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REDE/050: Kristina Schröder zum Haushaltsgesetz 2011 am 16.09.10 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Kristina Schröder, zum Haushaltsgesetz 2011 vor dem Deutschen Bundestag am 16. September 2010 in Berlin:


Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

In vielleicht keinem anderen Politikfeld zeigt sich das Dilemma eines hochverschuldeten Staates so eindeutig wie in der Familienpolitik. Einerseits sind wir gerade als Jugendpolitiker doch verpflichtet, im Sinne der jungen Generation unseren Beitrag zum Abbau der Staatsverschuldung zu leisten; andererseits treffen Sparmaßnahmen im Familienressort zwangsläufig immer auch Familien und Kinder.

Dieses Dilemma lässt sich nicht auflösen. Haushaltspolitisch können wir aber die Weichen dafür stellen, dass die knappen finanziellen Mittel, die wir haben, vor allen Dingen dort eingesetzt werden, wo sie im Hinblick auf faire Zukunftschancen von Kindern und Jugendlichen am meisten bewirken. Dafür habe ich in den vergangenen Wochen und Monaten gekämpft. Der Einzelplan 17 im Bundeshaushalt 2011 zeigt: Union und FDP stellen sich der Verantwortung für die Zukunft unserer Kinder.

Zunächst zu den wichtigsten Zahlen: Der Einzelplan 17 im Haushalt 2011 umfasst 6,4 Milliarden Euro. Das sind 106 Millionen Euro weniger als 2010. Insgesamt beträgt der Sparbeitrag der Bundesregierung im Rahmen meines Ressorts 605 Millionen Euro jährlich ab 2011. Damit klar wird, von welcher Größenordnung wir hier reden: Dieser Sparbeitrag entspricht 0,35 Prozent aller ehe- und familienbezogenen Leistungen.

Unangetastet blieb das Kindergeld; das haben wir zu Beginn dieses Jahres deutlich erhöht. Es geht hier also nicht um Haushaltskonsolidierung auf Kosten von Kindern und Jugendlichen, sondern um Haushaltskonsolidierung für Kinder und Jugendliche; denn die größte Gefahr für den künftigen Wohlstand und für die soziale Sicherheit von Familien entsteht doch, wenn wir nichts tun, um die Staatsverschuldung in den Griff zu bekommen. Deshalb ist es gerade unter familienpolitischen Gesichtspunkten richtig, dass Union und FDP für solide Staatsfinanzen eintreten.

Ich habe als Abgeordnete der Schuldenbremse im Grundgesetz aus voller Überzeugung zugestimmt. Ich hoffe, bei der SPD gab es dieselbe volle Überzeugung. Deswegen war ich auch von Anfang an bereit, im Rahmen meines Ressorts einen Beitrag zu den gemeinsamen Sparanstrengungen zu leisten. Entscheidend war für mich dabei, dass wir nicht dort sparen, wo wir dadurch Kräfte abgewürgt hätten, die wir für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes brauchen. Deshalb habe ich versprochen: Am Ausbau der Kindertagesbetreuung wird nicht gerüttelt. Dieses Versprechen habe ich gehalten.

Der Bund steht auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zu seiner Zusage, in die frühkindliche Bildung zu investieren und bis 2013 vier Milliarden Euro für den Ausbau der Kindertagesbetreuung beizusteuern; denn die schlimmste Form von Kinderarmut ist doch Bildungsarmut. Deshalb brauchen wir die Förderung für alle Kinder und Jugendlichen von Anfang an.

Das ist auch der Grund, warum wir allen Sparmaßnahmen zum Trotz mehr Geld für den Kinder- und Jugendplan zur Verfügung stellen, warum wir, wie versprochen, fünf Millionen Euro mehr für die Programme für Demokratie, Toleranz und Vielfalt zur Verfügung stellen und warum wir die Investitionen in frühkindliche Bildung und Förderung deutlich aufstocken. Damit sorgen wir für faire Chancen für alle Kinder in unserer Gesellschaft. Im neuen Haushaltstitel "Qualifizierungsoffensive" sind 2011 dafür 82 Millionen Euro zusätzlich und bis 2014 insgesamt 488 Millionen Euro vorgesehen.

Dadurch zeigt sich: Sparen und Gestalten schließen sich nicht aus. Union und FDP konsolidieren den Haushalt, und dennoch investieren wir in die Zukunftschancen unserer Kinder.

Ich bin davon überzeugt, dass das der richtige Weg ist; denn mit der Förderung von Kindern aus bildungsfernen Schichten müssen wir viel früher anfangen als bisher. Wir setzen viel zu sehr auf kompensatorische Maßnahmen, und wir setzen zu wenig auf vorbeugende Maßnahmen, und das, wo doch mittlerweile wirklich Einigkeit darüber besteht, dass die Förderung in den ersten Jahren entscheidend für alle Bildungs- und Entwicklungschancen ist, die ein Kind hat. Deshalb werde ich die Offensive "Frühe Chancen" starten. Bis 2014 investieren wir rund 400 Millionen Euro in bis zu 4.000 Schwerpunkt-Kitas zur Sprach- und Integrationsförderung. Damit tragen wir insbesondere in sozialen Brennpunkten dazu bei, faire Chancen für alle Kinder, insbesondere für Kinder mit Migrationshintergrund, zu schaffen; denn ich bin - wie wahrscheinlich viele hier - nicht der Meinung, dass bei der Geburt eines Kindes bereits alle Würfel für die weitere Entwicklung gefallen sind. Vielmehr hat jedes Kind Talente und Potenzial. Unsere Aufgabe ist es, diese Talente zu fördern und dieses Potenzial auszuschöpfen. Das ist die richtige Antwort auf die massiven Integrationsprobleme, die wir in unseren Städten haben und die wir weder leugnen noch kleinreden sollten.

Die notwendige Haushaltskonsolidierung sehe ich auch als eine Gelegenheit, die Weichen neu zu stellen: weg von Sozialtransfers, die den Status quo zementieren, hin zu Investitionen in faire Zukunftschancen und in den gesellschaftlichen Wandel. Das war der Grundgedanke für meine Entscheidung, welchen Konsolidierungsbeitrag ich im Rahmen des Sparpakets der Bundesregierung leiste.

Dass beim Elterngeld gekürzt werden musste, war schon deshalb klar, weil es nun einmal zwei Drittel meines Etats ausmacht. Aber bei der Frage, wo wir ansetzen, galt für mich die zentrale Überlegung: Wie bekommen wir es hin, beim Elterngeld zu sparen, ohne dass es seine gesellschaftspolitische Gestaltungskraft verliert, im Hinblick auf die Beteiligung von Männern bei Fürsorgeaufgaben und im Hinblick auf den Wandel in unserer Arbeitswelt? Die Antwortet lautet: indem wir dort sparen, wo Elterngeld bisher häufig dazu beigetragen hat, die Abhängigkeit von Sozialleistungen zu verstärken.

Die SGB-II-Leistung deckt ab, was Menschen zum Leben brauchen. Die Anrechnungsfreiheit für das Elterngeld war deshalb von Anfang an systematisch nicht richtig. Wenn ein Paar im Hartz-IV-Bezug ein Kind bekommt, dann wird gelegentlich so getan, als gebe es keinerlei staatliche Leistungen. Vielmehr ist es aber so, dass dieses Paar für das Kind selbstverständlich einen eigenen Bedarfssatz bekommt. Die Zuschüsse für die Wohnung werden erhöht. Es gibt eine Erstausstattung für das Kind; auch dafür gibt es noch Extrageld. Wenn es sich um Alleinerziehende handelt, dann bekommt diese oder dieser Alleinerziehende monatlich einen Mehrbedarfszuschlag. All das leistet der Staat. Zusätzlich zu diesem Existenzminimum noch Elterngeld zu zahlen, kann auch eine negative Wirkung entfalten. Schauen Sie sich nur einmal eine vierköpfige Familie an, die ausschließlich von Hartz IV lebt und eine durchschnittliche Miete zahlt. Diese Familie erhält vom Staat 1.585 Euro netto. Wenn dann noch 300 Euro Elterngeld draufkommen, dann sind wir bei 1.885 Euro netto. Das ist ein Problem in Bezug auf das Lohnabstandsgebot. Dann fragen sich diejenigen Leute, die arbeiten gehen, die jeden Tag früh aufstehen und hart arbeiten, warum sie das überhaupt tun. Das kann nicht in unserem Sinne sein. Derjenige, der arbeiten geht, muss mehr haben als der, dessen Auskommen die Gemeinschaft finanziert. Deshalb unsere Entscheidung, Elterngeld all denjenigen zu gewähren, die vor der Geburt gearbeitet haben, einschließlich Minijobbern und Aufstockern - gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen arbeite ich hierzu an sachgerechten Lösungen -, bei voller Anrechnung des Elterngelds auf Leistungen nach dem SGB II, also dann, wenn Familien ausschließlich von Hartz IV leben.

Das Lohnabstandsgebot ist ein entscheidendes Gebot der Gerechtigkeit, nämlich dass derjenige, der arbeitet, mehr hat als derjenige, der nicht arbeitet. Sie können ausrechnen, was man für 1.885 Euro netto brutto verdienen muss. Der Anreiz, arbeiten zu gehen, ist in diesen Fällen ausgesprochen gering.

Wir sparen damit 450 Millionen Euro. Betroffen sind 16 Prozent aller Elterngeldbezieher. Familien, die ein höheres Einkommen beziehen, sind übrigens von den Elterngeldkürzungen stärker betroffen. Sie bekommen unter anderem deshalb weniger als bisher, weil wir bei denjenigen, deren Nettoeinkommen mehr als 1.200 Euro beträgt, den Prozentsatz für das Elterngeld von 67 Prozent auf 65 Prozent absenken.

Was sich allerdings nicht ändert - das ist der entscheidende Punkt -, ist die Grundstruktur des Elterngeldes. Denn nur dann, wenn es von der Kernidee her seine Wirkung als Lohnersatzleistung entfaltet, bleibt das Elterngeld auch weiterhin attraktiv für Väter. Nur dann entfaltet es auch weiterhin seine Wirkung auf die Kultur in der Arbeitswelt, vor allem in der Form, dass familiäre Aufgaben und private Verpflichtungen ebenfalls eine Rolle spielen.

Der Einzelplan 17 trägt der Tatsache Rechnung, dass sich die soziale Gerechtigkeit unserer Gesellschaft nicht in erster Linie auf der Umverteilungsebene entscheidet. Die soziale Gerechtigkeit unserer Gesellschaft entscheidet sich vielmehr dort, wo es um die Verteilung von Chancen auf Bildung und Entwicklung von Kindern geht. Wir wollen eine Gesellschaft, in der jedes Kind eine faire Chance erhält. Wir wollen eine Gesellschaft, in der sich Menschen Zeit für Verantwortung nehmen können: für Kinder, Partnerschaft, pflegebedürftige Angehörige und Engagement.

Wir wollen eine Gesellschaft, die zusammenhält, weil sich Menschen durch Leistung Aufstiegschancen erarbeiten können und weil Menschen Verantwortung füreinander übernehmen. Dafür setzt sich die christlich-liberale Koalition ein. Das sind die Schwerpunkte, die wir im Einzelplan 17 unseres Haushaltes setzen.


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Quelle:
Bulletin Nr. 88-3 vom 16.09.2010
Rede der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
Dr. Kristina Schröder, zum Haushaltsgesetz 2011 vor dem
Deutschen Bundestag am 16. September 2010 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. September 2010