Deutsches Jugendinstitut e.V. - 17.06.2016
Kinder besuchen länger frühkindliche Bildungsangebote, trotzdem nimmt gemeinsame Familienzeit zu
Eltern von unter Sechsjährigen verbringen heute mehr aktive Zeit mit ihren Kindern als noch vor 15 Jahren, obwohl Kinder früher und in einem größeren zeitlichen Umfang frühkindliche Bildungsangebote nutzen. Dies ist eines der Forschungsergebnisse des Deutschen Jugendinstituts, das in den Nationalen Bildungsbericht 2016 eingeflossen ist. Der Bericht "Bildung in Deutschland 2016" liefert zum sechsten Mal eine aktuelle Bestandsaufnahme des deutschen Bildungswesens. Das Deutsche Jugendinstitut ist insbesondere für den Bereich der frühkindlichen Bildung zuständig und kam dabei unter anderem zu folgenden Ergebnissen:
Seit 2013 hat sich die Quote der Bildungsbeteiligung der unter
Dreijährigen auf insgesamt rund 32,9 Prozent (in Westdeutschland auf 28
Prozent und in Ostdeutschland auf 52 Prozent) erhöht. Ab dem dritten
Geburtstag besucht fast jedes Kind ein frühkindliches Bildungsangebot.
Eltern von unter Sechsjährigen verbringen heute gegenüber 2001/2002 rund
zehn Prozent mehr aktive Zeit mit ihren Kindern, obwohl sie ihre Kinder
viel früher in eine Kita geben. Sie wenden heute im Durchschnitt täglich
fast zweieinviertel Stunden beispielsweise für Spielen, Beaufsichtigen,
Gespräche und Vorlesen auf. Dies geht zu Lasten der Zeit, die insbesondere
berufstätige Mütter für ihr soziales Leben, die Hausarbeit und die
körperliche Pflege und Regeneration zur Verfügung haben.
Zwischen 2013 und 2015 wurden weitere knapp 90.000 Plätze für unter Dreijährige in der Kindertagesbetreuung geschaffen. Trotzdem geben aktuell drei Prozent der Eltern ohne Betreuungsplatz an, keinen Platz bekommen zu haben, obgleich sie sich eine Betreuung für ihr Kind wünschen. Es ist davon auszugehen, dass der Bedarf an Plätzen insgesamt weiter wächst. Gründe sind sowohl die gestiegene Anzahl an Kindern zwischen drei und fünf Jahren als auch der Zuzug von Kindern aus schutz- und asylsuchenden Familien.
Die vertraglich vereinbarten Betreuungszeiten haben sich für alle Altersgruppen weiter erhöht. Mittlerweile werden für fast jedes zweite Kind unter drei Jahren in Westdeutschland und 76 Prozent in Ostdeutschland ganztägig Betreuungszeiten vereinbart. Die Buchungszeiten stimmen allerdings nicht immer mit den Wünschen der Eltern überein, die sich zu einem geringeren Anteil ganztägige Betreuungsumfänge wünschen. Darüber hinaus werden die gebuchten Zeiten häufig auch nicht in vollem Umfang genutzt.
Trotz Inkrafttreten des Rechtsanspruchs auf einen Platz in der Kindertagesbetreuung für alle Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr im August 2013 nutzen weiterhin weniger Kinder von Eltern mit niedrigem Schulabschluss und auch weniger Kinder mit Migrationshintergrund ein frühkindliches Bildungsangebot. Der Anteil der Kinder von Eltern mit einem Hauptschulabschluss ist zwischen 2012 und 2015 auf 16 Prozent gesunken. Demgegenüber ist die Bildungsbeteiligung bei Kindern von Eltern mit (Fach-) Hochschulabschluss mittlerweile auf 38 Prozent gestiegen. Weiterhin zeigen DJI-Analysen, dass bei Kindern mit Migrationshintergrund zwar ein Anstieg der Bildungsbeteiligung zu beobachten ist, allerdings nutzen sie diese Angebote weiterhin seltener als Kinder ohne Migrationshintergrund. Bei den Kindern unter drei Jahren mit Migrationshintergrund hat sich die Quote der Bildungsbeteiligung zwar verdoppelt, allerdings besucht aktuell nur fast jedes vierte unter dreijährige Kind mit Migrationshintergrund ein frühkindliches Bildungsangebot. Bei den unter Dreijährigen ohne Migrationshintergrund sind es 38 Prozent. Diese Unterschiede hängen vor allem mit dem Betreuungswunsch, der Erwerbstätigkeit und dem Bildungsstand ihrer Eltern zusammen. Im Alter von drei Jahren besuchen nahezu alle Kinder mit Migrationshintergrund ein frühkindliches Bildungsangebot. Von ihnen sprechen fast zwei Drittel zu Hause kaum oder wenig Deutsch, wobei regional starke Unterschiede bestehen. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass den Kindertageseinrichtungen eine hohe Bedeutung beim Erlernen der deutschen Sprache zukommt.
Mit 515.000 Beschäftigten hat die Anzahl des pädagogischen Personals einen weiteren Höchststand erreicht. Insbesondere in den vergangenen zwei Jahren sind überdurchschnittlich viele Personen in das Beschäftigungsfeld eingemündet. Das hat zwischen 2014 und 2015 allerdings nicht zur weiteren Verbesserung des Personalschlüssels beigetragen, sodass in Westdeutschland rechnerisch eine Vollzeitkraft im Mittel auf 3,4 ganztägig betreute Kinder in Gruppen ausschließlich für unter Dreijährige zuständig ist. In Ostdeutschland ist dieses Verhältnis weiterhin deutlich ungünstiger mit einer Vollzeitfachkraft für 5,8 ganztägig betreute Kinder in einer entsprechenden Gruppe. Vor allem in Ländern, in denen zusätzliche finanzielle Mittel für die Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund zur Verfügung gestellt wird, lässt sich ein verbesserter Personalschlüssel in Gruppen mit Kindern ab drei Jahren beobachten, je höher der Anteil an Kindern in der Gruppe ist, die zu Hause kein oder wenig Deutsch sprechen. In der Kindertagespflege ist seit Jahren eine Verschlechterung des Verhältnisses der Anzahl der betreuten Kinder pro Tagespflegepersonen zu beobachten. 2015 ist fast jede zweite Tagespflegeperson für mindestens vier Kinder zuständig.
Leitungskräfte sind in den Kindertageseinrichtungen unter anderem für die Sicherung und Weiterentwicklung der pädagogischen Qualität verantwortlich. Allerdings melden 13 Prozent aller Tageseinrichtungen keine Beschäftigten, die für Leitungsaufgaben freigestellt sind. Mit knapp 50 Prozent überwiegt der Anteil an Einrichtungen, in denen eine pädagogische Fachkraft sowohl für Leitungsaufgaben freigestellt ist als auch andere Aufgaben übernimmt. Insbesondere in großen Einrichtungen mit mindestens fünf Gruppen überwiegt die vollständige Freistellung einer Fachkraft für Leitungsaufgaben.
Die Organisation von Gruppen erfolgt in den beiden Landesteilen sehr unterschiedlich. Während in Ostdeutschland die Gruppen in Kindertageseinrichtungen vergleichbar mit den für die Schule typischen Jahrgangsklassen zusammengesetzt sind, erfolgt die altersspezifische Zusammensetzung von Gruppen in Westdeutschland meist anhand der Alterszusammensetzung von Kindertageseinrichtungen. Dementsprechend werden unter Dreijährige vor allem in Gruppen betreut, die der Altersspanne von Krippen (2 Jahrgänge) oder von Kindergärten, die für Zweijährige geöffnet sind (4 Jahrgänge) entsprechen. Die Altersspanne von Gruppen mit ausschließlich Kindern ab drei Jahren umfasst meist drei Jahrgänge und entspricht damit der Altersspanne eines klassischen Kindergartens.
Auch wenn es seit Jahren zahlreiche Initiativen im Bereich der sprachlichen Bildung gibt, ist der Anteil an sprachförderbedürftigen Kindern seit einigen Jahren in etwa konstant geblieben. Insbesondere Kinder aus Elternhäusern mit niedrigem Schulabschluss sowie mit nicht deutscher Familiensprache werden häufiger als sprachförderbedürftig diagnostiziert. Zudem werden diese Kinder anschließend auch häufiger verspätet eingeschult.
Mit dem Inkrafttreten des Rechtsanspruchs auf einen Platz in der Kindertagesbetreuung ab dem vollendeten ersten Lebensjahr und dem damit verbundenen Ausbau der frühkindlichen Bildungsangebote wurde Familien verstärkt die Möglichkeit gegeben, frühkindliche Bildungsangebote für ihre Kinder in Anspruch zu nehmen und damit zugleich Beruf und Familie besser vereinbaren zu können. Eine wachsende Zahl an Kindern verbringt in diesen Einrichtungen eine immer längere Zeit bis zur Einschulung, wodurch der Stellenwert der Kindertagesbetreuung weiter gestiegen ist. Damit haben sich gleichzeitig die Anforderungen an die Kindertagesbetreuung erhöht, da der gestiegenen Heterogenität der Kinder Rechnung zu tragen ist. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, bedarf es auch zukünftig einer ausreichenden Anzahl an qualifizierten Fachkräften sowie der Sicherung und Weiterentwicklung von Qualitätsstandards im Bereich der frühkindlichen Bildung.
Der Bildungsbericht wird alle zwei Jahre im Auftrag der
Kultusministerkonferenz (KMK) und des Bundesministeriums für Bildung und
Forschung (BMBF) von einer unabhängigen Gruppe von Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftlern unter Leitung des Deutschen Instituts für
Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) und in Kooperation mit dem
Deutschen Jugendinstitut (DJI), dem Soziologischen Forschungsinstitut der
Universität Göttingen (SOFI), dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und
Wissenschaftsforschung (DZHW) sowie den Statistischen Ämtern des Bundes
und der Länder erstellt. Das DJI ist seit Beginn an der Erstellung des
Berichts beteiligt und insbesondere für den Bereich der frühkindlichen
Bildung zuständig. Das Schwerpunktkapitel des Bildungsberichts 2016
befasst sich mit Fragen der Bildung von Menschen mit Migrationshintergrund
sowie von Schutz- und Asylsuchenden.
Weitere Informationen unter:
http://www.bildungsbericht.de/de/bildungsberichte-seit-2006/bildungsbericht-2016
- Nationaler Bildungsbericht
http://www.dji.de/nationaler-bildungsbericht
- DJI-Projekt Nationale Bildungsberichterstattung
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution360
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Deutsches Jugendinstitut e.V., Susanne John, 17.06.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juni 2016
Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang