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FRAGEN/010: Indigene - UN-Sonderberichterstatter James Anaya im Interview (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. Juni 2013

Indigene: Anerkennung von Rechten ist kein Gesichtsverlust - UN-Sonderberichterstatter James Anaya im Interview

von Milagros Salazar


Bild: © Milagros Salazar/IPS

UN-Sonderberichterstatter James Anaya
Bild: © Milagros Salazar/IPS

Darwin, Australien, 5. Juni (IPS) - Nach Ansicht von James Anaya, dem UN-Sonderberichterstatter für die Rechte indigener Völker, werden Konsultationen im Zusammenhang mit der ILO-Konvention 169 meist nur als Entweder-Oder-Prozess begriffen. In Wirklichkeit seien sie ein Weg, um den beteiligten Parteien die Möglichkeit der Mitsprache und Einflussnahme einzuräumen.

Anaya hatte an der Konferenz des 'World Indigenous Network' (WIN) vom 26. bis 29. Mai in australischen Darwin teilgenommen. In seinem 30-minütigen Redebeitrag forderte er die internationale Staatengemeinschaft dazu auf, die 2007 angenommene UN-Erklärung über die Rechte indigener Völker (ILO-Konvention 169) zu respektieren.

Wie er im Gespräch mit IPS erläuterte, ist Peru das lateinamerikanische Land, das in dieser Hinsicht die größten formalen Fortschritte gemacht habe. Doch nun müsse der Andenstaat seine Fähigkeit, indigene Rechte zu akzeptieren, unter Beweis stellen.

In Ecuador, Bolivien, Brasilien und Kolumbien wird derzeit über diese Mechanismen diskutiert. Konkrete Bestimmungen oder Protokolle wurden dort noch nicht eingeführt. Anaya zufolge ist es aber wichtig, dass Regeln und Gesetze bereits vor der Aufnahme eines Konsultationsprozesses vorhanden sind. Für besonders wichtig hält er jedoch den Willen, indigene Rechte zu respektieren. Es folgen Auszüge aus einem Interview.

IPS: Lateinamerikanischen Staaten wird gern vorgeworfen, einen doppelten Standard anzulegen: zum einen internationale Abkommen zum Schutz von Indigenen zu unterzeichnen, zum anderen jedoch die Umsetzung im eigenen Land zu hintertreiben. Schließen Sie sich dieser Meinung an?

James Anaya: Ich bin der Meinung, dass allein schon die Tatsache, dass fast alle Länder Lateinamerikas für die UN-Erklärung über die Rechte der indigenen Völker gestimmt und das ILO-Abkommen 169 ratifiziert haben, ein großer Fortschritt ist.

Nun gilt es diese Prozesse in die Praxis umzusetzen, was aufgrund der Komplexität kein leichtes Unterfangen ist. Staaten müssen Anstrengungen unternehmen, um diesen Herausforderungen gerecht zu werden. Es gilt eine Vielzahl von Fragen zu klären. Zunächst einmal müssen Behördenvertreter geschult werden, damit sie diese Regelungen verstehen und zudem begreifen, dass wir es hier nicht nur mit internationalen Bestimmungen zu tun haben, sondern mit solchen, die im eigenen Land umgesetzt werden müssen, weil sie für die indigenen Völker in deren Territorien gedacht sind.

Zweitens ist politischer Wille gefragt. Der ist manchmal ein Problem, weil es viele politische und wirtschaftliche Kräfte gibt, mit denen man sich auseinandersetzen muss. Der dritte wichtige Faktor ist die Einführung von Mechanismen, die eine Zusammenarbeit mit den Indigenen erst möglich machen, damit die Bestimmungen umgesetzt werden können.

IPS: Auf großen Widerstand bei Regierungen stößt ihre Verpflichtung, Rücksprache mit den indigenen Völkern vor der Umsetzung von Projekten auf deren Territorien zu halten. Wie sehen die Kriterien aus, die Regierungen anlegen, um zu entscheiden, wann ein indigenes Dorf ein Recht darauf hat, befragt zu werden?

Anaya: Sie variieren von Land zu Land.

IPS: Nehmen wir zum Beispiel Peru (...)

Anaya: In Peru steht die Regierung, was die Anwendung des Gesetzes angeht, noch am Anfang. Ich weiß, dass dort über das Registrierungsverfahren diskutiert wird. Doch müssen wir abwarten, wie das Gesetz am Ende angewendet wird. Ich hoffe, dass dieser Prozess in Übereinstimmung mit internationalen Standards erfolgt.

Andererseits sollten wir anerkennen, dass Beratungen auf grundlegenden Rechten aufbauen, die im Grunde für alle gelten. Was die indigenen Völker angeht, bedarf es aufgrund ihrer besonderen Charakteristika spezieller und differenzierter Verfahren. Es geht hier nicht um abstrakte Überlegungen, sondern um konkrete Fragen, die geklärt werden müssen.

IPS: Wenn wir von konkreten Fällen reden: In Peru ist man sich weitgehend einig, dass die indigenen Völker des Amazonasgebietes vor der Umsetzung von Projekten konsultiert werden müssen. Doch das ist nicht der Fall, wenn es um kleine indigene Bauernverbände geht, die sich haargenau dort befinden, wo Rohstoffe abgebaut werden sollen.

Anaya: Die Rechte indigener Völker müssen immer geschützt werden. Es ist notwendig, mit Entwicklungsprojekten zum Wohl aller voranzukommen, aber nur, wenn der Schutz der indigenen Völker gewahrt werden kann. Es ist durchaus möglich, beides unter einen Hut zu bringen.

IPS: Vielleicht liegt genau hier das Problem: Regierungen denken, dass sie mit Privatinvestitionen auf indigenen Territorien nur dann vorankommen, wenn die indigenen Völker außen vor gelassen werden (...)

Anaya: Das Problem liegt darin, dass man häufig der Meinung ist, dass beide Modelle nicht kompatible sind. Vielleicht ist es an der Zeit, neue Modelle zu entwickeln, die die Menschenrechte, die indigenen Rechte respektieren. Es geht nämlich ganz und gar nicht darum, Entwicklung abzubremsen.

IPS: Warum dann der Widerstand?

Anaya: Es wird viel zu viel polarisiert. Es muss mehr miteinander gesprochen werden.

IPS: Glauben Sie, dass der Staat seine Souveränität einbüßt, wenn eine indigene Gemeinschaft im Zusammenhang mit einem Investmentprojekt das letzte Wort behält?

Anaya: Ein Staat erleidet keinen Souveränitätsverlust, wenn er Menschen- oder indigene Rechte respektiert. Er hat sich an Bestimmungen zu halten, damit diese Rechte gewahrt werden. Ein Staat kann nicht einfach tun und lassen, was er will.

Lassen Sie es mich folgendermaßen sagen: Diese Rechte zu respektieren ist ein Weg, um überhaupt Souveränität ausüben zu können. Wenn ein Staat die Menschenrechte einhält, übt er seine Souveränität aus, weil dies im Sinne seiner Bürger und Völker ist.

IPS: Nichtsdestotrotz erleben die Regierungen derzeit einen Vertrauensverlust. Was muss getan werden, damit die Konsultationen sichergestellt werden können und es zu einem Dialog mit den Indigenen kommen kann?

Anaya: Misstrauen und Vorurteile müssen überwunden werden. Es geht nicht darum, wer bei solchen Verhandlungen als Sieger oder Verlierer hervorgeht. Jedem Konsens gehen Beratungen voraus. Der Sinn von Konsultationen ist einen Konsens zu erreichen. Es geht also nicht darum, der anderen Seite seinen Willen aufzuzwingen. (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://unsr.jamesanaya.org/
http://www.ipsnoticias.net/2013/06/el-estado-no-pierde-soberania-si-respeta-los-derechos-indigenas/
http://www.ipsnews.net/2013/06/qa-the-state-does-not-lose-sovereignty-if-it-respects-indigenous-rights/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 5. Juni 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juni 2013