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AUSSENHANDEL/1573: Neue Vorschläge für TTIP (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2015
Kreislaufwirtschaft
Ist Recycling eine Illusion?

Neue Vorschläge für TTIP

Und sie bewegen sich doch nicht!

von Nelly Grotefendt


Das transatlantische Handelsabkommen TTIP ist derzeit in aller Munde. Die Debatte bewegt mittlerweile nicht nur Deutsche, sondern die Protestwelle gegen TTIP ist auch über den Rest von Europa geschwappt. Die selbstorganisierte europäische BürgerInneninitiative "Stop TTIP" hat mittlerweile 2,1 Millionen Unterschriften gesammelt und UnterstützerInnenorganisationen aus allen Mitgliedstaaten tragen die Kampagne mit. Derweil wappnet sich allerdings auch die Gegenseite zum Schlagabtausch. Wo zunächst Wohlstand und Wachstum als Hauptargument für TTIP vorgetragen wurden, soll das Abkommen jetzt die Chance für die Setzung von globalen Standards bergen. Auch das heiße Eisen der Investor-Staat-Klagerechte (ISDS) soll vermeintlich reformiert und somit entschärft werden. Es wimmelt nur so von Vorschlägen, die sich allerdings bei genauerem Hinsehen lediglich als Nebelkerzen entpuppen. Unterm Strich ist klar: Es bewegt sich also doch nichts.


Im April trafen sich die VerhandlerInnen zur neunten Runde in New York. Aber trotz intensiver Gespräche sind die Verhandlungen weit davon entfernt, gegen Ende diesen Jahres (wie es Kanzlerin Angela Merkel gerne hätte) oder Mitte nächsten Jahres abgeschlossen zu werden (wie es die Kommission als Zielvorgabe ankündigt). Wie Kabelberichte zeigen, unterbreiten beide Seiten Vorschläge, ohne wirklich voranzukommen. Beispielsweise lehnen die USA einen vollständigen Zollabbau für Textilien und Schuhe ab, was vor allem die ItalienerInnen ärgern dürfte. Führt doch die italienische Regierung dieses Argument in der öffentlichen Diskussion gerne ins Feld. Sie verspricht, dass der italienische Schuhexport in die USA mit TTIP geradezu explodieren würde. Immerhin signalisieren die USA, sie könnten bei Schuhen noch ein besseres Angebot machen - außer bei Turnschuhen, das seien "sensible Produkte". Das bedeutet nichts anderes, als dass der Markt für dieses Produkt nicht im vollen Umfang geöffnet werden muss und die Zölle nicht so stark gesenkt werden. Ein Glück, dass Italiens Schuh-Produktpalette nicht wirklich auf Turnschuhe spezialisiert ist. Des Weiteren wird über die verschiedensten Bereiche diskutiert und werden wahllos Angebote unterbreitet, die die Gegenseite dann abschmettert. Dabei geht es keineswegs nur um die in der Öffentlichkeit besonders umstrittenen Fragen wie ISDS (derzeit ausgenommen von den Verhandlungsrunden) oder Lebensmittelstandards.


ISDS im Zentrum der Kritik

Auf der öffentlichen Bühne wird derzeit wiederum mit aller Kraft versucht, das Projekt der größten Handelszone der Welt zu retten. Im Zentrum der öffentlichen Kritik steht nach wie vor das Investor-Staat-Klagerecht. Dieser Kritik versuchen die TTIP-BefürworterInnen der Politik mit kosmetischen Reformvorschlägen zu begegnen, die aber nicht den Kern der Problematik angehen: ISDS bleibt weiterhin eine parallele Rechtsstruktur, die eine Bevorzugung ausländischer Investoren durch den exklusiven Zugang zu diesem parallelen Rechtssystem vorsieht. Keiner der Reformvorschläge sieht ein Ende des einseitigen Systems vor, in dem nur Investoren Staaten verklagen können, nicht anderes herum. Dies ist eng verknüpft damit, dass die Investitionsschutzverträge stets nur Investorenrechte festschreiben, aber keine Pflichten einfordern. Weder die Kommission noch die europäischen Sozialdemokraten oder der Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel bewegen sich somit mit ihren Vorschlägen in eine Richtung, die eine Überwindung dieser Kernprobleme zur Folge hätte und eine zielführende Reform im Sinne der europäischen BürgerInnen einläuten könnte.


Vortäuschung von Wirtschaftswachstum

Auch der Schwenk des Wirtschaftsministers von der TTIP-Werbung der vielen Arbeitsplätze und des Wachstums hin zu globalen Standards mit TTIP ist wenig überraschend und doch irreführend. Die Zahlen, die bisher im Raum standen über die vermeintlichen positiven Effekte von TTIP mussten zu Beginn des Jahres revidiert werden und brachten nicht nur die Kommission sondern auch beispielsweise den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) in Verlegenheit. Es ist ja noch nicht mal möglich das Wirtschaftswachstum des nächsten Jahres korrekt zu prognostizieren, geschweige denn die Effekte von TTIP für die nächsten 10 Jahre. Ein neues Argument muss her. Also soll TTIP helfen, Standards für den Rest der Welt zu setzen. ExpertInnen wissen aber: Mechanismen der globalen Standardsetzung, beispielsweise Mindeststandards für Lebensmittelsicherheit im Agrarbereich, den Codex Alimentarius, gibt es längst. An ihnen gibt es bereits viel zu kritisieren und sie funktionieren oftmals nicht reibungslos, weil die USA sich in einigen globalen Gremien querstellen. TTIP wird uns dabei nicht weiterhelfen. Das Handelsabkommen ist lediglich Instrument einer umfassenden Deregulierung im Sinne der globalen Konzerne, nicht aber zur Völker- und KonsumentInnenverständigung gedacht.


Die Autorin ist Referentin für internationale Handelspolitik beim Forum Umwelt und Entwicklung.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2015, S. 31
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2015

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