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BERICHT/238: Box World - über die Logistik der Globalisierung und den gerechten Handel auf See (Intkom)


Verein für Internationalismus und Kommunikation e.V. (IntKom) - November 2009

Box World
Über die Logistik der Globalisierung und den gerechten Handel auf See

Von Christoph Spehr


Im Prinzip ist es eine Kiste: Etwa 6 m lang, 2,5 m hoch und ebenso breit. Der Trick besteht darin, dass es 28 Millionen davon gibt, alle mit den gleichen Maßen - und dass man sie alle auseinander halten kann. Jede einzelne dieser Kisten ist elektronisch ablesbar gekennzeichnet, und ihr Weg wird datentechnisch verfolgt und gespeichert. So schwebt über jeder Kiste eine unsichtbare Wolke, die sogenannte "information cloud", die sie immer und überall identifizierbar macht. Beides zusammen, die Normierung und die datentechnische Verarbeitung, machen den Container aus. Ohne ihn gäbe es keine Globalisierung, jedenfalls nicht in der uns bekannten Form.


EINE KISTE FÜR DIE GLOBALISIERUNG

Globaler Handel ist uralt, auch die globale Konkurrenz um Märkte. Was die Globalisierung als ein junges ökonomisches Phänomen ausmacht, ist die globale Produktion. Die Herstellung von Gütern geschieht in einem hohen Maße nicht mehr national, sondern in Produktionsprozessen, die über den Erdball verteilt sind und durch Telekommunikation und Datenaustausch zusammengehalten werden. Damit wird auch die koloniale und neokoloniale Form der internationalen Arbeitsteilung - Rohstoffe aus Entwicklungsländern, Vorprodukte und Energieträger aus Schwellenländern, Endfertigung, Planung und Entwicklung in Industrieländern - zusehends aufgehoben. Alle Stufen der Produktionsketten können zunehmend überall stattfinden. Auch die einzelnen Entwicklungs- und Kontrollprozesse sind dezentralisiert, die Mitglieder eines Teams können an verschiedenen Orten der Welt sitzen. Die globale Fabrik erstreckt sich über den gesamten Globus. Nicht nur die Kommunikations- und Datentechnologie hat die Voraussetzungen dafür geschaffen. Die Dekolonialisierung, der Kampf um Entwicklung und nationale Souveränität in Ländern der Dritten Welt haben durch Bildung, Demokratisierung und aufholende Industrialisierung die sozialen und gesellschaftlichen Bedingungen erreicht, ohne welche die global integrierte Fabrik nicht denkbar wäre.

Durchgesetzt aber wurde die Globalisierung durch den Container und die Finanzmärkte. Die Liberalisierung der Finanzmärkte erzeugte den hohen Renditedruck und die enormen liquiden Mittel, die zur Globalisierung der Produktion auslösend bzw. erforderlich waren. Der Container und die Revolution der Logistik öffneten den Weg, diese Mittel zur internationalen Produktionsverlagerung einzusetzen und die gewaltigen Unterschiede zwischen den nationalen Lohnkosten für entsprechende Renditen auszunutzen.

Die erste Welle fand in den siebziger Jahren statt. Transporte in Container-artigen Behältern waren bereits in den zwanziger und dreißiger Jahren auf den US-amerikanischen Eisenbahnen üblich geworden. Im Zweiten Weltkrieg wandte die US-Armee das Prinzip auch auf den Schiffstransport an. Die ersten Schiffe, die als Container-Schiff gebaut wurden, kamen in den fünfziger Jahren zum Einsatz. Neben der zivilen Nutzung trug auch die militärische Nutzung zum Durchbruch der Container-Technik bei; die USA stellten im Vietnamkrieg die Seetransporte weitgehend auf Container-Transporte um. Aber erst die internationale Normierung durch die ISO (Internationale Standard-Organisation) zwischen 1968 und 1970 legte den Grund für einen internationalen Seehandel, in dem weltweit Schiffe, Häfen, Eisenbahnen und Lastwagen auf identische Container eingestellt wurden. Die zweite Welle der Containerisierung kam in den neunziger Jahren. Computerisierung und das Internet ermöglichten jetzt das weltweite Identifizieren und Verfolgen des einzelnen Containers. Sowohl in den siebziger Jahren als auch den neunziger Jahren stieg der weltweite Seehandel sprunghaft an und der Containertransport wurde zur Norm internationaler Transporte.


AUF DEM WEG ZUM ÖKONOMISCHEN HYPERRAUM

Der Container verbilligte den globalen Transport enorm. Die Kosten des Transports auf hoher See sind, umgelegt auf das Stückgut, nahezu zu vernachlässigen; der größte Teil der Transportkosten entsteht beim Be- und Entladen und beim Transport vom und zum Hafen. Bei einem Transport von 20.000 km sind die ersten und letzten 250 km teuer, wenn der Container per Lastwagen und Eisenbahn transportiert wird; die 19.500 km dazwischen auf See fallen demgegenüber kaum ins Gewicht. Der moderne Seehandel schafft damit einen Hyperraum, in dem Städte in Hafennähe, auch wenn sie auf entfernten Kontinenten liegen, ökonomisch praktisch nebeneinander liegen - während geographisch nahe liegende Orte, die jedoch verkehrstechnisch schlecht angebunden sind, ökonomische "Peripherie" sind.

Heute werden 90 Prozent des weltweiten Stückgut-Handels durch Container transportiert. Der Seehandel wuchs in den letzten 15 Jahren dreimal so schnell wie das Wachstum der weltweiten Produktion. Neben den 28 Millionen Standardcontainern (TEU = Twenty-foot Equivalent Unit) sind inzwischen auch 15 Millionen doppelt so lange Großcontainer unterwegs (FEU = "Forty-foot Equivalent Unit"), darüber hinaus Kühlcontainer für Frischwaren und andere Spezialcontainer. Die Spezialcontainer öffnen den ökonomischen Hyperraum für Produkte, die ihn lange Zeit nur eingeschränkt betreten konnten, etwa frische Nahrungsmittel oder lebende Pflanzen. Denn der Seeweg ist zwar um ein Vielfaches billiger als Landweg oder Luftfahrt, dauert jedoch immer noch erheblich länger. Moderne Containerschiffe verfrachten eine Ladung in 3-4 Wochen von China in die USA oder von Europa nach Asien; die Fracht über den Atlantik dauert dagegen nur 1 Woche.

Die Normierung des Containers hat eine weitgehende Automatisierung von Be- und Entladevorgängen forciert. Riesige Containerschiffe werden von einer handvoll Seeleute manövriert, einige Containerhäfen sind vollautomatisiert. Die "economy of scale", d.h. die Tatsache, dass desto geringere Transportkosten pro Stückgut anfallen je mehr Container auf einmal transportiert werden, hat die Containerschiffe immer größer werden lassen. Die sogenannte E-Klasse, Containerschiffe von der Größe der Emma Maersk, können über 14.000 TEU laden. Im Vorgriff auf immer größere Schiffe mit immer mehr Tiefgang werden weltweit Tiefsee-Häfen angelegt, vom Jade-Weser-Port bei Wilhelmshaven bis zu Pointe Noire in der Republik Kongo, Lagos in Nigeria oder Chittagong in Bangladesch.

Der Aufschwung des globalen maritimen Handels zum Herzschlag der Globalisierung hat das Wachstum der Schwellenländer begünstigt. Die größten und umschlagstärksten Containerhäfen der Welt liegen heute in China und Singapur, mit einem Umschlag von 20-25 Mio. TEU pro Jahr. Malaysia und Indonesien erlebten bereits in den achtziger Jahren ein gewaltiges Wachstum ihrer Hafenstädte, Indien und Südkorea haben in den letzten Jahren nachgezogen. Aber auch der Umschlag in Ho Chi Minh City (Vietnam) oder Manila (Philippinen) liegt mit 2,5 Mio. TEU gleichauf mit dem in Le Havre (Frankreich). Die Dominanz liegt eindeutig bei China: Von den 25 umschlagstärksten Containerhäfen weltweit liegen neun in China.

Die Bedeutung des Seehandels im Zeitalter der Globalisierung hat umgekehrt zur Folge: Länder, die keinen eigenen Zugang zum Meer haben ("land-locked countries" = Binnenstaaten), haben ein Entwicklungsproblem. Die UNO schätzt, dass Binnenstaaten etwa 15 Prozent ihrer Exporterlöse für Transport aufwenden müssen. Für Entwicklungsländer kommt die Abhängigkeit von Nachbarländern erschwerend hinzu. Von den 43 Binnenstaaten der Welt sind 31 Entwicklungsländer (land-locked developing countries). 16 davon gehören zur Gruppe der ärmsten Staaten (least developed countries, LDC, etwa 50 Länder) weltweit.


ARBEITSORT MEER

Containerisierung, Automatisierung und Rationalisierung haben das Meer als Arbeitsort grundlegend verändert. Bis Anfang der siebziger Jahre bestand für Seeleute eine starke Arbeitsmarktnachfrage, mit der Folge steigender Heuern und verbesserter Lebensbedingungen. Dies änderte sich mit der Wirtschaftskrise 1973. Nach dem Bankrott vieler Reedereien kam es zu einem Konzentrationsschub im Reedereigeschäft und einer verstärkten internationalen Konkurrenz. Diese Situation begünstigte den beschleunigten Umbau der Arbeitsbedingungen.

Das moderne Schiff kommt mit geringen Besatzungsstärken aus. Der ökonomische Druck zur Verkürzung der Transportzeiten und zur Minimierung der Liegezeiten im Hafen, die Automatisierung und Beschleunigung der Ladevorgänge und die internationale Verschärfung der Sicherheitsbestimmungen seit den Anschlägen vom 11. September 2001 haben dazu geführt, dass Seeleute heute praktisch keinen Landgang mehr haben. Nach der Krise von 1973 begann das "Ausflaggen" der Flotten, d.h. die Eintragung der Schiffe auf Staaten mit möglichst geringen Abgaben und Auflagen. Fast alle Schiffe fahren heute im sogenannten "Zweitregister" ("internationale Register"), die nur für die Offiziere noch Vorschriften hinsichtlich der Staatsangehörigkeit machen. Die Mannschaften sind daher in ihrer Zusammensetzung globalisiert und stammen fast ausschließlich aus Ländern mit niedrigen Lohnniveaus, die Heuern sind entsprechend gefallen.

Das Meer ist daher heute einer der am weitesten globalisierten Arbeitsorte. Der globale Arbeitsmarkt übt einen extrem negativen Druck auf die Verhandlungssituation der Seeleute aus. Der Organisierungsgrad in der ITF, der "Internationalen Transportarbeiter-Föderation", ist niedrig. Fielen von den Arbeitskämpfen im Transportsektor 1920-1940 noch über die Hälfte auf Schifffahrt und Häfen, waren es 1980 noch knapp 20 Prozent. Heute sind Arbeitskämpfe im Bereich der Seeleute praktisch zum Erliegen gekommen, während das Gros der Arbeitskämpfe im Transportsektor auf die Luftfahrt entfällt.

Die Spaltung der Arbeit in einen verhältnismäßig gesicherten und gut bezahlten Bereich und in einen prekarisierten Sektor, die sich im Zuge der Globalisierung und der globalen Konkurrenz überall einstellt, ist in der Seefahrt auf die Spitze getrieben. Die Offiziere sind gut ausgebildet und finden mit hoher Sicherheit Anstellung, sehen sich in ihrer Qualifikation und Verantwortung jedoch entfremdet durch die zunehmende Steuerung aller Vorgänge und Entscheidungen von Land aus. Die Mannschaften sind so schlecht bezahlt, dass der Beruf für Menschen aus Industriestaaten nicht mehr darstellbar ist. Sie sind auf den Schiffen eingesperrt und haben weder Beschäftigungssicherheit noch soziale Absicherung.

Ein extremer Ausdruck der Ausbeutung und Rechtlosigkeit der Mannschaften sind die sogenannten "Abandonments", das Abstellen der Schiffe in einem entlegenen Hafen, während es auf einen neuen Charter-Auftrag wartet. Weltweit wurden von 1990 bis 2006 etwa 1.000 Schiffe mit etwa 15.000 Seeleuten auf diese Weise "aufgegeben". Seit 2000 ist ein Tarifvertrag zwischen der ITF und der IMEC, dem internationalen Arbeitgeberverband der Schifffahrt, in Kraft. Es ist der erste internationale Tarifvertrag und schließt auch die Belegschaften von Schiffen ein, die unter Billigflaggen fahren. Die Kontrolle der Einhaltung ist jedoch schwierig.


DIE ÖKOLOGIE DES SEEHANDELS

Die ökonomische Betonung der "letzten Kilometer", d.h. die Tatsache, dass der größte Teil der Strecke die geringsten Kosten verursacht, hat eine ökologische Entsprechung. Auch Energieverbrauch und Umweltverschmutzung konzentrieren sich im Containerverkehr auf die ersten und letzten Kilometer. Die "economy of scale" gilt ebenfalls: Wie der Kostenanteil pro Stückgut, so fallen auch der Brennstoffverbrauch und Emission pro Stückgut mit zunehmend größeren Transportschiffen. Im Vergleich zu Landverkehr und Luftfahrt ist der Seeverkehr mit erheblich weniger Ressourcenverbrauch und Umweltbelastung verbunden.

Dennoch ist die Ökobilanz des maritimen Containertransports fragwürdig. Die schiere Masse des heutigen maritimen Handels führt zu erheblichen Belastungen - CO2-Emissionen, Wasserverschmutzung, Energieverbrauch für Kühlgüter usw. Ökologisch gesehen, ist der Container eine verschwenderische Transportweise, da einerseits die Unterbringung von Ware im Container nicht platzsparend ist und andererseits ein enormes Verpackungsgewicht mittransportiert wird - eben der Container selbst, der in der Regel aus Stahl besteht. Ein Standardcontainer (TEU) wiegt ca. 2,4 Tonnen und kann 21,6 Tonnen Ladung aufnehmen, der Gewichtsanteil der Verpackung liegt vollbeladen also bei 10 Prozent. Ein 10.000-TEU-Containerschiff fährt damit 24.000 Tonnen Stahl nutzlos um die Welt, zusätzlich zur eigentlichen Ware.

Preiskonkurrenz und schwache gesetzliche Regulierung (aufgrund des internationalen Status) begünstigen Schiffsunfälle (Havarien) aller Art. Diese können verheerende Folgen haben, da in der Regel Küstenzonen betroffen sind, die ökologisch empfindlich sind und für die Nahrungsmittelversorgung einer großen Zahl von Menschen entscheidend sind.


DIE SPALTUNG DES HANDELS

90 Prozent des weltweiten Handels werden über den Seeweg abgewickelt. Dies gilt jedoch nur für die Betrachtung nach Tonnage. Die Luftfahrt transportiert umgekehrt zwar weniger als ein Prozent des Welthandels an Gewicht, aber 30 Prozent des Warenwertes des weltweiten Handels.

Wie die Ökonomie, die Räume und die Arbeit, so spaltet die Globalisierung auch den Handel in zwei Welten. Hochpreisgüter und sensible Bestandteile der globalen Produktionsketten werden per Luftfracht transportiert: just in time, mit geringer Transportzeit und einer hohen Zustellsicherheit, ökonomisch und ökologisch extrem teuer. Massengüter aller Art werden dagegen zur See bewegt: zu einem Bruchteil des Preises, in einem Vielfachen der Zeit, und auf der Grundlage der prinzipiellen Ersetzbarkeit und "Verlierbarkeit" der Ware. Auch dies ist einer der Gründe, warum Arbeitskämpfe in der Luftfahrt zahlreich und erfolgversprechend sind, Arbeitskämpfe in der Seefahrt jedoch extrem selten und oft aussichtslos. Eine gerechte Globalisierung ("fair globalisation"), die zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen, einer Verringerung der Umweltbelastungen und einem sozialen Ausgleich zwischen Profiteuren und Benachteiligten des Globalisierungsprozesses führt, wird nur im Zusammenwirken zwischen globalen Bewegungen, internationalen Gewerkschaften und nationalen, aber international vernetzten politischen Organisationen erreicht werden können.


Literatur

- Wal Buchenberg: Unser Globus schrumpft, Indymedia 2006, http://de.indymedia.org/2006/06/150660.shtml
- Rainer Dombois, Heiner Heseler (Hrsg.): Seaports in the Context of Globalization and Privatization, Bremen 2000.
- Thomas Friedman: The World is Flat, London 2007.
- Heide Gerstenberger, Ulrich Welke (Hrsg.): Seefahrt im Zeichen der Globalisierung, Münster 2002.
- Heide Gerstenberger, Ulrich Welke (Hrsg.): Arbeit auf See. Zur Ökonomie und Ethnologie der Globalisierung, Münster 2007.
- Marc Levinson: The Box. How the Shipping Container Made the World Smaller and the Economy Bigger, Princeton 2006.
- Marco Revelli: Die gesellschaftliche Linke. Jenseits der Zivilisation der Arbeit, Münster 1999.
- Saskia Sassen: Metropolen des Weltmarkts, Frankfurt 1997.
- Beverly Silver: Forces of Labor. Arbeiterbewegungen und Globalisierung seit 1870, Berlin 2005.


Autor Christoph Spehr arbeitet mit im "Verein für Internationalismus und Kommunikation" und hat sich an der Organisation des Projekts "Wem gehört das Meer?" beteiligt.
KONTAKT: verein.intkom@gmx.de


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Quelle:
Wem gehört das Meer?, S. 28 - 31
Eine Informations- und Bildungsbroschüre zur Meerespolitik 11/2009
Herausgeber und Redaktion:
Verein für Internationalismus und Kommunikation e.V.
Bernhardstraße 12, 28203 Bremen
Telefon: 0421/720 34, Fax: 0421/307 46 65
E-Mail: verein.intkom@gmx.de
Internet: www.intkom.info


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. September 2010