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KONFERENZ/196: Habitat III - Zwei Schritte vor, ein Schritt zurück (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2016

Gutes Essen - schlechtes Essen
Strukturwandel wohin?

Zwei Schritte vor, ein Schritt zurück Bei der dritten Habitat-Konferenz der UN enttäuschte auch die Zivilgesellschaft

von Klaus Teschner


Vom 17. bis zum 20. Oktober 2016 tagte die Weltkonferenz Habitat III der Vereinten Nationen (UN) zu Wohnungs- und Siedlungsfragen, doch die Ergebnisse standen schon vorher fest. Es fragt sich, was Tausende gut bezahlte Mitglieder von Regierungsdelegationen und Stadtverwaltungen die ganzen Tage lang in Quito (Ecuador) gemacht haben. Über das Abschlussdokument, die Neue Urbane Agenda, wurde jedenfalls nicht verhandelt. Angesichts der legendären Vorgängerkonferenzen Habitat I (1976) und Habitat II (1996) war dies ein rundum enttäuschendes Ereignis. Versagt hat auch die Zivilgesellschaft, die dem zelebrierten Einheitsdenken nichts sichtbar entgegensetzte.

Das Abschlussdokument von Habitat III, die Neue Urbane Agenda, wurde seit 2015 in einem durchaus offenen, partizipativen Prozess (vor allem für Fachleute, Netzwerke und AkademikerInnen) erarbeitet, gesteuert durch das Habitat III Sekretariat in New York. Auf regionalen und thematischen Veranstaltungen in allen Kontinenten wurden Inputs erarbeitet, welche 22 Themenpapiere internationaler Expertengruppen ergänzten. Die letzte Version wurde im September in New York in einem exklusiven Kreis von Regierungen entschieden. Dieser "endgültige Entwurf" wurde dann in Quito ohne ein geändertes Wort und Komma beschlossen. Bis dahin waren viele vorher erkämpfte Passagen gestrichen worden. Vom Recht auf Stadt, das bis zuletzt umstritten war, blieb nur ein banaler, indirekter Bezug übrig.


Enttäuschung über die Agenda ...

Heraus kam ein unverbindliches Dokument mit 175 Paragraphen, vielen Schwächen, Fehlstellen und vagen Formulierungen. Die neue Agenda bietet keine Bezüge zur 1996 vereinbarten menschenrechtsorientierten Habitat-Agenda und auch nicht zu den Nachhaltigen Entwicklungszielen (SGDs). Alles neu? Nein, richtig Neues ist in der Agenda auch nicht zu finden.

Dass die zu verabschiedende Agenda in Quito nicht mehr diskutiert werden würde, löste bei vielen der etwa 30.000 Teilnehmenden Irritationen aus. Für mehrere Hunderte Stadtoberhäupter, die mit ihrem Netzwerk kurz davor eine Resolution zur Neuen Urbanen Agenda erarbeitet hatten, war dies gewiss enttäuschend - von der Entscheidung über die Agenda waren sie jetzt trotz der zuvor beschworenen "gewachsenen Bedeutung der Städte" ausgeschlossen.


... und auch die Zivilgesellschaft enttäuschte

Zivilgesellschaftliche Organisationen aus aller Welt gaben der Konferenz mit ihrer Präsenz Farbe und Glanz und präsentierten in Parallelveranstaltungen mit GeldgeberInnen oder Regierungen ihre Projekterfolge und guten Ansätze. Nur sehr diskret, wenn überhaupt, wurden dabei neoliberale Vorgaben von Entwicklungsagenturen und UN-Organisationen kritisiert, auch nicht Vertreibungen durchführende Stadtverwaltungen oder auf Vermarktung ihrer neuen Stadttechnologie drängende Konzerne, die doch insgesamt den Raum der Konferenz und des Ausstellungsgeländes bestimmten.

Dabei sollte den meisten AkteurInnen klar sein, dass städtische Umwandlungsprozesse der nächsten Jahrzehnte - zum nachhaltigen Ausbau von Verkehrssystemen, zur Anpassung an Bedürfnisse der Mittelschichten und globalen InvestorInnen, zur Klimafolgenanpassung etc. - stets mit massiver Verdrängung und Vertreibung der sozial Schwächsten einhergehen werden. Dass sich die Neue Urbane Agenda hierzu nicht äußert, hätte Anlass sein müssen für laut hörbare Proteste, um eine unmissverständliche Verurteilung von Vertreibungen zu fordern und Maßnahmen gegen die Verdrängung einkommensschwacher Sozialgruppen an den Stadtrand. Im Schatten der Kampagne um das Recht auf Stadt scheint die kritische NGO-Szene (Nichtregierungsorganisationen) übersehen zu haben, dass das bei der letzten Habitat-Konferenz 1996 in Istanbul noch vehement verteidigte Recht auf Wohnen in der Neuen Urbanen Agenda zurechtgestutzt ist auf eine Selbstverpflichtung zu Wohnbaupolitiken, ohne Ächtung von Vertreibungen und ohne Schutz von Bleiberechten.

Noch schwerwiegender ist, dass von zivilgesellschaftlicher Seite kein überzeugendes Gegenprojekt präsentiert wurde, das dem neoliberalen, auf Privatisierung ausgelegten Mainstream, aber auch den immer stärker werdenden extraktiven Tendenzen zur Finanzialisierung und Globalisierung von Bodenmärkten und Wohnungsbeständen etwas entgegensetzt. Wenn der in Städten angehäufte gesellschaftliche Reichtum sich mehr und mehr in Händen privater EigentümerInnen und global agierender FinanzinvestorInnen konzentriert und kaum mehr für öffentliche Belange abgeschöpft wird, wenn der Zugriff auf städtischen Boden immer mehr monopolisiert wird, dann ist eine menschengerechte, soziale und ökologische Stadtpolitik nicht mehr denkbar.


Wo blieben die kritischen Stimmen?

Das weltweite Netzwerk 'Habitat International Coalition' (HIC) war in Quito durch seine lateinamerikanischen (100 +) Mitgliedsorganisationen stark präsent und sichtbar. Es brachte in und außerhalb der offiziellen Veranstaltung gut durchdachte kritische Stellungnahmen vor und betonte auch die Defizite der neuen Agenda in Bezug auf Menschenrechte sowie die fehlende Regulierung von Märkten. Das HIC-Netzwerk legte aber die Energie seines Engagements auf die Unterstützung der Kampagne zum Recht auf Stadt sowie auf die Kritik an der Einengung des Veranstaltungsthemas auf das "Urbane", wodurch der ländliche Raum ausgrenzt bliebe - eine Kritik am veranstaltenden Habitat III-Sekretariat, die niemanden sonst berührte.

Die Veranstaltungen der Kampagne zum Recht auf Stadt waren zudem oft abstrakte Debatten über Inhalt und Bedeutung dieses Begriffs und wiesen wenig politische Sprengkraft auf. Den Stadtverwaltungen, die diese Kampagne unterstützten, ging es vielfach nur um ein entpolitisiertes und pragmatisch reduziertes Konzept des Rechts auf Stadt - etwa als Recht auf Infrastruktur und Partizipation. Mit dieser Schwerpunktsetzung seiner Konferenzstrategie vernachlässigte das HIC-Netzwerk nicht nur den Kampf gegen Verdrängung und Vertreibungen, sondern auch den Bereich makroökonomischer Themen, welcher aber für eine klare Position im Widerspruch zu den AkteurInnen neoliberaler Stadtpolitik entscheidend wäre.

Die verschiedenen Alternativkonferenzen in Quito litten unter der schwachen lokalen Beteiligung - kaum eine der städtischen Initiativen aus Quito zeigte sich. An der Zentraluniversität traf sich ein kleiner Kreis linker Organisationen aus aller Welt zum "Alternativkongress im Widerstand zu Habitat III". Nur der "Recht auf Stadt"-Star David Harvey aus den USA füllte hier kurz den kleinen Saal. Daneben gab es 2 eher akademische Alternativkonferenzen, was weniger die Vielfalt als die Zersplitterung der Alternativen zeigte. Eine geplante Demonstration gegen den faulen Konsens bei Habitat III verlief mangels Masse im Sande.

Nur wenige Stimmen sprachen im Konferenzbereich über die harten ökonomischen Fakten, über Bodenbesitz und Machtverhältnisse. Herausragend war hier eigentlich nur die Initiative für eine soziale und ökologische Regulierung von Boden-, Wohnungs- und Finanzmärkten, die aus der AG Habitat des Forums Umwelt und Entwicklung hervorgegangen war und bei Netzwerken und Basisgruppen weltweit Zuspruch gefunden hatte. Mit ihrer Forderung, die Regulierung zunehmend aggressiver und desaströser Immobilien- und Hypothekenmärkte ins Zentrum der Diskussionen der Konferenz zu stellen, hob sie sich politisch von den rhetorischen Debatten um das Recht auf Stadt sowie den schulterklopfenden Veranstaltungen von GeldgeberInnen und NGOs ab und bot auch eine interessante Perspektive über Habitat III hinaus.


Ausblick, mehr als einen Monat nach Habitat III

Wird die Neue Urbane Agenda noch schneller vergessen sein als die Habitat Agenda von 1996? Gewiss wird sie von Stadtverwaltungen genutzt werden, um urbane Umwandlungsprojekte und damit verbundene Vertreibungen und Verdrängungen zu rechtfertigen. Aber auch lokale Initiativen und Basisgruppen können mit Bezug auf die Neue Urbane Agenda fordern, dass Selbsthilfewohnbau mit gemeinschaftlichen Eigentumsformen gefördert wird, dass Wasser- und Sanitärversorgung gewährleistet sein muss etc. Dazu kommen sicher auch Forderungen, die im Text der Agenda unkonkret blieben, die jedoch glaubhaft als Aussagen der Agenda verkauft werden können. Das Globale Netzwerk für das Recht auf Stadt hat den banalisierenden Bezug auf das Konzept im beschlossenen Text bereits uminterpretiert und behauptet beherzt, das Recht auf Stadt sei jetzt doch in der Neuen Urbanen Agenda verankert.

Die Neue Urbane Agenda bietet jedoch keine Hilfestellung, um Vertreibungen oder der ungezähmten Vermarktung städtischen Bodens oder auch dem überholten Modell eines permanenten Wachstums von Stadtflächen, Güterproduktion und Konsum etwas entgegenzusetzen - etwa ein demokratischeres Bodenrecht oder ein anderes Wirtschaftsmodell. Macht sie denn wenigstens Aussagen dazu, wie die Nachhaltigen Entwicklungsziele in den Städten zu verwirklichen sind? Leider nicht, und auch die Habitat-Konferenz selbst hat hier nichts zur Klärung beigetragen.

Quito ist eine wunderschöne Stadt und die ecuadorianische Regierung hat ihr Ziel wohl voll erreicht, mit Unterstützung der Vereinten Nationen geballt Tourismuswerbung machen zu können.


Autor Klaus Teschner ist Architekt und Stadtforscher, mit Schwerpunkt selbstorganisierte Siedlungen und städtische Sozialbewegungen in Lateinamerika und Afrika. Er ist Mitherausgeber der Fachzeitschrift TRIALOG sowie Fachreferent für städtische Entwicklung beim Bischöflichen Hilfswerk MISEREOR e. V.

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Quelle:
Rundbrief 4/2016, Seite 32 - 33
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. März 2017

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