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NATO-PROTEST/004: Am Vorabend des NATO Gipfels - IALANA-Schreiben an Außen- und Verteidigungsminister (IALANA)


IALANA - Datum: 2010-11-18 22:12
Juristen und Juristinnen gegen atomare, biologische und chemische Waffen
Für gewaltfreie Friedensgestaltung
Deutsche Sektion der International Association Of Lawyers Against Nuclear Arms


Am Vorabend des NATO Gipfels - IALANA-Schreiben an Außen- und Verteidigungsminister


Sehr geehrte Damen und Herren,

in der Anlage geben wir Ihnen ein Schreiben zur Kenntnis, mit dem sich der Vorsitzende der deutschen IALANA am Vorabend der NATO-Konferenz in Lissabon an die Minister Westerwelle und zu Guttenberg gewandt hat.

Es enthält einen dringenden Appell, bei der Formulierung der neuen NATO-Strategie die verfassungsrechtlichen Verpflichtungen zur Beachtung des Völkerrechts einzuhalten. Dies gebietet schon der Amtseid, den die für Außen-und Sicherheitspolitik verantwortlichen Minister abgelegt haben.

Mit freundlichen Grüßen,
Otto Jäckel


*


IALANA
Juristen und Juristinnen gegen atomare, biologische und chemische Waffen
Für gewaltfreie Friedensgestaltung
Deutsche Sektion der International Association Of Lawyers Against Nuclear Arms

IALANA Schützenstraße 6a
10117 Berlin

Berlin / Marburg, 18. November 2010


Sehr geehrter Herr Dr. Westerwelle, sehr geehrter Herr zu Guttenberg,

ich wende mich aus Anlass der abschließenden Beratung der neuen NATO-Strategie auf der bevorstehenden Gipfelkonferenz in Lissabon an Sie. Die deutsche IALANA findet es zunächst äußerst bedauerlich, dass dieses Strategiepapier, das auf absehbare Zeit die Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands wesentlich bestimmen wird, entgegen der Ankündigung auf der NATO-Konferenz im vergangenen Frühjahr in Straßburg ohne eine breite öffentliche Diskussion beschlossen werden soll.

Soweit man aus dem "Albright-Papier" vom Mai dieses Jahres auf den Inhalt der Beschlussvorlage für Lissabon schließen kann, erfüllen uns mehrere Punkte mit großer Sorge.


1. Die drohende Loslösung von den Bindungen der Charta der Vereinten Nationen aufgrund einer "Neuen Bedrohungslage"

Zutreffend ist zwar, dass die Menschheit im globalen Maßstab mit einer Vielzahl von Problemen und Herausforderungen konfrontiert ist wie knapper werdende Energiequellen, Klimawandel, Hunger und Armut, Migration, zerfallende Staaten, internationaler Terrorismus, Drogenhandel und Cyberattacken. Die Lösung dieser Probleme sehen wir jedoch als politische Aufgabe an, die die Staaten und Zivilgesellschaften zu bewältigen haben. Militärische Einsätze der NATO bleiben nach der in § 1 des NATO-Vertrages normierten strikten Bindung an die Charta der Vereinten Nationen hingegen weiterhin nur zulässig, wenn ein Angriff auf ein Mitglied des Bündnisses im Wege der Selbstverteidigung nach Art. 51 UN-Charta vorliegt oder der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zuvor eine Bedrohung des Friedens und der internationalen Sicherheit festgestellt hat.

Jeglicher Militäreinsatz aufgrund einer "Selbstmandatierung" wegen der oben geschilderten Bedrohungslage oder aufgrund des Diskussionspapiers "Responsibility to Protect" wäre ein schwerer Verstoß gegen das Völkerrecht und würde sich selbst als völkerrechtswidrige Aggression darstellen, die das legitime Selbstverteidigungsrecht des betroffenen Staates nach Art. 51 UN-Charta auslösen könnte. Entgegen der in der NATO teilweise vertretenen Ansicht hat sich auch zu einem Militäreinsatz wegen einer "humanitären Intervention" ohne Sicherheitsratsbeschluss kein Völkergewohnheitsrecht herausgebildet. Insoweit fehlt es insbesondere in der Diskussion nach dem Jugoslawienkrieg an einer einheitlichen Auffassung in der internationalen Völkerrechtslehre und einer allseits akzeptierten Staatenpraxis.


2. Verstoß gegen die Verpflichtung zur vollständigen atomaren Abrüstung nach Art. 6 NPT und dem Gutachten des IGH vom 8. Juli 1996

Wir haben zunächst positiv zur Kenntnis genommen, dass in Lissabon über den Verzicht auf die Anwendung von Atomwaffen gegenüber Staaten beraten werden soll, die selbst nicht über Atomwaffen verfügen und das Kontrollregime der IAEO einhalten.

Mit den Regeln des Völkerrechts unvereinbar ist jedoch die von NATOGeneralsekretär Rasmussen angekündigte Position, wonach die NATO auf absehbare Zeit "sichere und verlässliche Nuklearkräfte" beibehalten will und auch an der "Nuklearen Teilhabe" der NATO-Staaten, die nicht über eigene Atomwaffen verfügen, festgehalten werden soll.

Wir erinnern daran, dass der Gerichtshof der Vereinten Nationen in seinem auf Initiative der IALANA und der IPPNW von der UN- Generalversammlung in Auftrag gegebenen Gutachten die Rechtswidrigkeit der bestehenden Atomwaffenarsenale schon aus dem bestehenden Völkerrecht abgeleitet hat. Danach verstößt die Androhung der Anwendung und der Einsatz von Waffen gegen das Völkerrecht, die in ihrer Wirkung nicht zwischen Kombattanten und Zivilpersonen unterscheiden, die unnötige Leiden bei den überlebenden Opfern verursachen, die Nachbarstaaten in Mitleidenschaft ziehen, die nicht an dem Konflikt beteiligt sind und die dauerhafte schwere Umweltschäden hervorrufen. Atomwaffen erfüllen alle diese völkerrechtlichen Ausschlusskriterien. Der IGH hat hieraus und aus der vertraglichen Regelung in Art. 6 NPT die völkerrechtliche Pflicht aller Staaten abgeleitet, umgehend mit dem ernsten Willen zur Einigung über eine Abrüstung aller Atomwaffen bis auf Null zu verhandeln. Diese Pflicht betrifft auch Deutschland. Dies umso mehr als Deutschland schon fortlaufend gegen die vertragliche Pflicht aus dem Atomwaffensperrvertrag und dem 2+4 Vertrag verstößt, keine Atomwaffen anzunehmen, indem die Soldaten des Jagdbombergeschwaders 33 in Büchel täglich den Abwurf der dort gelagerten B 61 Atombomben trainieren.

Die vorgenannten Fragen können nicht nach Grundsätzen politischer Opportunität und Rücksichtnahmen auf die Interessen von Verbündeten, sondern allein aufgrund der verfassungsrechtlichen Bindung an das Völkerrecht entschieden werden.

Mit freundlichen Grüßen
Otto Jäckel


*


Quelle:
Pressemitteilung vom 18. November 2010
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Telefon: (030) 20 65-48 57, Fax: (030) 20 65-48 58
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. November 2010