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RENTE/568: Armutsvermeidung und Lebensstandardsicherung als Ziel gesetzlicher Rentenversicherung (spw)


spw - Ausgabe 2/2011 - Heft 183
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

Armutsvermeidung und Lebensstandardsicherung als Ziel der gesetzlichen Rentenversicherung

Von Adolf Bauer


Grundlegende Veränderungen in der Alterssicherung

"Spare in der Zeit, so hast du in der Not" ist an sich eine Binsenweisheit, die jedoch mit Blick auf die Entwicklung der Alterssicherung in den letzten Jahren eine völlig neue Bedeutung erhalten hat. Die Erkenntnis, dass die gesetzliche Rente trotz eines langen Arbeitslebens im Alter nicht mehr reicht, wächst bei vielen der gesetzlichen Rentenversicherten nur langsam und tritt oftmals erst dann zu Tage, wenn es bereits zu spät ist. Die Gründe hierfür sind durchaus vielfältig und reichen von der in unserer Gesellschaft stark ausgeprägten Jugendkultur und der Verneinung des Älterwerdens bis hin zum voreiligen Weglegen der jährlich versendeten Rentenmitteilung, die dann schnell wieder in Vergessenheit gerät. Dagegen sollten die Alarmzeichen seit dem längst vollzogenen Paradigmenwechsel in der Rentenpolitik bei allen Betroffenen auf Rot stehen. Das über Jahrzehnte währende Prinzip, wonach die Rente den im Erwerbsleben erreichten Lebensstandard in erster Linie sichern soll, gilt nicht mehr. Der Grund hierfür ist vor allem ein konstanter Raubbau an der gesetzlichen Rentenversicherung, wie sich an vielen Beispielen belegen lässt. Dabei kam der solidarischen und umlagefinanzierten Rentenversicherung als maßgeblichem Sozialversicherungssystem immer eine besondere Funktion zu. Sie hat bisher ein solides Maß an materieller Sicherheit und Unabhängigkeit im Alter gewährleistet.

Die Vergangenheit zeigt es deutlich: Das beständige Leistungsniveau der gesetzlichen Rentenversicherung hat über Jahrzehnte ein hohes Maß an gesellschaftlicher Stabilität generiert und die Rentnerinnen und Rentner zudem vor der drohenden Gefahr der Altersarmut geschützt. Die hohe Bedeutung dieser elementaren Sozialversicherung ist schon allein aus diesen Gründen unbestritten und deshalb vollkommen zu Recht ein viel diskutiertes Thema. Gleichwohl ist die Rentenbilanz der vergangenen Jahre zweifellos niederschmetternd und alarmierend zugleich. Insbesondere die tiefen Einschnitte bei den Renten haben den Rentnerinnen und Rentnern schwer zugesetzt und zu spürbaren Kürzungen bei den Auszahlungsbeträgen geführt. Nullrunden, geringe Rentenerhöhungen sowie steigende Beitragsbelastungen in der Kranken- und Pflegeversicherung haben die Rentenkaufkraft um bis zu zehn Prozent sinken lassen. Auch das schmale Ein-Prozent-Plus in diesem Jahr wird den jahrelangen Kaufkraftverlust nicht stoppen, den die Rentnerinnen und Rentner seit der ersten Nullrunde im Jahr 2004 erlitten haben. Zudem zeigt die magere Anpassung auf erschreckende Weise, dass die gesetzliche Rente anscheinend selbst vom aktuellen Wirtschaftsaufschwung nicht profitiert und auf der Strecke bleibt. Damit werden die Rentnerinnen und Rentner immer stärker von der allgemeinen Wohlstandsentwicklung abgekoppelt und sind den prognostizierten Preissteigerungsraten von zwei Prozent regelrecht ausgeliefert. Unter dem Strich wird auch 2011 zu einer Minusrunde, die den bereits eingetretenen Realwertverlust der Renten weiter verstärken wird. Ein Ende des Wertverfalls bei den Renten ist aber vor allem deshalb mittel- und auch langfristig nicht in Sicht, weil die Absenkung des Rentenniveaus bis zum Jahr 2030 beschlossene Sache ist. Nur wenn neben der gesetzlichen Rente ausreichende Leistungen der privaten und betrieblichen Altersvorsorge angespart worden sind, wird der Lebensstandard des Erwerbslebens auch im Alter erhalten bleiben. Das Jahrzehnte lang gültige Prinzip, wonach die Rente den im Erwerbsleben erlangten Lebensstandard in weiten Teilen gesichert hat, ist damit augenscheinlich hinfällig.


Ansteigende Altersarmut ist vorprogrammiert

Diese historische Zäsur hat insbesondere für die Bezieher kleiner Einkommen tiefgreifende Folgen, denn für sie wächst durch die Absenkung des Rentenniveaus die Gefahr der Altersarmut. Rund 2,4 Prozent der Rentnerinnen und Rentner sind laut Angaben des Statistischen Bundesamtes gegenwärtig so arm, dass ihre Rente vom Sozialamt aufgestockt werden muss. Es ist zu befürchten, dass diese Zahl in Zukunft noch stärker ansteigt und die Altersarmut weiter ausufert. Vor allem Niedriglohnbeschäftigte, Langzeitarbeitslose und prekär Erwerbstätige sind davon betroffen. Denn ihnen fehlt neben dem Erwerb von Rentenanwartschaften die Möglichkeit, für eine private Zusatzvorsorge zu sparen und in Eigenregie vorzusorgen. Ein besonders hohes Risiko besteht für die Menschen, die vorzeitig aus dem Berufsleben ausscheiden müssen und Erwerbsminderungsrenten beziehen. Sie sind nicht nur vom unmittelbar abgesenkten Rentenniveau betroffen, sondern müssen zudem auch spürbare Abschläge verkraften. Die Zahlen zeigen die Realität klar und deutlich auf: Tritt die Erwerbsminderung vor dem vollendeten 63. Lebensjahr ein, sind seit 2001 Abschläge von bis zu 10,8 Prozent möglich.

Unabhängig von den fatalen Folgen für die betroffenen Menschen berührt die Altersarmut-Problematik aber auch ein verfassungsrechtliches Grundproblem, das reichlich Zündstoff enthält. Es zeichnet sich bereits ab, dass die Rentenbeiträge für eine wachsende Zahl von Versicherten einer Zwangsabgabe ohne Anspruch auf Gegenleistung gleichkommen. Der Grund hierfür ist die Tatsache, dass für viele Versicherte unter dem Strich nur die Grundsicherung bleibt. Damit verfügen sie letztlich über den gleichen Betrag wie die Menschen, die nie Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben. Nicht weniger als die Legitimität der gesetzlichen Rentenversicherung insgesamt wird somit unterminiert.


Dringender Handlungsbedarf

Es ist offensichtlich, dass ein enormer Handlungsbedarf besteht, wenn die gesetzliche Rentenversicherung Armutsvermeidung und Lebensstandardsicherung auch in Zukunft gewährleisten soll. Dabei muss zielführend unterschieden werden, denn notwendig sind sowohl wirksame Maßnahmen, die das System der gesetzlichen Rentenversicherung als auch das System der Grundsicherung betreffen. Der SoVD hat konkrete Vorschläge entwickelt, wie diese Ziele erreicht werden können.

Grundsätzlich gilt: Um Altersarmut zu vermeiden, sind adäquate Beitragszahlungen in der Erwerbsphase erforderlich. Sie sind die Voraussetzung für höhere Rentenansprüche in der Zukunft. Der SoVD schlägt hierfür zum Beispiel die Einbeziehung von Erwerbstätigen ohne eine obligatorische Alterssicherung in die gesetzliche Rentenversicherung vor. Aufgrund des jahrelangen Anstiegs des Niedriglohnsektors sind aber auch Maßnahmen geboten, um die Zeiten der Niedriglohnbeschäftigung besser abzusichern. Hier besteht ein dringender Handlungsbedarf, denn in keinem anderen Land in Europa hat sich der Niedriglohnsektor soweit ausgewachsen wie in Deutschland. Der SoVD fordert deshalb vor allem die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Gehandelt werden muss auch, um langzeitarbeitslose Menschen vor der Altersarmut zu schützen. Langzeitarbeitslose Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erwerben gegenwärtig keine Rentenanwartschaften mehr. Notwendig wäre jedoch eine Orientierung an 50 Prozent des Durchschnittsverdienstes, um eine armutsvermeidende Absicherung zu erreichen. Zudem müssen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besser vor den Armutsfolgen einer Erwerbsminderung geschützt werden, indem die massiven Abschläge auf die Erwerbsminderungsrenten abgeschafft werden. In Ergänzung zu höheren Beiträgen während der Erwerbsphase und der Streichung von Rentenabschlägen ist aber auch ein Sozialausgleich für fehlende Beitragszahlungen in der Vergangenheit nötig. Damit werden Maßnahmen angesprochen, die in der Rentenbezugsphase ansetzen. Dazu gehört zum Beispiel eine befristete Verlängerung der so genannten Rente nach Mindesteinkommen ebenso wie eine stärkere Berücksichtigung von Pflege- und Erziehungszeiten.

Neben den gebotenen Maßnahmen im Kampf gegen die akute Gefahr der ausufernden Altersarmut sind aber auch weitere Schritte erforderlich, damit die gesetzliche Rentenversicherung als erste Säule der Alterssicherung erhalten bleibt. Dieses Sicherungsziel gilt es jetzt in den Vordergrund zu rücken, wenn das Vertrauen in die gesetzliche Rentenversicherung wiederhergestellt werden soll.


Adolf Bauer ist Präsident des Sozialverband Deutschland (SoVD).


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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 2/2011, Heft 183, Seite 41-43
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juli 2011