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KIND/080: Sierra Leone - Kinderhandel schafft Straßenkinder (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. Juni 2013

Sierra Leone: Kinderhandel schafft Straßenkinder

von Tommy Trenchard


Bild: © Tommy Trenchard/IPS

Kaita (re.) ist eines von tausenden sierraleonischen Straßenkindern
Bild: © Tommy Trenchard/IPS

Freetown, 10. Juni (IPS) - An einer Straßenecke in der Innenstadt der sierraleonischen Hauptstadt Freetown hockt der zwölfjährige Kaita mit einem Freund auf einem Geländer. Die beiden Kinder blicken vorbeifahrenden Motorrädern nach. Es ist Mitternacht. In den Hauseingängen sind die Umrisse weiterer Heranwachsender zu sehen, die hier ihr Nachtlager aufgeschlagen haben oder ausgestreckt auf den Bürgersteigen liegen.

Für Kaita sind die Straßen der Stadt seit bald sechs Jahren sein Zuhause. Er ist eines von tausenden Straßenkindern, die ihren Eltern mit dem falschen Versprechen abgeschwatzt wurden, ihnen in der Stadt eine Schulbildung zu ermöglichen.

Joice Kamara ist stellvertretende Leiterin der Abteilung für Kinderangelegenheiten des Ministeriums für soziale Wohlfahrt, Frauen und Kinder. Bis letztes Jahr stand sie an der Spitze der staatlichen Arbeitsgruppe gegen Menschenhandel. Über die Strukturen des Kinderhandels in Sierra Leone ist sie somit bestens im Bilde.

"Kinderhändler können Verwandte, Freunde oder Fremde sein. Sie gehen in die Dörfer und fragen die Menschen, ob sie ihnen nicht ihre Kinder mitgeben wollen. Sie machen den Eltern weis, dass sie ihren Nachwuchs in die besten Schulen der Stadt stecken werden", berichtet die Expertin gegenüber IPS.

Trotz bemerkenswerter Fortschritte, die das westafrikanische Land seit 2002, dem Ende des elfjährigen Bürgerkrieges machen konnte, gehört Sierra Leone nach wie vor zu den ärmsten Staaten der Welt. Das macht es gerade für die Landbevölkerung fast unmöglich, ihre Kinder zur Schule zu schicken. "Doch sobald die Kinder die Städte erreichen, müssen sie arbeiten. Manche von ihnen werden zwangsprostituiert oder sogar für Rituale missbraucht", berichtet Kamara.

Kaitas Onkel hatte versprochen, sich um seinen Neffen zu kümmern. Doch nie hatte der Junge genug zu essen. Am Ende rannte er davon. "Es ist ganz schön kalt", antwortet er auf die Frage, wie das Leben auf der Straße so ist. "Ich esse, was andere wegwerfen."


Der Gewalt und Ausbeutung davonlaufen

Lothar Wagner ist der Leiter von 'Don Bosco Fambul', einer Nichtregierungsorganisation (NGO), die sich um die jungen Streuner kümmert. "Die Ursache dieses Elends ist der Kinderhandel. Wenn die Betroffen von der ständigen Misshandlung und Ausbeutung die Nase voll haben, hauen sie ab."

Aus einer Untersuchung von 2010 geht hervor, dass allein in der Hauptstadt Freetown 2.500 Straßenkinder leben. Andere Studien setzen die Zahl sogar noch deutlich höher an. Ein Betroffener ist Mohammed. Der 14-Jährige ist seit zwei Jahren obdachlos. Sein einziger Besitz ist ein Fußballtrikot, ein Stück Pappe, das ihm nachts als Unterlage dient und ein Korb für Straßenabfälle. Das bisschen Geld, das er als Müllsammler verdient, reicht aus, um sich am Leben zu erhalten.

Die größte Angst der Kinder, mit denen IPS sprechen konnte, ist die vor Gewalt. Übergriffe auf die Straßenkinder werden nur selten untersucht, wenn nicht gar von Polizisten selbst begangen. "Den Sicherheitskräften ist nicht daran gelegen, die Kinder zu schützen", bestätigt Wagner. "Auch ihnen geht es darum, sie auszubeuten."

Die medizinische Untersuchung eines verhafteten Straßenkindes, das nach eigenen Angaben auf der Polizeiwache misshandelt wurde, ergab, dass der Junge verprügelt und mit Stromschlägen gefoltert worden war.

Ein Polizeisprecher wies die Anschuldigungen zurück. "Das stimmt so nicht", erklärte er in einem Telefongespräch mit IPS. "Die Behauptung ist der Versuch, dem Ansehen der Polizei zu schaden. "Auf dem Revier gibt es in der Regel keinen Strom. Wie also soll der Junge mit Elektroschocks gefoltert worden sein?"


Aufklärungskurse für die Polizei gefordert

Es gibt einige NGOs, die versuchen, den Kinderhandel in Sierra Leone einzudämmen und die Opfer wieder zu ihren Familien zurückzubringen. Die FAAST, eine Allianz gegen Sklaverei und Menschenhandel, leistet Aufklärungsarbeit und will die Polizei für die Probleme des Menschenhandels sensibilisieren. "Alle Polizeianwärter müssen wissen, was Menschenhandel ist und wie man mit dem Problem umgeht", fordert Janet Nickel, die Landeschefin der internationalen Organisation. FAAST betreibt seit kurzem ein Schutzhaus für Opfer des Kinderhandels.

Don Bosco Fambul hat bereits etliche solcher Schutzhäuser geschaffen und Programme für obdachlose Kinder aufgelegt. Das Problem der Regierung sei, so Vertreter der Organisation, dass sie weder die Kapazitäten noch die finanziellen Mittel habe, um die Kinder zu schützen.

Doch Kamara vom Ministerium für soziale Wohlfahrt, Frauen und Kinder widerspricht. Sie verweist auf einige Erfolge, die der Staat im Kampf gegen den Kinderhandel vorweisen kann. So seien seit 2005 13 Kinderhändler zu Haftstrafen von bis zu 22 Jahren verurteilt worden. "Die Regierung tut, was sie kann, und arbeitet daran, den Menschenhandel in Sierra Leone auszurotten", versichert sie. Doch einem Bericht des US-Außenministeriums zufolge sind die Maßnahmen unzureichend. (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.faastinternational.org/
http://www.ipsnews.net/2013/06/sierra-leones-child-trafficking-to-blame-for-street-kids/

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IPS-Tagesdienst vom 10. Juni 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juni 2013