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WOHNEN/144: Für das Recht auf Wohnen - lokale Macht, globale Politik (Pressenza)


Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Nachricht aus der Redaktion Barcelona, 21. November 2017

Für das Recht auf Wohnen - lokale Macht, globale Politik



Kleiner Balkon mit Sitzgelegenheit und Blumen bietet Aussicht auf umliegende Wohnblocks - Bild: © Pilar Paricio

Bild: © Pilar Paricio

Barcelona - 21.11.2017. Barcelona, New York und Lissabon fordern, Mieten für Wohnungen selber begrenzen zu können. Die drei Städte unterzeichneten einen gemeinsamen Artikel, in dem sie mehr gesetzgeberische Kapazitäten gegen "wachsenden Spekulationsdruck, Belästigung und Vertreibung" fordern, wie dies bereits in den Städten Paris und Berlin der Fall ist. Im Rahmen des Weltkongresses der Smart Cities Expo und der Eurocities-Arbeitsgruppe für Wohnungswesen bestätigte Ian Brossat, Leiter der Abteilung Wohnungswesen des Stadtrats von Paris, dass die Mietpreisgrenzen in der französischen Hauptstadt sehr gut funktionieren.

Der Wohnungsbau ist eines der zentralen Themen des Forums für soziale Angelegenheiten des Netzwerks Eurocities, das sich aus 140 Städten in Europa zusammensetzt und zwei Jahre lang von Barcelona geleitet wird. In diesem Rahmen wird auch eine intensive Kampagne gefördert, um die Nationalstaaten zu einer stärkeren Sensibilisierung und zu einem Transfer von Kompetenzen und Ressourcen an die Städte aufzufordern, damit sie allen Bürgern die effektive Ausübung aller sozialen Rechte, einschließlich des Wohnraums, garantieren können.

Hier der komplette Artikel, geschrieben von den für Wohnraum in Barcelona, New York und Lissabon Verantwortlichen:


Für das Recht auf Wohnen: lokale Macht, globale Politik

Städte sind unser Zuhause, der gemeinsame Raum unserer Träume und Ängste, in dem die größten Bedrohungen Gestalt annehmen und Unterschiede sichtbar werden, aber auch wo Hoffnungen entstehen und sozialer Fortschritt und Solidarität aufgebaut werden. Städte, wo fast alles angefangen hat, seitdem sich die Menschen nicht mehr fortbewegen, um Nahrung zu finden. Ja, die Stadt ist unsere Heimat, und doch ist sie heute auch der Ort, wo das Recht auf Wohnen, eines der grundlegendsten, aber am wenigsten geschützten Rechte, am meisten bedroht ist. Die verminderte Rentabilität des Kapitals und die unkontrollierten und extrem agilen internationalen Finanzbewegungen haben den städtischen Wohnungsbau, insbesondere in Hauptstädten und dynamischen Städten wie den unseren, zum Objekt spekulativer Investitionen gemacht. Dies setzt unsere Städte zunehmend unter Druck, oft durch große Investmentfonds und andere internationale Akteure. Wir können sagen, dass gerade ihr Erfolg und ihre Attraktivität Bewohner und Familien in den Städten gefährden. Der touristische Druck treibt die Preise nach oben und führt dazu, dass immer mehr Wohnungen zur Fremdenvermietung anstatt als dauerhaften Wohnsitz angeboten werden. Wir haben bereits Viertel in unseren Städten, wo es mehr Touristenunterkünfte als Erstwohnsitz-Wohnungen gibt. Der Kauf ganzer Gebäude durch Investitionsfonds für Einnahmen durch Tourismus und die Verbreitung von Unternehmen, die sich auf kurzfristige Mietobjekte wie AirBnB spezialisiert haben, ist ein gemeinsames Problem der Städte, die diesen Artikel unterzeichnet haben. Der Gentrifizierungsprozess - Eigentümer mit hoher Kaufkraft, die sich in Vierteln mit Arbeitertradition niederlassen - führt unterdessen auch zu einem Anstieg der Mietpreise, verdrängt Mieter mit geringerem Einkommen (oftmals Migranten und Minderheiten) und lässt jahrzehntelang gewachsene Gemeinden verschwinden. Mit dem Anstieg der Wohnungspreise, vor allem der Mieten, wird Wohraum für die meisten Menschen unerschwinglich. Hinzu kommen niedrige Löhne und prekäre Arbeitsverträge, die die Einkommensungleichheit weiter erhöhen und zu einer sozialen Abwärtsspirale führen.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass die verschiedenen Formen der Ausgrenzung von Wohnraum zunehmen: Familien, die in die Peripherie der Städte vertrieben werden, zunehmend schlechtere Wohnbedingungen (weniger Platz, schlechterer Zustand das Wohnraums) bis hin zum extremsten Ausdruck der Instabilität von Wohngebieten: den Obdachlosen. Zahlreiche Studien belegen, dass Schwierigkeiten beim Zugang zu erschwinglichen Wohnungen das Risiko von Armut und sozialer Ausgrenzung erhöhen. Die exorbitanten Mietpreise führen zu einer erheblichen Ausweitung der sozialen Verwundbarkeit und, in den vom Armut am stärksten betroffenen Gebieten, zu Segregation und chronischer Ausgrenzung. Saskia Sassen argumentiert, dass die größte Bedrohung für die gegenwärtige Weltwirtschaft die Vertreibung ist. Vertreibung durch Arbeitslosigkeit oder Armut, durch Kriege und Gewalt, durch die Zerstörung von Wasser und Land ... und natürlich auch Vertreibung aus Städten und Häusern durch Zwangsvollstreckungen oder Anhebungen der Mieten. Ein Risiko, das uns alle global verbindet. Wir müssen die Menschen über wirtschaftliche Interessen stellen. Wir müssen Maßnahmen ergreifen, um das Recht auf Wohnen in der Stadt zu gewährleisten. Das ist es, was wir in unseren Städten tun.

In diesem Sommer sind wir als "Fearless Cities" [1] beim internationalen Gipfel der Städte (International Municipalist Summit) in Barcelona, um einige wichtige Strategien wie die Förderung des öffentlichen Wohnraums, Mietzinszuschüsse und Rehabilitation zu diskutieren, wobei wir auch neue Formen des sozialen Wohnungsbaus wie die Überlassung von Spekulationsobjekten zur Nutzung als Wohnraum hervorheben. Dazu gehört auch die Entwicklung kreativer Lösungen für Obdachlose, die den Zugang zu menschenwürdigen Unterkünften, nicht nur vorübergehenden Notunterkünften, ermöglichen. Insbesondere möchten wir zwei wesentliche Handlungsfelder hervorheben, in denen Städte mehr Fähigkeiten entwickeln müssen. Erstens ist es unerlässlich, dass eine Regelung des Mietpreises möglich ist, die es den Städten erlaubt, Obergrenzen für Mieten zu setzen und den Vermietern zu verbieten, diese zu überschreiten. Tatsächlich ist dies bereits in New York und anderen Städten wie Paris oder Berlin Realität, aber wir fordern mehr Regulierungskapazitäten und mehr Mittel, um Mieter zu organisieren, damit sie mit zunehmendem Spekulationsdruck, Belästigung und Vertreibung umgehen können. Zweitens müssen wir den Fremdenverkehr in unseren Städten regulieren, indem wir seine Überbeanspruchung und Klassifizierung einschränken, damit er in seinen vielfältigen kreativen Facetten stets attraktiv und produktiv, und trotzdem gleichzeitig in seiner Auswirkung auf die Mietpreise begrenzt bleibt. Und wir bitten die großen Reiseveranstalter und Vermieter nicht um Außergewöhnliches, sondern einfach nur darum, die Gesetze einzuhalten. Wir müssen den illegalen Touristenwohnungen ein Ende bereiten, und wir werden hier rigoros für das Gemeinwohl eintreten.

Drei Städte haben diesen Artikel unterzeichnet, weil wir durch die gleichen Herausforderungen und Hoffnungen vereint sind. Wir alle haben am UN Habitat III Gipfel teilgenommen, der "das Recht auf menschenwürdige Unterbringung für alle" forderte und eine Neue Urbane Agenda verabschiedete. Das Recht auf Wohnen und seine soziale Funktion muss als schützenswertes Recht nicht nur in den Städten, sondern überall weltweit anerkannt werden. Die Verantwortung und das Ziel, das Recht auf ein menschenwürdiges Leben in einer Stadt zu gewährleisten, müssen von den verschiedenen Regierungsebenen, von der lokalen bis hin zur globalen Ebene, geteilt werden. In der Abschlusserklärung von Habitat III wurde daran erinnert, dass systemische Reformen, ein handlungsfähiger öffentlicher Sektor sowie langfristige finanzielle Unterstützung erforderlich sind, um allen Menschen Zugang zu angemessenem Wohnraum zu ermöglichen. Die nationalen und lokalen Behörden müssen wieder eine führende Rolle bei der Bereitstellung erschwinglicher Wohnungen ohne Zugangsbeschränkung, insbesondere für die ärmsten Bevölkerungsgruppen, übernehmen. Wir sind nicht allein, wir haben einander, jeder mit seiner Einzigartigkeit, und aus tiefer Solidarität heraus fordern wir eine führende Rolle für Städte,die mit mehr Kompetenzen und Befugnissen ausgestattet werden müssen, um Maßnahmen zugunsten der Bürger zu ergreifen zu können.

Zygmunt Bauman sagte, dass wir vor einem Szenario von "lokaler Politik ohne Macht" und "globaler Macht ohne Politik" stünden. Die Städte, die diesen Artikel unterschreiben, fordern eine "lokale Macht mit globaler Politik" und wir wollen damit unsere Städte zu einem Ort der Aufnahme, der Rechte und des Wohlergehens für alle machen. Unsere Städte sind keine Ware. Sie sind eine vielfältige Gemeinschaft von Menschen, die gemeinsam leben und gedeihen wollen. Wir wollen, dass unsere Städte Orte sind, an denen man arbeiten, spielen, wertschätzen, aufwachsen, Kinder haben, erfinden, produzieren und Geschäfte machen kann! Vor allem aber, wo man leben kann, wo die ganze Welt leben kann und zwar in Würde. Ein Ort, wo das Recht, inklusive dem Recht auf Wohnen, garantiert wird.

Brad Lander, Stadtrat von New York, verantwortlich für bezahlbaren Wohnraum

Paula Marques, Stadträtin von Lissabon

Laia Ortiz, Stellvertretende Bürgermeisterin der sozialen Rechte in Barcelona


Anmerkung:
[1] http://fearlesscities.com/


Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

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Quelle:
Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Johanna Heuveling
E-Mail: johanna.heuveling@pressenza.com
Internet: www.pressenza.com/de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. November 2017

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