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INTERNATIONAL/177: Pazifik - Alarmierend hohe Suizidrate bei Jugendlichen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. August 2014

Pazifik: Alarmierend hohe Suizidrate bei Jugendlichen - Auslöser sind Arbeitslosigkeit und soziale Konflikte

von Catherine Wilson


Bild: © Catherine Wilson/IPS

Kinder in einem Slum im Pazifikstaat Vanuatu
Bild: © Catherine Wilson/IPS

Sydney, 15. August (IPS) - In den pazifischen Inselstaaten begehen mehr Menschen Selbstmord als in vielen anderen Teilen der Welt. Mit 30 Suiziden pro 100.000 Einwohnern liegt die Rate in Ländern wie Samoa, Guam und Mikronesien um etwa das Doppelte über dem weltweiten Durchschnitt. Unter den Jugendlichen im Pazifikraum ist der Anteil sogar noch größer.

Am Internationalen Jugendtag, der sich am 12. August auf das Thema 'Jugendliche und mentale Gesundheit' konzentrierte, haben junge Inselbewohner darüber berichtet, wie sich die tiefgreifenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme in einer sich rasch wandelnden Welt auf ihr Leben auswirken. "Offenbar begehen von Jahr zu Jahr immer jüngere Menschen Selbstmord", sagt Lionel Rogers von der Organisation 'Youth Champs for Mental Health', die ihren Sitz auf den Fidschi-Inseln hat. "Die Stressfaktoren, die sie in den Suizid treiben, sind Arbeitslosigkeit, soziale und kulturelle Erwartungen, Probleme mit Familie und Partner sowie Mobbing, Gewalt und Missbrauch."


Pazifikstaaten mit zunehmend junger Bevölkerung

Gleichzeitig steigt der Bevölkerungsanteil junger Menschen in den Pazifikstaaten weiter an. Bereits jetzt sind 54 Prozent der Einwohner jünger als 24 Jahre. Nach Erkenntnissen des Sekretariats der Pazifischen Gemeinschaft (SPC) sind die 15- bis 29-Jährigen am stärksten selbstmordgefährdet. Im Jahr 2012 wurden beispielsweise auf den Fidschi-Inseln 160 Suizide offiziell erfasst. In den meisten Fällen handelte es sich um Personen unter 25 Jahren. Genaue Statistiken liegen aber nicht vor.

Vor etwa zehn Jahren nahmen sich im Pazifikraum jährlich schätzungsweise 331.000 Menschen das Leben. Dies entsprach 38 Prozent der globalen Gesamtzahl der Suizide. Laut Anne Rauch, die die Allianz für mentale Gesundheit auf den Fidschi-Inseln berät, werden aber längst nicht alle Suizide in den Statistiken erfasst. Auf weit entfernten Inseln beispielsweise sei eine Leiche längst bestattet, bevor eine Autopsie vorgenommen werden könne. Da sich viele Familien wegen des Selbstmords eines Angehörigen schämten, gäben Ärzte manchmal eine andere Todesursache an, erklärt Rauch.


Therapieeinrichtungen unterfinanziert

Die unterfinanzierten und unzureichend ausgestatteten Einrichtungen für die Behandlung psychischer Beschwerden sind mit dem Problem überfordert. Selbstmorde machen in der westlichen Pazifikregion 2,5 Prozent der gesamten Morbiditätslast aus, während der globale Durchschnittswert bei 1,4 Prozent liegt.

Laut einem 2008 veröffentlichten Bericht der 'Foundation of the Peoples of the South Pacific International' werden viele junge Leute durch Generationskonflikte in den Freitod getrieben. Der moderne Lebensstil, der auf persönlichen Freiheiten und Unabhängigkeit basiere, kollidiere mit den über Jahrhunderte gewachsenen Traditionen und Bräuchen der Pazifikvölker und ihren sozialen Hierarchien.

In dem winzigen südpazifischen Inselterritorium Tokelau, nördlich von Samoa, kam eine Untersuchung der Gesundheitsbehörde zu dem Ergebnis, dass zwischenmenschliche Probleme, vor allem zwischen Eltern und Kindern, signifikante Faktoren bei Selbstmorden seien. In dem Territorium mit etwa 1.500 Einwohnern wurden in dem 25-jährigen Berichtszeitraum, der 2004 endete, 40 Selbstmordversuche registriert und sechs mit tödlichem Ausgang. 83 Prozent der Selbstmörder waren jünger als 25 Jahre.

Immer mehr Jugendliche wollen sterben, weil sie bei Examen schlecht abschneiden und hinter den Erwartungen ihrer Eltern zurückbleiben, so Rauch. Die meisten jungen Pazifikbewohner sehen zudem keine großen Chancen, einen Arbeitsplatz zu finden. Hinzu kommt die Belastung durch Konsumwünsche, die von den Medien geweckt werden.


Arbeitsangebote halten mit Bevölkerungswachstum nicht Schritt

In den zumeist kleinen Volkswirtschaften in der Pazifikregion können nicht so schnell neue Stellen geschaffen werden wie die Bevölkerung wächst. Auch wenn immer mehr Jugendliche Zugang zu Bildung erhalten, wird dadurch noch kein bezahlter Arbeitsplatz garantiert. Das Weltkinderhilfswerk UNICEF warnt, dass die Frustration der jungen Menschen zum "Verlust des produktiven Potenzials eines Großteils der erwachsenen Bevölkerung führen" könne.

Im südwestpazifischen Staat Papua-Neuguinea schließen etwa 80.000 Jugendliche jährlich die Schulausbildung ab. Lediglich 10.000 von ihnen werden jedoch voraussichtlich im formellen Sektor eine Beschäftigung finden. Auf den benachbarten Salomon-Inseln liegt die Jugendarbeitslosigkeit Schätzungen zufolge bei 45 Prozent.

Um die Zahl der Selbstmorde zu verringern, empfiehlt SPC unter anderem Maßnahmen, die verhindern sollen, dass psychisch Kranke sozial ausgegrenzt werden. Beratungs- und Gesundheitsdienste, die auf Jugendliche spezialisiert seien, sollten ausgebaut werden. "Viele junge Leute wollen nicht zum Arzt gehen, weil sie die Stigmata fürchten, die mit Selbstmord und psychischen Beschwerden verbunden werden", sagt Rogers. Die 'Kultur des Schweigens' in der Region habe weiter dazu beigetragen, dass diese Jugendlichen ihre Gefühle unterdrücken müssten.

Bradburgh plädiert dafür, dass Gemeinschaften und Kirchen die Öffentlichkeit stärker für die Situation psychisch Kranker sensibilisieren sollten. Die Regierungen forderte sie auf, mehr als bisher in Einrichtungen für psychische Gesundheit und Beratungsdienste zu investieren. (Ende/IPS/ck/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/08/youth-suicides-sound-alarm-across-the-pacific/

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IPS-Tagesdienst vom 15. August 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. August 2014