Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → SOZIALES

KRIMINALITÄT/067: Mexiko - Gefährliches Pflaster Veracruz (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. Dezember 2012

Mexiko:
Gefährliches Pflaster Veracruz - Linke, Migranten und Journalisten verschwinden

von Daniela Pastrana



Xalapa, Mexiko, 04. Dezember (IPS) - Die Angst geht um im ostmexikanischen Bundesstaat Veracruz. Im Zentrum der Hauptstadt Xalapa und an den Busbahnhöfen hängen Plakate aus, die Fotos von Vermissten zeigen. Polizisten gehen nicht mehr auf Streife, sondern durchkämmen die Straßen im Konvoi.

Soldaten sind ein alltäglicher Anblick in Xalapa. Das Plakat oben zeigt das Foto eines verschwundenen Mädchens - Bild: © Daniela Pastrana/IPS

Soldaten sind ein alltäglicher Anblick in Xalapa. Das Plakat oben zeigt das Foto eines verschwundenen Mädchens
Bild: © Daniela Pastrana/IPS

"Xalapa war immer ein Zufluchtsort für Menschen, die sich für soziale Belange engagierten und damit der Regierung ein Dorn im Auge waren. Die Stadt galt lange als unantastbar. Aber seit wir 2010 einen neuen Gouverneur bekommen haben, ist das anders geworden", sagt Javier Hernández gegenüber IPS. Der Umweltaktivist hat Veracruz mittlerweile verlassen, nachdem im April zunächst die Journalistin Regine Martínez umgebracht wurde und dann im Mai der Universitätsprofessor José Luis Blanco Rosas. Jetzt fühlt sich Hernández nicht mehr sicher.

In den vergangenen 83 Jahren gab es keine politischen Veränderungen in der Regierung des Bundesstaates. 7,6 Millionen Menschen leben in Veracruz. Der drittbevölkerungsreichste Bundesstaat Mexikos gilt heute als die gefährlichste Region für Menschen aus anderen mittelamerikanischen Ländern, die das Land auf ihrem Weg in die USA durchqueren. Ein Drittel der Immigranten, die als auf mexikanischem Territorium vermisst gemeldet wurden, wurde hier zum letzten Mal gesehen.

"Wir wissen, wie es läuft: Sie werden entführt und sollen sich frei kaufen. Wer das nicht bezahlen kann, bleibt in den Händen der Entführer. Einige müssen für sie arbeiten, andere werden als Sex-Sklaven gehalten", sagt Rubén Figueroa von der Mesoamerikanischen Migranten-Bewegung, die im Oktober eine Karawane von Müttern organisiert hatte, die ihre Kinder suchen.


Neun tote Journalisten in zwei Jahren

Aber nicht nur zentralamerikanische Migranten leben in Veracruz gefährlich. In den vergangenen zwei Jahren wurden neun Journalisten getötet, zwei weitere sind verschwunden. Mehr als zehn sahen sich gezwungen, den Bundesstaat zu verlassen. Außerdem wurde ein Verlagsgebäude einer Zeitung angezündet.

Und auch Frauenorganisationen sind in Alarmbereitschaft: 2009 wurden 14 Prostituierte in der Stadt Isla umgebracht, die im südlichen Teil des Bundesstaates liegt. Die verstümmelten Leichen wurden erst Monate später gefunden. Seitdem dokumentieren Frauenorganisationen die Zahl der Morde an und Entführungen von Frauen. "Es verschwinden Frauen, Mädchen, Jungen, Jugendliche, und - vor allem in Xalapa - Studenten", sagt eine Aktivistin gegenüber IPS, die anonym bleiben möchte.

Zahlen darüber, wie viele Menschen tatsächlich verschwinden, sind schwer zu bekommen. Die lokalen Behörden haben Informationen über vermisst gemeldete Menschen in Veracruz von ihrer Internetseite entfernt. Die Bundesregierung gibt an, dass in den vergangenen sechs Jahren in Veracruz 600 Menschen verschwunden seien.

Nach Untersuchungen der Zeitung Milenio liegt die Zahl allerdings weit höher: Sie hat Daten der forensischen Institute des ganzen Landes ausgewertet und dabei herausgefunden, dass während der gesamten Regierungszeit von Felipe Calderón (2006 bis 2012) 24.000 unidentifizierte Leichen in Gemeinschaftsgräbern bestattet wurden. Davon landeten 5.245 in Gemeinschaftsgräbern in Veracruz. Und alleine in der Hafenstadt Puerto de Veracruz, die rund eine halbe Million Einwohner hat, gab es im Jahr 2011 1.000 unidentifizierte Leichen.

Doch auch diese Angaben sind unvollständig: Nur rund 30 Gemeinden des Bundesstaates Veracruz haben der Zeitung Informationen zur Verfügung gestellt. Die Regierung unter Javier Duarte selbst weigerte sich mit der Begründung, dass die Herausgabe der Informationen die Privatsphäre der unbekannten Kadaver verletze. Außerdem gefährde dies "die territoriale Integrität des Bundesstaates".


Keine Besserung in Sicht

"Es gibt einige verlorene Regionen, in denen niemand dokumentiert, was geschieht", sagt ein Bauernführer gegenüber IPS. "Im Norden des Bundesstaates, am Fluss Pánuco, und im Süden Richtung Poza Rica und Coatzacoalcos passieren Dinge, über die sich niemand zu reden traut."

Eine Besserung der Lage ist nicht in Sicht. Ganz im Gegenteil: Sicherheitsexperten gehen davon aus, dass sich die Situation sogar noch verschärfen wird, insbesondere in einigen Teilen des Bundesstaates, die unter der Kontrolle der organisierten Kriminalität stehen. Am 7. Oktober hatten Soldaten Heriberto Lazcano, den Anführer der brutalen 'Los Zetas', erschossen. Das lassen sie sich nicht so einfach gefallen.

Für kurze Zeit war in Xalapa Feierstimmung aufgekommen: Bei den Präsidentschaftswahlen am 2. Juli verlor der Kandidat der seit dem 1. Dezember wieder regierenden Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) im Wahlkreis Xalapa seinen Sitz an den Linken David Flores. Doch alle anderen Wahlkreise in Veracruz gingen an die PRI. (Ende/IPS/jt/2012)


Links:
http://www.movimientomigrantemesoamericano.org/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=101976

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 4. Dezember 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Dezember 2012