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INTERNATIONAL/070: Mexiko - Von Eltern entführte Kinder Spielball der Justiz, klare Regeln fehlen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. Januar 2012

Mexiko: Von Eltern entführte Kinder Spielball der Justiz - Klare Regeln fehlen

von Emilio Godoy


Mexiko-Stadt, 16. Januar (IPS) - Um mexikanische Kinder, die von einem Elternteil in ein anderes Land entführt werden, gibt es regelmäßig ein juristisches Tauziehen. Menschenrechtsexperten werfen den zuständigen Gerichten Willkür vor und kritisieren die Gesetzgebung als lückenhaft.

Der Umgang mit Minderjährigen, die widerrechtlich nach Mexiko oder in ein anderes Land verbracht werden, wird durch die Interamerikanischen Konventionen über die internationale Rückführung von Minderjährigen von 1994 sowie durch das Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung von 1983 geregelt.

"Der Gesetzgeber ist nicht notwendigerweise mit den Klauseln der Übereinkommen vertraut. Den meisten Richtern dienen sie nicht als Grundlage für ihre Entscheidungen", sagte Martín Pérez, der Direktor des unabhängigen Netzwerks für Kinderrechte in Mexiko (REDIM). "Wenn ein Kind aus oder nach Mexiko entführt wird, machen die Familien eine schwere Zeit durch."


Betroffene weitgehend auf sich gestellt

Die Betroffenen müssten die Suche nach ihren Kindern zudem aus eigener Tasche finanzieren, kritisierte der Experte. REDIM ist ein Bündnis aus 63 Nichtregierungsorganisationen, die sich für schutzbedürftige Kinder und Jugendliche einsetzen.

Allein 2008 wurden nach Informationen des ständigen Büros der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht im Rahmen der Übereinkunft 272 Anträge auf Rückführung von Kindern in die Obhut eines Elternteils gestellt. Das war ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu 2003, als 123 Fälle verzeichnet wurden. Hinzu kamen die Anträge, die gemäß den Regelungen der Interamerikanischen Konventionen eingereicht wurden. Hier wurde zwischen 2003 und 2008 ein Anstieg um mehr als 522 Prozent auf 168 Fälle registriert.

15 lateinamerikanische und karibische Länder verzeichneten 2008 insgesamt 315 Anträge auf Rückführung von Minderjährigen. Dies entsprach 16 Prozent aller weltweit aktenkundig gewordenen Fälle. Bei 61 Anträgen waren auf beiden Seiten Länder der Region involviert.

Nach Angaben des mexikanischen Außenministeriums wurden 2010 in dem Land 221 solcher Fälle registriert. 101 davon bezogen sich auf Entführungen von insgesamt 141 Kindern und Jugendlichen aus Mexiko in andere Länder. Bei den übrigen Fällen ging es um die unerlaubte Mitnahme von Minderjährigen nach Mexiko.

Die von Mexiko geschlossenen Freihandelsabkommen wie das 1994 in Kraft getretenen Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) und eine 2003 getroffene Globale Übereinkunft mit der EU brachten scharenweise ausländische Unternehmen in das lateinamerikanische Land. Dadurch kam es häufiger als vorher zu Eheschließungen zwischen Mexikanern und Ausländern. Außerdem zogen mehr Paare aus anderen Ländern nach Mexiko.

Auf nationaler Ebene gibt es keine Gesetze zum raschen Umgang mit solchen Fällen, kritisierte Nashieli Ramírez von der Organisation 'Ririki Soziale Intervention'. Es gebe keine umfassenden Regelungen zum Schutz von Kindern, die deren Wohl in den Vordergrund stellten. Auch das Wohlergehen von Müttern und Kindern werde nicht ausreichend berücksichtigt.


Rückführung ins Ursprungsland angestrebt

Die beiden internationalen Konventionen verfolgen das Ziel, Minderjährige im Falle einer Entführung in ihr Heimatland zurückzubringen. Zudem soll das von jedem Staat garantierte elterliche Sorgerecht geschützt werden. 2008 wurden in 36 Fällen Kinder freiwillig nach Mexiko zurückgeführt. In neun Fällen lag ein gerichtliches Urteil zugrunde. In weiteren 34 Fällen lehnten die Gerichte eine Rückführung ab, unter anderem weil der Antragsteller nicht das Sorgerecht hatte.

49 Prozent der Personen, die bei Gericht Beschwerden einreichten, waren Väter und 47 Prozent Mütter. 2008 waren 270 Kinder in Gerichtsverfahren involviert - 51 Prozent Mädchen und 49 Prozent Jungen. Bis die Richter über das Schicksal der Kinder entschieden haben, können Monate vergehen.

Pérez kritisierte, dass die Standpunkte der Minderjährigen nicht immer berücksichtigt und die Rechte des Klägers nicht immer geschützt würden. Er plädierte für eine Harmonisierung der Gesetze in den unterschiedlichen Ländern, eine bessere Vorbereitung von Richtern und Parlamentariern und klare Verfahrensweisen. (Ende/IPS/ck/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Januar 2012