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INTERNATIONAL/160: D. R. Kongo - Laut und entschieden gegen sexuelle Gewalt und ihre Ursachen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. November 2013

D. R. Kongo: Laut und entschieden gegen sexuelle Gewalt - und ihre Ursachen

von Babatunde Osotimehin und Zainab Bangura(*)


Bild: © Einberger/argum/EED/IPS

Ehemalige Kindersoldaten in der DRC
Bild: © Einberger/argum/EED/IPS

New York, 8. November (IPS) - Stell dir vor, dass ein Waisenhaus geschlossen wird, weil die dort lebenden 300 Kinder aus einer Vergewaltigung hervorgegangen sind und sexuelle Gewalt mit Stigma und Scham behaftet ist. Stell dir weiter eine Stadt vor, in der im letzten Jahr elf Säuglinge und 59 bis zu drei Jahre alte Kinder missbraucht wurden.

Was für eine Zukunft haben diese Kinder? Die Geschichte der sexuellen Gewalt in Konflikten ist so alt wie die Konflikte selbst. Sexuelle Gewalt kennt weder örtliche, ethnische, religiöse oder Altersgrenzen.

Die Menschen in der Demokratischen Republik Kongo (DRC) kennen den Schmerz und das Leid, die mit sexueller Gewalt einhergehen. Wie aus einem jüngsten Bericht des kongolesischen Frauenministeriums hervorgeht, wurden allein im vergangenen Jahr 15.654 Fälle sexueller Gewalt aktenkundig. Das ist gegenüber 2011 ein Zuwachs von 52 Prozent.

In 98 Prozent der Fälle waren die Opfer Frauen und Mädchen. Konfliktbedingt liegt das Durchschnittsalter der Überlebenden bei unter 21 Jahren, wobei ein Drittel zwischen zwölf und 17 Jahre alt ist. 2012 hatten 82 Prozent der Überlebenden keinen Grundschulabschluss.

Es geht hier nicht um abstrakte Zahlen, sondern um Kinder, die aus einer Vergewaltigung hervorgegangen und verlassen worden sind, um Frauen und Mädchen, die Tag für Tag gegen die physischen und seelischen Folgen anzukämpfen haben, um Männer und Jungen, die aus Scham und aus Angst vor der Stigmatisierung, die diese Verbrechen umgibt, schweigen.

Alle Überlebenden brauchen lebensrettende Leistungen und wir alle müssen partnerschaftlich zusammenarbeiten, und zwar nicht nur, um weitere Anschläge zu vereiteln, sondern um den Überlebenden dabei zu helfen, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen.


Ungleichheit und Machtmissbrauch sind die Ursachen

Nicht dem Konflikt verdankt die DRC die Geißel der sexuellen Gewalt. Die Wurzeln dieses weit verbreiteten Übels haben sich vor Jahrhunderten ausgebildet, Sie gründen auf der Geschlechterungerechtigkeit und auf Machtmissbrauch. Geschlechtsspezifische Gewalt ist nicht nur im Kongo, sondern auch weltweit die Menschenrechtsverletzung, die am stärksten um sich greift und über die am meisten geschwiegen wird. Konflikte gehen mit Gewalt einher, die wiederum der sexuellen Gewalt Vorschub leisten.

Um die konfliktbedingte sexuelle Gewalt besiegen zu können, müssen wir unsere Bemühungen im Kampf um die Frauenrechte als Menschenrechte verstärken und wirksame Systeme schaffen, die der Straflosigkeit der Täter ein Ende setzen. Wir müssen Zeichen setzten, dass wir diese extremste Form des Machtmissbrauchs nicht dulden werden. Wir müssen laut und deutlich erklären: Sexelle Gewalt wird strafrechtlich verfolgt und bestraft werden.

Aus dem letzten Bericht des UN-Generalsekretärs über sexuelle Gewalt in Konflikten geht hervor, dass im Osten der DRC mehr als 44 bewaffnete Gruppen ihr Unwesen treiben, von denen einige aus den Nachbarländern stammen. Fast alle sind an Sexualdelikten beteiligt. Angehörige der regulären Streitkräfte werden ebenfalls beschuldigt, solche Verbrechen zu begehen. In diesem Kontext ist es unsere komplexe Aufgabe, eine Vielzahl staatlicher und nichtstaatlicher Akteure zum Handeln zu bewegen, den Einsatz sexueller Gewalt als Form der Kriegsführung zu unterbinden.

Die wirtschaftlichen und menschlichen Kosten sexueller und anderer Formen geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Gemeinschaften und Länder sind gravierend hoch. Die Auswirkungen sind verstörend, sie kosten Menschenleben und vernichten Lebensgrundlagen, führen zum Ausschluss der Opfer aus ihren Familien und Gemeinschaften und haben ernste und oftmals lebensbedrohliche Folgen für die reproduktive und seelische Gesundheit der Betroffenen.

Doch ist sexuelle Gewalt nicht unbesiegbar. Die Regierung der DRC hat die verheerenden Auswirkungen dieser Verbrechen erkannt und Schritte eingeleitet, um die Geschichte der sexuellen Gewalt im Lande abzuändern. 2006 erließ sie ein Gesetz, dass die Definition der sexuellen Gewalt weiter fasst.

2009 entwickelte das Land die Nationale Strategie gegen geschlechtsbedingte Gewalt, und im März 2013 unterzeichneten Regierung und Vereinte Nationen das Gemeinsame Kommuniqué, in dem sich die Regierung zur Durchführung konkreter Schritte verpflichtete, um diese Verbrechen auszurotten.

Das sind alles Schritte in die richtige Richtung, allerdings gilt es weit mehr zu tun. Gesetze müssen umgesetzt werden, die Aggressoren strafrechtlich verfolgt und verurteilt werden. Doch Recht und Ordnung in einem riesigen Gebiet wiederherzustellen, in dem vielerorts Gewohnheitsrechte einziger Maßstab sind, stellen die rechtlichen Institutionen und die Kräfte im Lande, die sich für ein Ende der Straffreiheit für Vergewaltiger einsetzen, vor große Herausforderungen.


Kräfte bündeln

Doch ist das Land in diesem Kampf nicht allein. Das UN-System einschließlich der Friedenstruppen ist für die Stärkung und Umsetzung nationaler Initiativen mitverantwortlich. Es gilt die Politik auf ihre Verantwortung einzuschwören, indem wir ihr beim Aufbau demokratischer Institutionen und der Zivilgesellschaft helfen. Unser Ziel ist es, sicherzustellen, dass die eingegangenen Verpflichtungen und die Aktivitäten der Regierung und der UN das Leben der ständig in Angst lebenden Frauen, Mädchen, Jungen und Männer zum Positiven verändern.

Wir, unsere Teams und Organisationen, wollen die sexuelle Gewalt in der DRC bekämpfen. Um erfolgreich zu sein, brauchen wir die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, des gesamten UN-Systems und der Regierung. Wir sorgen auch dafür, dass die Geber das Problem erkennen und den Opfern sexueller Gewalt grundlegende Leistungen wie Bildung, Gesundheitsversorgung, Bedarfsartikel, Schutzhäuser, Lebensunterhalt und psychosoziale Angebote finanzieren.

Die Geschichte der sexuellen Gewalt in der DRC ist noch lange nicht zu Ende. Doch indem wir zusammenarbeiten, können wir das beenden, was lange Zeit verschwiegen wurde. Wir können das Abschusskapitel für diese dehumanisierende und entwürdigende Form des Missbrauchs schreiben. Die Beseitigung der geschlechtsspezifischen Gewalt und die Stärkung der Rolle der Frauen und Mädchen sind entscheidende Schritte, damit das Land den Weg des Friedens und der Entwicklung gehen kann.


(*) Babatunde Osotimehin ist Exekutivdirektor des UN-Bevölkerungsfonds UNFPA, Zainab Bangura Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs für sexuelle Gewalt in Konflikten. (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.un.org/sg/management/senstaff_details.asp?smgID=174
http://www.unfpa.org/public/
http://www.ipsnews.net/2013/11/op-ed-act-now-act-big-to-end-sexual-violence-in-drc/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 8. November 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. November 2013