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KRIMINALITÄT/068: Brasilien - Eine halbe Million Morde in zehn Jahren (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. Dezember 2012

Brasilien: Eine halbe Million Morde in zehn Jahren

von Fabíola Ortiz


Die dunklen Bohnen stehen für den Anteil Schwarzer, die in den vergangenen zehn Jahren ermordet wurden - Bild: © Fabíola Ortiz/IPS

Die dunklen Bohnen stehen für den Anteil Schwarzer, die in den vergangenen zehn Jahren ermordet wurden
Bild: © Fabíola Ortiz/IPS

Rio de Janeiro, 6. Dezember (IPS) - Die Copacabana in Rio de Janeiro war am 5. Dezember nicht nur mit Sand bedeckt. 500.000 weiße und schwarze Bohnen lagen auf einer brasilianischen Flagge und vier langen roten Teppichen verstreut. Ein großes Plakat verkündete: "Brasilien: Eine halbe Million Morde in zehn Jahren. Eine Schande".

"Von 2001 bis 2010 kam es durchschnittlich jeden Tag zu 157 Morden", sagt der Präsident der Organisation 'Rio de Paz', Antonio Carlos Costa, gegenüber IPS. Allein 2010 seien 57.000 Menschen umgebracht worden. Rio de Paz organisiert seit 2007 friedliche Protestaktionen in vielen brasilianischen Städten. In der ersten Dezemberwoche protestierte sie bereits in der Hauptstadt Brasilia und in der südbrasilianischen Stadt Sao Paulo, nachdem das nichtstaatliche 'Institut Sangari' die sogenannte Karte der Gewalt in Brasilien veröffentlicht hatte.

Zwei Drittel der auf dem Strand von Copacabana verteilten Bohnen sind schwarz, ein Drittel weiß. Sie verbildlichen die Ergebnisse der Untersuchungen zu Gewaltverbrechen in dem südamerikanischen Land: Die Karte zeigt, dass die Zahl der Morde an Weißen seit 2002 stetig gesunken ist, während die Morde an Afro-Brasilianern zunehmen. "Zwei Drittel der Morde wurden an Schwarzen begangen", sagt Costa. Die meisten von ihnen waren zwischen 18 und 25 Jahre alt.


Bei sozialer Ungleichheit kein Frieden

"Wir brauchen politische Maßnahmen, die speziell auf arme Bevölkerungsschichten zugeschnitten sind", fordert Costa. "In einer Gesellschaft, die so stark von Ungleichheit geprägt ist wie die brasilianische, ist Frieden unmöglich." Darüber hinaus fordert Costa von den Behörden, endlich eigene Zahlen über die gewaltsam zu Tode gekommenen Menschen zu veröffentlichen.

Die politische Arbeit der Organisation habe bereits zu einigen Veränderungen in der Politik geführt, ist Costa überzeugt. Hoffnungslos überfüllte Gefängnisse wurden geschlossen, und der Bundesstaat Rio hat in seiner Sicherheitsstrategie einen Plan zur Senkung der Mordrate formuliert. Das fordert Costa auch von den übrigen Bundesstaaten.

Die Polizei hat in den vergangenen Jahren sogenannte friedensstiftende Einheiten gegründet, die in Armenvierteln im Einsatz sind, in denen Drogenbanden das Sagen hatten. Die Polizei versucht dort für die Sicherheit der Bevölkerung zu sorgen und verbindet dies mit Sozial- und Bildungsprogrammen.

"Es hat bereits Verbesserungen gegeben, aber nicht in dem Maße, in dem wir uns das gewünscht hätten", sagt Costa. Er fordert daher eine fundamentale Polizeireform, um die Korruption einzudämmen, sowie eine Gefängnisreform, da die Insassen nach Costas Ansicht unter unmenschlichen Verhältnissen leben.


Tiefgreifende Veränderungen notwendig

Auch Gustavo Teixeira, Mitglied der Menschenrechtskommission des Instituts Brasilianischer Anwälte, fordert tiefgreifende Veränderungen, statt nur an ein paar Schräubchen zu drehen. "Wir brauchen eine konzeptuelle Reform des Strafrechts", das noch auf das Jahr 1940 zurückgeht. "Unsere Auffassung von Sicherheit stammt noch aus der Zeit der Diktatur. Nur deswegen meinen wir, dass wir ständig schwer bewaffnete Polizisten auf der Straße brauchen. Doch ein solcher Anblick sollte in einer Demokratie nicht die Regel sein", meint der Jurist. Es fehle bei weitem nicht an den richtigen Gesetzen. Diese müssten nur endlich angewendet werden. "Wenn wir uns auf unsere Verfassung und unser Strafgesetz verlassen könnten, dann sähe die Realität wesentlich rosiger aus."

Auch eine Erhöhung des Strafmaßes helfe nicht. "In den USA gibt es die Todesstrafe, doch auch dadurch lassen sich Verbrecher nicht davon abhalten, Menschen umzubringen." Das Problem sei nicht das Zahl der Haftjahre, die ein Verbrecher für seine Tat erwarten könne, sondern unzureichende polizeiliche Ermittlungen und ein Mangel an Personal an den Gerichtshöfen. (Ende/IPS/jt/2012)


Links:

http://www.institutosangari.org.br
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=102027
http://www.ipsnews.net/2012/12/more-killings-in-brazil-than-in-some-war-torn-countries/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Dezember 2012