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INTERNATIONAL/093: Singapur - Einwanderer unerwünscht, Bevölkerung fürchtet um Arbeitsplätze (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. Juni 2012

Singapur: Einwanderer unerwünscht - Bevölkerung fürchtet um Arbeitsplätze

von Kalinga Seneviratne



Singapur, 4. Juni (IPS) - Der schwere Autounfall eines wohlhabenden Chinesen hat die Ressentiments gegen Einwanderer in Singapur neu geschürt. Nachdem der Mann bei überhöhter Geschwindigkeit seinen Ferrari zu Schrott gefahren hatte, wurde in Medienberichten und Kommentaren in Online-Foren kräftig gegen Ausländer gewettert, die in dem kleinen südostasiatischen Stadtstaat wohnen und arbeiten.

Die Reaktionen waren so heftig, dass die Botschaft der Volksrepublik einen offenen Brief in der Zeitung 'Strait Times' veröffentlichen ließ. Darin werden die Einwohner von Singapur dazu ermahnt, sich an die Gesetze ihres Staates zu halten.

Wie aus einer im Februar veröffentlichten Rangliste des Magazins 'Forbes' hervorgeht, ist Singapur das drittreichste Land der Welt. Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen liegt dort bei 58.700 US-Dollar. In dem wohlhabenden Inselstaat, der nur etwa 640 Quadratkilometer groß ist, leben vier Millionen Menschen. Rund ein Viertel von ihnen sind ausländische Arbeitskräfte.

Einwanderung ist in Singapur zu einem kontrovers diskutierten Thema geworden. Dabei ist Singapur ein Vielvölkerstaat, in dem Chinesen, Inder und Malaien seit Generationen zusammenleben. Seit den Wahlen im vergangenen Jahr, bei denen die regierende 'People's Action Party' (PAP) das schlechteste Ergebnis seit der Staatsgründung erzielte, sorgen die Immigranten zunehmend für Schlagzeilen in den Medien. Das Wahlergebnis wird in erster Linie auf den Unmut der Bevölkerung gegen die liberalen Einwanderungsgesetze zurückgeführt.


Ausländer als Konkurrenten wahrgenommen

Der Journalist Jaya Prakash kritisierte, dass die Zahl der Ausländer in Singapur auf eine "inakzeptable" Höhe gestiegen sei. Er warf der Regierung vor, Einwanderern Zugang zu Jobs und ihren Kindern Plätze in Schulen zu gewähren, die eigentlich Einheimischen vorbehalten sein sollten. Die Singapurer seien mittlerweile dazu gezwungen, mindere Tätigkeiten zu geringeren Löhnen zu verrichten, sagte er. Dadurch sei die Lebensqualität vieler Menschen im Land deutlich gesunken.

Der frühere Parlamentarier Viswa Sadasivan sieht vor allem Bildung und Militärdienst als heiße Eisen. Alle jungen Männer in Singapur über 17 Jahren müssen zweieinhalb Jahre Dienst bei den Streitkräften ableisten. Einwanderer aus dem Ausland sind selbst befreit, müssen aber ihre Söhne zum Militär schicken.

Eine wachsende Zahl Chinesen und Inder wird inzwischen an singapurischen Universitäten angenommen, während viele Einheimische keinen Zugang zu höheren Bildungseinrichtungen erhalten. Diese Situation hat für breite Unzufriedenheit gesorgt. "Die Singapurer fühlen sich übervorteilt", sagte Sadasivan. "In vielen anderen Ländern hätten solche Probleme das Potenzial, die Regierung zu stürzen."

Nach Ansicht von Tang Li von der Beratungsfirma 'Tang-Asia Consultants' traten die Ressentiments gegen Ausländer 2004 auf. Damals habe die Regierung die Türen für Immigranten geöffnet, ohne zuvor die notwendige Infrastruktur geschaffen zu haben. Plötzlich seien Menschen da gewesen, die mit den Einheimischen um Wohnungen sowie um Schul-, Bus- und Zugplätze konkurriert hätten. "Als alles immer voller und unbequemer wurde, richteten sich die Frustrationen gegen das sichtbarste Ziel - die Neuankömmlinge."

Nach der Lockerung der Einwanderungsbestimmungen 2004 kamen Tausende arbeitsuchende Einwanderer in den Stadtstaat, vor allem aus China, Indien und den Philippinen. Mehr als 250.000 weitere 'ungelernte' Arbeitskräfte aus anderen asiatischen Ländern fanden in Singapur eine Beschäftigung auf dem Bau oder in Haushalten.

Wie Prakash hervorhob, erbosten sich viele Singapurer insbesondere darüber, dass ein Regierungsprogramm für ausländische Universitätsabsolventen ein festes monatliches Einkommen von umgerechnet mindestens 1.450 US-Dollar vorsah. Das Mindestgehalt für einen einheimischen Akademiker liegt für gewöhnlich bei 1.900 Dollar.


Ausländische Arbeitskräfte bevorzugt

Die unabhängige 'Dreiparteien-Allianz für faire Einstellungspraktiken' erklärte in ihrem im April veröffentlichten Jahresbericht, dass die Bevorzugung von Ausländern durch Arbeitgeber auf der Liste der Beschwerden über Zustände auf dem Arbeitsmarkt ganz oben stehe.

Sadasivan ist zwar ein Befürworter der multikulturellen Gesellschaft in Singapur. Zugleich ist ihm bewusst, dass die Reaktionen gegen Ausländer eine Folge aufgestauter Emotionen von Bürgern sind, die der Regierung vorwerfen, ihre Forderungen nach einer beschränkten Aufnahme von Ausländern missachtet zu haben. (Ende/IPS/ck/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juni 2012