnten sich die Menschen noch bis zu einer halben Stunde unterhalten. Der große Andrang hat die Dauer der elektronischen Besuche jedoch reduziert. Für die Häftlinge sind aber schon ein paar Minuten kostbar. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. November 2011