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UN-REPORT/092: Sport - Rassismus im Fußball noch immer gegenwärtig (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 3. Dezember 2015

Sport: Rassismus im Fußball noch immer gegenwärtig

von Julia Krämer


NEW YORK/BERLIN (IPS) - Nach dem 2:2 im Spiel Deutschland gegen Ghana während der Fußballweltmeisterschaft 2014 in Brasilien feierte die internationale Presse beide Teams für ein gelungenes "Fußballfest". Und auch Bundestrainer Jogi Löw hatte - obwohl das Spiel lediglich mit einem Gleichstand endete - einen "Höllenspaß".

Doch politisch war das Spiel brisant: Zwei deutsche Fans zeigten sich mit schwarz angemalten Gesichtern und T-Shirts, auf die sie 'Ghana' geschrieben hatten. Ein dritter Fan rannte nach dem 1:0 von Fußballer Mario Götze über das Spielfeld. Auf seinem nackten Oberkörper standen eine Telefonnummer und eine E-Mail-Adresse, die mit "HHSSCC" in ihrem Namen auf den Nazi-Gruß 'Heil Hitler' rekurrierte, sowie auf die nationalsozialistische Schutzstaffel (SS) und die von den Nazis während des Zweiten Weltkriegs eingerichteten Konzentrationslager (CC - Concentration Camps).

Beide Vorfälle haben die Weltkulturorganisation UNESCO und der italienische Fußballclub Juventus Turin in ihren Bericht 'Colour? What Colour?' (deutsch: Farbe? Welche Farbe?) zur Illustration des im internationalen Fußball noch immer gegenwärtigen Rassismus aufgenommen. Daneben erwähnt der Bericht rassistische und homophobe Fan-Gesänge beim WM-Spiel Mexiko gegen Kamerun und den rassistischen Übergriff während des WM-Spiels England gegen Uruguay.

"Auf den Spielfeldern werden faires Spiel, Gleichheit und gegenseitiger Respekt groß geschrieben. Gleichzeitig finden dort immer wieder Rassismus, Fremdenhass und andere intolerante Sichtweisen statt", sagte UNESCO-Generaldirektorin Irina Bokova bei der Vorstellung des Berichts am vergangenen Wochenende in Paris, der nicht in erster Linie rassistische Vorfälle auflistet, sondern vor allem eine Bestandsaufnahme der antirassistischen Arbeit von Fußballclubs und -organisationen sowie Nichtregierungsorganisationen leistet. Best-Practice-Beispiele ergänzen Daten und Fakten, und schließlich sprechen die AutorInnen Empfehlungen aus.


Mit systematischer, kohärenter und koordinierter Zusammenarbeit gegen "Schandfleck des Sports"

"Die Existenz von Rassismus und Diskriminierung im Fußball ist kein Geheimnis", heißt es im Bericht. "Aber es ist der größte Schandfleck des ganzen Spiels." Dieser verschwinde nicht einfach so von alleine und vor allem nicht "durch Zauberhand", sondern benötige die "systematische, kohärente und koordinierte Zusammenarbeit aller Akteure, deren Ziel es ist, einen Fußball der kulturellen Vielfalt und der sozialen Inklusion voranzutreiben". Der Bericht teilt rassistisches Verhalten in drei Formen ein: impulsiv, instrumentell und institutionell.

Der Fokus des Berichts liegt auf Europa, da hier die größten Clubs beheimatet sind. Fans, Firmen und Vereine stecken viel Geld in den Sport, und so können Spieler aller Nationen angekauft werden. Der Zusammenhang zwischen Fußball und Rassismus ist in Europa bereits weitreichend untersucht worden, und eine Reihe von Nichtregierungsorganisationen haben sich dem Kampf gegen Rassismus im Sport verschrieben.

Tatsächlich handelt es sich hier um kein neues Phänomen, sondern eines, das besteht, seit das Spiel erfunden wurde. Vor allem seit den 1970er Jahren sind multiethnische Teams in Europa die Norm. Von den Fans werden Spieler ausländischer Abstammung deswegen noch lange nicht akzeptiert. Rassistische und fremdenfeindliche Verhaltensweisen in den Fankurven und teilweise auf dem Spielfeld herrschen weiter vor oder sind in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts überhaupt erst entstanden.

Langsam tut sich in der Welt des Fußballs allerdings etwas in Bezug auf Rassismus. Während sich seit Beginn des 21. Jahrhunderts die Gesellschaft über rassistische Denkweisen und Verhaltensmuster bewusster geworden ist, hat sich dies auch auf die Fußball-Community übertragen, und öffentlichkeitswirksame Kampagnen wurden sowohl von oben als auch von unten angestoßen.


Kein Unterschied zwischen Amateur- und Profivereinen

Laut UNESCO-Juventus-Bericht gibt es in Bezug auf Rassismus kaum einen Unterschied zwischen Amateur- und professionellen Vereinen. Einige der befragten Experten gaben an, dass die allgemeine Gentrifizierung und die sogenannte Intellektualisierung des Fußballfantums zumindest das offene Zurschaustellen von Rassismus und Diskriminierung in allen Ligen eingeschränkt hätten. Andere Experten hingegen sind der Ansicht, dass die Medienpräsenz bei Erstligaspielen mehr offen rassistische Aktionen fördere, da die Akteure wissen, dass ihre Taten weite mediale Verbreitung finden.

"Sport hat das Potenzial, Werte wie interkulturellen Dialog und Verständnis zu fördern, genauso wie Geschlechtergleichheit und soziale Inklusion. Aber er kann auch ausgenutzt werden, um genau das Gegenteil zu bewirken", schreibt Bokova im Vorwort zum Bericht. Als Lösung schlägt der Bericht vor, externe Akteure einen Blick auf das Problem werfen zu lassen. "Von innen heraus fällt ein richtiges Urteil meist schwer. Von außen betrachtet erscheinen Sachverhalte häufig in einem ganz anderen Licht."

Möglich sei auch eine Art Label oder ein Pokal für beispielhafte Clubs. Einen ähnlichen Preis vergibt der Deutsche Fußballbund seit 2005 alljährlich mit dem Julius-Hirsch-Preis für Toleranz und Humanität im Fußball. Ausgezeichnet werden Personen, Initiativen und Vereine, die sich als Aktive auf dem Fußballplatz, als Fans im Stadion, im Verein und in der Gesellschaft beispielhaft und unübersehbar einsetzen. Sowohl für die Unverletzlichkeit der Würde des Menschen und gegen Antisemitismus und Rassismus als auch für Verständigung und gegen Ausgrenzung von Menschen und für die Vielfalt aller Menschen und gegen Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit. Der Preis ist mit 20.000 Euro dotiert.


Julius Hirsch (1892 - 1943) war ein deutsch-jüdischer Fußball-Nationalspieler, der 1933 mit der Machtergreifung Adolf Hitlers aus seinem Club ausgeschlossen und 1943 in Auschwitz von den Nazis ermordet wurde.

Der Club Juventus Turin war in der Vergangenheit selbst in die Kritik geraten. Fans hatten im Stadion immer wieder rassistische Gesänge angestimmt. (Ende/IPS/jk/03.12.2015) (Mit Agenturen)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Dezember 2015

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