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ORGANISATION/571: Neue Studie warnt - UN von transnationalen Konzernen manipuliert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. September 2015

UN:
Von transnationalen Konzernen manipuliert, warnt neue Studie

von Thalif Deen


NEW YORK (IPS) - Im Vorfeld der Feierlichkeiten zum 70. Gründungsjahr der Vereinten Nationen sieht sich die Weltorganisation mit dem Vorwurf konfrontiert, von Großunternehmen und transnationalen Konzernen (TNCs) vereinnahmt und manipuliert zu werden.

Diesen Vorwurf erhebt das 'Global Policy Forum' (GPF), eine unabhängige Organisation zur Beobachtung internationaler Politikprozesse mit Sitz in New York. Wie es in einem neuen Bericht kritisiert, verstoßen einige dieser privatwirtschaftlichen Partner ungeniert gegen Arbeitsrechte und Umweltauflagen, für die die UN eintreten.

Die Weltorganisation mache sich angesichts der wachsenden Schwierigkeit, mit den geringen Mitteln, die ihnen zur Bewältigung der globalen Probleme und Krisen zur Verfügung stünden, in eine "neue Ära eines selektiven Multilateralismus" auf, heißt es in dem Report mit dem Titel 'Fit for Whose Purpose? Private Funding and Corporate Influence in the United Nations' ('Zweckdienlich für wen? Private Gelder und der Einfluss von Konzernen auf die Vereinten Nationen').

Diesen Trend führt GPF auf Veränderungen zurück, die die Finanzierungssicherheit der UN und ihrer Sonderprogramme untergraben haben. Aufgrund einer rückläufigen Kernfinanzierung bei einer erhöhten zweckgebundenen Mittelvergabe gehe die Schere zwischen globalem Finanzierungsbedarf und vorhandenen Mitteln immer weiter auseinander. Dadurch vergrößere sich die Abhängigkeit vom Privatsektor und von globalen Partnerschaften mit dem Unternehmen.

Die 140-seitige GPF-Studie ist am 22. September, drei Tage vor Beginn des dreitägigen UN-Nachhaltigkeitsgipfels erschienen, auf dem der Entwicklungskurs der internationalen Gemeinschaft für die kommenden 15 Jahre festgelegt wird.


Verfehlte Politik der reichen Staaten

Wie Jens Martens, Leiter des GPF-Europa-Büros und Ko-Autor der Studie, gegenüber IPS erklärte, haben die UN-Mitgliedstaaten bei der Bereitstellung ausreichender und zuverlässiger Gelder für das UN-System versagt. "Die trostlose Situation ist darauf zurückzuführen, dass Regierungen, allen voran die USA, auf einem Null-Wachstum ihrer Beiträge für die UN beharren." Dadurch habe sich die Abhängigkeit der Weltorganisation von freiwilligen Beiträgen und ungleichen Partnerschaften mit dem Business-Sektor erhöht.

Das UN-Zentrum für internationale Konzerne (UNCTC), das 1975 vorrangig zur Überwachung der TNCs eingerichtet worden war, wurde 1992 aufgelöst. Seit den 1970er Jahren werden Initiativen diskutiert, die die Handlungsweisen von Konzernen öffentlich machen sollen. Sie alle stießen bei den TNCs und ihren Lobbygruppen auf massiven Widerstand und sind letztlich gescheitert.

Gleichzeitig haben privatwirtschaftliche Akteure äußerst erfolgreich Public-Relations-Strategien umgesetzt, die den Unternehmen ermöglichen, sich als wertvolle, verlässliche und sozial verantwortliche Partner von Regierungen und Vereinten Nationen zu präsentieren.

Martens zufolge haben sich der UN-Generalsekretär und die Leiter der UN-Organisationen zu vehementen Befürwortern einer Zusammenarbeit mit Unternehmen entwickelt. Abgesehen davon, dass sie Partnerschaften mit den Konzernen als neue Finanzierungsmöglichkeiten zu schätzen wissen, versprechen sie sich von der Einbindung mächtiger Konzerne eine Aufwertung der UN.

"Doch die UN verkaufen sich zu einem Niedrigpreis. Während die Kosten der Zusammenarbeit für die Unternehmen bemerkenswert gering sind, ist der Nutzen für sie vergleichsweise hoch", betonte Martens. Die Assoziierung mit den UN werte ihr Image auf, verleihe ihnen mehr Sichtbarkeit und ermögliche ihnen den direkten Zugang zu politischen Entscheidungsträgern.

"Doch was bedeutet dieser Image-Transfer für den Ruf und die Neutralität der UN? Besteht nicht die Gefahr, dass die Kooperation mit umstrittenen Konzernen dem Image der UN als neutraler Vermittler schadet?", fragte der Experte.

Wie ein UN-Mitarbeiter unter dem Deckmantel der Anonymität berichtete, wenden sich die Vereinten Nationen inzwischen immer dann, wenn sie Hilfe für Entwicklungsprojekte brauchen oder soziale Anliegen voranbringen wollen, an den Privatsektor. So richtet sich der Aufruf von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, einen Klimafonds mit jährlich 100 Milliarden Dollar zu bestücken, vor allem an die Unternehmen.


Globaler Pakt als Türöffner für Wirtschaftsunternehmen

Die Studie äußert sich zudem kritisch zum Globalen Pakt ('Global Compact' der Vereinten Nationen. Dabei handelt es sich um die bisher größte Nachhaltigkeitsinitiative der Wirtschaft, der sich letzten Zählungen zufolge 8.371 Unternehmen in 162 Ländern angeschlossen haben. Der Globale Pakt hat der Studie zufolge die Öffnung der Weltorganisation für den Business-Sektor maßgeblich vorangebracht.

Eigentlich wurde er entwickelt, um genau das Gegenteil zu bewirken: die Sensibilisierung der Unternehmen für öffentliche Belange durch die Förderung von zehn Nachhaltigkeitsprinzipien. Tatsächlich jedoch gibt er den Firmen eine Plattform, ihre eigenen Interessen durchzusetzen. "Der Globale Pakt gehört zu den wenigen UN-Einrichtungen, die vorwiegend mit Privatkapital finanziert werden. Dies dürfte die Art und Weise beeinflussen, wie er sein Mandat interpretiert und umsetzt", so der Bericht.

Martens zufolge werden die UN-Aktivitäten weltweit mit jährlich 40 Milliarden Dollar bezuschusst. "Was nach viel klingt, entspricht noch nicht einmal dem Budget der Stadt New York, einem Viertel des EU-Haushalts und 2.3 Prozent der globalen Rüstungsausgaben. Und während die Weltbank die internationale Gemeinschaft nicht länger um Milliarden, sondern um Billionen Dollar bittet, damit die UN-Nachhaltigkeitsziele umgesetzt werden können, jongliert die Weltorganisation nur mit Millionen."

Barbara Adams, eine weitere Ko-Autorin der Studie, wies darauf hin, dass insbesondere die reichen UN-Mitgliedstaaten zweigleisig fahren. Zum einen forderten sie eine größere Kohärenz in den UN-Entwicklungsaktivitäten, zum anderen seien ihre Mittel zweckgebunden, was zu einer weiteren Fragmentierung führe.

"Diese Rosinenpickerei verbunden mit dem Sparzwang, dem die UN unterliegen, hat den Konzernen mehr Handlungsspielraum verschafft", sagte Adams. Die UN griffen zur lösung globaler Probleme immer häufiger auf marktorientierte Ansätze und Multi-Stakeholder-Partnerschaften zurück. Die Überzeugung, dass die Zusammenarbeit mit den wirtschaftlich Mächtigen im Sinne der UN-Relevanz notwendig sei, habe drastische Folgen für das Selbst- und Demokratieverständnis der Weltorganisation. "Indem sie sich den Machtzentren annähert, entfernt sie sich von denen, die weniger mächtig sind." (Ende/IPS/kb/23.09.2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/09/u-n-manipulated-by-transnational-corporations-new-study-charges/

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IPS-Tagesdienst vom 23. September 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. September 2015

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