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INTERNATIONAL/103: Sri Lanka - Kindesmissbrauch auf dem Vormarsch, Minister will Todesstrafe verhängen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. Juli 2012

Sri Lanka: Kindesmissbrauch auf dem Vormarsch - Minister will Todesstrafe verhängen

von Feizal Samath


Demonstranten in Colombo fordern Festnahmen von Kinderschändern - Bild: © Feizal Samath/IPS

Demonstranten in Colombo fordern Festnahmen von Kinderschändern
Bild: © Feizal Samath/IPS

Colombo, 26. Juli (IPS) - Nach einem rapiden Anstieg der sexuellen Gewalt gegen Kinder in Sri Lanka haben Menschenrechtsaktivisten Alarm geschlagen. Auf Druck zivilgesellschaftlicher Organisation zieht der zuständige Minister nun mögliche Gesetzesverschärfungen und sogar die Todesstrafe in Betracht.

Laut Daten der Regierung, die seit Mai dem Parlament vorliegen, wurden 2011 insgesamt 1.450 Vergewaltigungen von Frauen angezeigt. 1.169 der Opfer waren Kinder. Behörden und Aktivisten zeigten sich alarmiert. Wie die Polizei Anfang Juli mitteilte, wurden allein in der ersten Hälfte von 2012 mehr als 700 Anzeigen wegen Vergewaltigung und sonstigen Missbrauchs von Kindern erstattet. Täglich würden im Durchschnitt mindestens vier Fälle gemeldet.

Die nationale Kinderschutzbehörde NCPA geht von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus. Sie hält 20.000 Fälle für das erste Halbjahr für durchaus realistisch. NCPA führt die Verbrechen an Kindern auf mangelnde Sicherheit, die Verbreitung von internetfähigen Mobiltelefonen unter Jugendlichen, den Zugang zu Pornografie, zunehmenden Drogenmissbrauch und mangelnde sexuelle Aufklärung zurück.

Eine im vergangenen Oktober veröffentlichte Studie über den sexuellen Missbrauch von Kindern im Norden des Inselstaats zeigte, dass in 30 Prozent der Fälle unter 15-jährige Mädchen mit einem männlichen Partner einvernehmlichen Sex hatten. Die Region war der Hauptschauplatz des jahrzehntelangen Bürgerkriegs zwischen der Regierung und den separatistischen Tamilen-Rebellen, der seit 2009 beendet ist.

In den weiteren Fällen seien Verwandte, Lehrer oder religiöse Würdenträger die Täter, sagte ein Jurist, der im Büro des Generalstaatsanwalts arbeitet. "Wir leisten unseren Teil, doch auch die Gesellschaft muss sich mit dem Problem ernsthaft auseinandersetzen."


Auch Politiker in Missbrauchsfälle verwickelt

Nicht nur im Norden und Osten von Sri Lanka haben es einflussreiche Personen auf junge Mädchen abgesehen. Kürzlich identifizierte eine 13-Jährige vier Männer, die sie vergewaltigt hatten. Einer von ihnen ist ein Lokalpolitiker, der der Regierungspartei UPFA angehört. Ein weiteres Parteimitglied, das dem Gemeinderat in der südlichen Stadt Akuressa vorsitzt, befindet sich in Untersuchungshaft, weil er eine 14-jährige missbraucht haben soll.

Die Frauengruppe 'Women and Media Collective' (WMC) prangert diese Verbrechen offen an. Sri Lanka verwandele sich in eine Gesellschaft, in der "Urheber von Freveltaten gegen Frauen und Kinder ohne Angst vor dem Gesetz leben können".

Minister Tissa Karaliyadda, der im Kabinett für Frauen und Kinder zuständig ist, erklärte Anfang Juli, dass er die Gesetze zu Kindesmissbrauch verschärfen und als Strafmaß die Todesstrafe vorschlagen werde. Zudem wollen die Behörden die bisherige Dauer der Gerichtsverfahren von durchschnittlich sechs Jahren beschleunigen.

Hinzu kommt, dass bislang großzügige Kautionsregelungen der Straffreiheit Vorschub leisten. Im Rahmen eines vom Weltkinderhilfswerk UNICEF unterstützten Projektes versuchen die Justizbehörden die Dauer der Verfahren an ausgewählten Gerichten auf drei Monate zu begrenzen.

Der für UNICEF tätige Kinderschutzexperte Hemamal Jayawardena führt den Anstieg der Fälle auch darauf zurück, dass mehr Meldestellen für Missbrauch eingerichtet worden seien, insbesondere im ehemaligen Kriegsgebiet im Norden. Die Menschen seien stärker als früher für das Thema sensibilisiert und würden Informationen an die Behörden weitergeben.


Sex mit unter 16-Jährigen kommt Vergewaltigung gleich

Jayawardena wies allerdings auch darauf hin, dass es sich in manchen vermeintlichen Missbrauchsfällen um Beziehungen zwischen Minderjährigen handeln könnte, die von zu Hause ausgerissen seien. Nach srilankischem Recht wird Geschlechtsverkehr mit Jugendlichen unter 16 Jahren generell als Vergewaltigung gewertet. Täter werden mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft.

Menaca Calyaneratne von der Organisation 'Save The Children' in Colombo warnte davor, dass sich ein neuer Typ von Täter herausbilde, der systematisch Kinder missbrauche und sich sogar Arbeitsplätze suche, an denen er leichter Zugang zu Minderjährigen habe. Kinderschänder könnten also auch unter Schuldirektoren, Lehrern und Sporttrainern zu finden sein, betont sie. In 90 Prozent der Fälle kannten sich Opfer und Täter bereits.

Die unzureichende sexuelle Aufklärung von Teenagern vor allem in ländlichen Regionen verschärft das Problem. In einem Dorf etwa 75 Kilometer nördlich der Hauptstadt Colombo berichtete ein Sozialarbeiter von mindestens fünf Fällen allein in diesem Monat. 13- bis 15-jährige Mädchen hätten sich mit über 20-jährigen Männern, zumeist Soldaten, eingelassen und seien mit ihnen weggelaufen. Erst wenn die jungen Frauen zurückkehrten, würden ihre Eltern Anzeige wegen des Verdachts auf Missbrauch erstatten. (Ende/IPS/ck/012)


Links:

http://www.childprotection.gov.lk/
http://womenandmedia.org/
http://www.unicef.org/infobycountry/sri_lanka.html
http://www.savethechildren.lk/
http://www.ipsnews.net/2012/07/child-rape-on-the-rise-in-sri-lanka/

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2012