Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → UNO


ORGANISATION/540: UN-Hochkommissar verurteilt Verbrechen im Namen des Anti-Terror-Kampfes (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. Februar 2015

UN: Menschenrechte tabu - Hochkommissar verurteilt Verbrechen im Namen des Anti-Terror-Kampfes

von Thalif Deen



Bild: © Jean-Marc Ferré/UN

UN-Menschenrechtshochkommissar Zeid Ra'ad Al-Hussein
Bild: © Jean-Marc Ferré/UN

New York, 6. Februar (IPS) - Trotz zahlreicher UN-Abkommen, die Menschen gegen Folter, Verschwindenlassen, willkürliche Festnahmen und andere Menschenrechtsverletzungen schützen sollen, nimmt die Zahl der Staaten zu, die Verstöße gegen die Konventionen mit dem Kampf gegen den Terror rechtfertigen. Dem UN-Menschenrechtshochkommissar Zeid Ra'ad Al-Hussein zufolge braucht die Welt jedoch politische Autoritäten, "die die Menschenrechte und fundamentalen Freiheiten aller Bürger achten".

Wie der jordanische Prinz und Chef des UN-Menschenrechtshochkommissariats (OHCHR) am 5. Februar im Holocaust-Museum in Washington kritisierte, ist weltweit der gefährliche Trend zu beobachten, im Kampf gegen den internationalen Terrorismus Menschenrechtsverletzungen zu billigen. Es gelte das Motto: "Ich foltere, weil dies ein Krieg verlangt. Ich bespitzele meine Bürger, so abscheulich das auch erscheinen mag, weil dies der Terrorismus erforderlich macht."

Doch eine solche Billigung von Menschenrechtsverletzungen mache Unrecht salonfähig, so Al-Hussein. "Ich will keine weiteren Immigranten oder ich diskriminiere Minderheiten, weil diese wie nie zuvor unsere Identität oder Lebensweise gefährden. Ich töte andere, weil andere mich töten", führt er als Beispiele für die möglichen Folgen einer Enttabuisierung von Menschenrechten an.

Die Welt brauche politische Entscheidungsträger, die die Gesetze und Abkommen achteten, die geschaffen worden seien, um Diskriminierung, Entrechtung, Gräuel und exzessive Gewalt in Kriegen zu beenden. "Nur dann können wir uns selbst von dem derzeit bedrohlichen und schier unerschöpflich scheinenden Vorrat an Krisen befreien, die uns zu ersticken drohen."


Verrohung

Im letzten Jahr hatte der US-Senat in einem erschütternden Bericht die Foltermethoden beschrieben, mit denen der Auslandsgeheimdienst CIA nach den Terroranschlägen des 11. Septembers 2001 Gefangene gequält hatte. Dazu gehören das simulierte Ertränken ('Waterboarding'), Schlafentzug und andere zermürbenden Praktiken.

Die westlichen Staaten, die an den Luftanschlägen innerhalb Afghanistans, des Iraks, Syriens und Libyens beteiligt waren, hatten mehrere tausend zivile Opfer dieser Bombardierungen als 'Kollateralschaden' bezeichnet. Gleichzeitig jedoch predigen sie innerhalb der UN-Vollversammlung und des UN-Sicherheitsrats die Einhaltung der Menschenrechte und das unveräußerliche Recht des Menschen auf Leben.

Und inzwischen gibt es etliche Staaten wie Jordanien, Pakistan und Saudi-Arabien, die die Todesstrafe, die Hinrichtung von Terroristen sowie das öffentliche Auspeitschen von Bloggern und politischen Dissidenten als Anti-Terror-Maßnahmen rechtfertigen.

Erst kürzlich hat die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) einen jordanischen Pilot der Luftwaffe bei lebendigem Leib verbrannt, weil Jordanien der Koalition von Staaten angehört, die Luftangriffe gegen die IS-Truppen fliegen. Im Gegenzug hat Jordanien zwei verurteilte Gefangene mit Verbindungen zur Al-Qaeda hinrichten lassen. "Das war eine Auge-um-Auge-Reaktion", wurde in diesem Zusammenhang ein Jordanier zitiert.

Im Dezember hatten 117 der 193 UN-Mitgliedstaaten eine UN-Sicherheitsratsresolution zur Aussetzung der Todesstrafe angenommen. Dennoch gehen die Hinrichtungen weiter, obwohl sie, wie UN-Generalsekretär Ban Ki-moon mehrfach betont hat, im 21. Jahrhundert keinen Platz haben sollten.

Javier El-Hage von der 'Human Rights Foundation' (HRF), erklärte gegenüber IPS, dass seine Gruppe den Ruf des OHCHR-Chefs nach einer besseren politischen Führung und einem globalen Umdenken in Bildungsfragen als Waffen im Kampf gegen die Ursachen der weltweit schlimmsten Konflikte und Gräuel begrüße. Zeid macht sich für eine Bildungsoffensive stark, die Kinder lehrt, Bigotterie, Chauvinismus und blinden Gehorsam als die schlimmsten Übel der Menschheit zu begreifen.

"Der Hohe Kommissar hat recht, wenn er sagt, dass die schlimmsten Verbrechen in der Geschichte der Menschheit von bigotten und chauvinistischen Regimen begangen wurden", sagte Hage. Diese hätten durch eine Unterdrückung aller kritischen Stimmen und unabhängigen Medien ein Bildungs- und Informationsmonopol geschaffen, das sie zur Durchsetzung ihrer radikalen, wirtschaftlichen, rassistischen und/oder religiösen Pläne befähigt habe.

Die Opfer seien Minderheiten und politische Gegner wie die Juden im ehemaligen Nazideutschland, die schwarzen Südafrikaner zur Zeit der Apartheid, die Ukrainer in der ehemaligen Sowjetunion, die Kurden in der Türkei und alle Sklaven unter westlicher Herrschaft bis zur Abschaffung der Sklaverei gewesen.

In heutiger Zeit seien Uiguren und Tibeter in China Zielscheiben staatlicher Diskriminierungen, so Hage. Das Gleiche gelte für Christen und muslimische Glaubensgruppen, die in Nahost unter theokratischen Diktaturen zu leiden hätten. Dazu gehörten dem Westen freundschaftlich und feindlich gesinnte Staaten wie Saudi-Arabien und Jordanien beziehungsweise der Iran oder Syrien.


Mit Menschenrechtsabkommen gegen Gräueltaten

Zeid zufolge sind die internationalen Menschenrechte zum einen eine Destillation dessen, was die Erfahrungen mit Gräueltaten die Menschheit gelehrt hätten, und zum anderen Instrumente, künftige Vergehen zu verhindern. Doch inzwischen gebe es viele Regierungen, die diese fundamentalen Rechte missachteten.

"In den Jahren nach dem Holocaust wurden besondere Abkommen mit dem Ziel ausgehandelt, Verpflichtungen zum Schutz der Menschenrechte in geltendes Recht zu überführen. Die Länder der Welt haben sie akzeptiert - doch gehen sie inzwischen leider dazu über, sie viel zu häufig zu ignorieren."

Die Auswirkungen von Vergeltungsschlägen, auch wenn sie schlimme Verbrechen wie das Massaker der Al Qaeda an Schulkindern in Pakistan oder die Verbrennung des jordanischen Piloten Mu'ath al Kassassbeh durch den IS sühnen sollen, seien begrenzt, so der OHCHR-Chef.

"Bombardierungen und Versuche, Terroristen finanziell auszutrocknen, sind wirkungslos geblieben. Vielmehr haben diese Gruppen nur noch an Stärke gewonnen. Was wir brauchen, ist eine andere Form der Kriegsführung, die vor allem von muslimischen Entscheidungsträgern und Ländern auf der Grundlage von Ideen ausgehen muss."

Zeid zufolge erleben viele Staaten herbe Rückschläge bei den bürgerlichen und politischen Rechten. "Der Raum für Kritik fällt unter dem Gewicht schlecht durchdachter oder missbräuchlicher Anti- Terrorismus-Strategien in sich zusammen. Menschenrechtler stehen deshalb in vielen Teilen der Welt unter einem enormen Druck. [...] Ihr Einsatz für grundlegende Rechte bringt ihnen Gefängnisstrafen oder Schlimmeres ein." (Ende/IPS/kb/2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/02/battling-terrorism-shouldnt-justify-torture-spying-or-hangings-says-u-n-rights-chief/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 6. Februar 2015
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Februar 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang