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AUSSENHANDEL/1228: Deutschlands Fokussierung auf Exportüberschüsse schadet ganz Europa (idw)


Hans-Böckler-Stiftung - 26.08.2010

Deutschlands Fokussierung auf Exportüberschüsse schadet ganz Europa

IMK-Studie


Deutschland profitiert aufgrund seiner hohen preislichen Wettbewerbsfähigkeit derzeit wie kein anderes Land von der Erholung der Weltwirtschaft. Damit scheint die deutsche Wirtschaft trotz massiver realwirtschaftlicher Folgen der Finanzkrise aktuell gut dazustehen. Eine erneute Fokussierung auf den Export als Wachstumstreiber würde sich für Deutschland allerdings auf Dauer gesamtwirtschaftlich nicht auszahlen und negative Folgen für den Euroraum haben. Dies zeigt das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung in einer aktuellen Studie.

"Während der Wirtschaftskrise hat die deutsche Wirtschaftspolitik die eigene wie auch die europäische Wirtschaft stabilisiert", sagt Dr. Heike Joebges, Expertin für Internationale Konjunktur am IMK. Nun scheine Deutschland jedoch vor allem wieder auf Exportüberschüsse als Wachstumstreiber zu setzen. Dieses Modell war allerdings in der Vergangenheit gesamtwirtschaftlich nicht erfolgreich. Denn Deutschland wuchs seit Einführung des Euro trotz ständiger Exportüberschüsse im Euroraumvergleich nur unterdurchschnittlich. Würde die Bundesrepublik ihre eigene Binnenwirtschaft stärken, könnte sie als Land mit den höchsten Handelsüberschüssen im Euroraum den Ländern mit Wachstumsschwierigkeiten einen Markt für deren Exporte bieten. Gleichzeitig würden hierzulande Wirtschaftswachstum und Beschäftigung gehoben, so die Ökonomin.

Denn Länder mit in der Vergangenheit großen Leistungsbilanzdefiziten - wie Spanien, Griechenland und Portugal - müssten jetzt sowohl Schulden abbauen als auch ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern, merkt das IMK an. Dort ist nicht nur der Staat hoch verschuldet. Auch private Haushalte und Unternehmen haben Schulden im Ausland. "Daraus folgt, dass außer dem Staat auch der Privatsektor in den kommenden Jahren mehr sparen muss, um seine Verschuldung abzubauen", schreiben die Forscher. Investitionen dürften in der Folge unterbleiben und Lohnzuwächse gering ausfallen. All dies belaste die Nachfrage - auch nach deutschen Produkten. Daher müsse Deutschland die Binnennachfrage fördern, rät das IMK.

"Vor diesem Hintergrund wären in Deutschland Lohnsteigerungen wünschenswert, die den Verteilungsspielraum ausschöpfen und damit den privaten Konsum stärken", so die Ökonomen. Dafür müsse der Staat aber entsprechende Rahmenbedingungen schaffen: Die Einführung eines gesetzlichen, branchenübergreifenden Mindestlohnes würde das Ausfransen der Löhne nach unten begrenzen und dabei helfen, die ungleiche Einkommensverteilung zu verringern. Das würde zu höheren Einkommen von Haushalten mit hoher Konsumneigung und damit zu einer Stärkung der Binnennachfrage führen. Insgesamt würde das Wachstum dadurch höher ausfallen als bei einer Fortsetzung der Exportorientierung.


Wirtschaftskrise hat Divergenzen im Euroraum verringert

Im Zuge der Krise hatten sich die Ungleichgewichte im Euroraum vorübergehend reduziert. Dazu hat Deutschland maßgeblich beigetragen. Die deutsche Wirtschaftspolitik hat die Beschäftigung und damit auch Konsum und Importe stabilisiert: Die staatlichen Konjunkturprogramme haben verspätet, aber dann kräftig einen großen Teil der ausfallenden privaten Nachfrage kompensiert. Tarifvertragliche Regelungen wie Arbeitszeitkonten und die staatlich unterstützte Kurzarbeit halfen, Entlassungen zu vermeiden. Das hat dazu geführt, dass andere Länder weiterhin nach Deutschland exportieren konnten und hat diese somit stabilisiert. "Allerdings ist diese Entwicklung mit hoher Wahrscheinlichkeit nur vorübergehend und auf Sonderentwicklungen im Kampf gegen die Rezession zurückzuführen", warnt das IMK.

Die jüngsten Daten zum Wirtschaftswachstum deuten auf ein Ende der Konvergenz: Deutschlands Exporte ziehen wieder an - zuletzt um fast 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Auch verfügt die Bundesrepublik wegen der jahrelang unterdurchschnittlich gestiegenen Lohnstückkosten über einen so großen Puffer, dass es im Euroraum weiterhin preislich am wettbewerbsfähigsten ist. Ohne eine veränderte Wirtschaftspolitik in Deutschland erscheine es unrealistisch, dass Länder mit in der Vergangenheit sinkender Wettbewerbsfähigkeit diese zukünftig verbessern könnten, so das IMK. Insofern sei eine erneute Auseinanderentwicklung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit und damit auch der Leistungsbilanzsalden zu erwarten.


Binnengetriebenes Wachstum hilft Deutschland und seinen Nachbarn

Angesichts seiner Größe und der Höhe der Leistungsbilanzüberschüsse wäre vor allem Deutschland in der Pflicht, seine Überschüsse abzubauen - und würde selbst davon profitieren. Zum einen würde nämlich bei stärkerer Binnenorientierung das deutsche Wachstum höher ausfallen. Zum anderen ist zu bedenken: "Deutschland als Gläubigernation kann nicht wollen, dass seine Schuldner in Rückzahlungsschwierigkeiten geraten." Die Defizitländer sind schließlich nicht nur Schuldner, sondern auch wichtige Handelspartner, deren stabile Wirtschaftsentwicklung notwendig ist, um den deutschen Export aufrecht zu erhalten.

"Insofern sind die wirtschaftspolitischen Pläne der Bundesregierung verfehlt", warnen die Ökonomen. Denn diese ist inzwischen schon wieder auf einen Sparkurs eingeschwenkt. Ein Verschieben der Sparmaßnahmen und eine vorübergehend stärkere staatliche Förderung der Binnennachfrage wären aber möglich: Schuldenfinanzierte staatliche Ausgaben wären angesichts der historisch niedrigen Renditen auf deutsche Staatsanleihen mit geringen Kosten verbunden.


Heike Joebges, Fabian Lindner, Torsten Niechoj: Mit dem Export aus der Krise? Deutschland im Euroraumvergleich, IMK Report Nr. 53, August 2010.

Download unter:
http://www.boeckler.de/pdf/p_imk_report_53_2010.pdf

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution621


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Hans-Böckler-Stiftung, Rainer Jung, 26.08.2010
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. August 2010