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DISKURS/086: Geht "guter Kapitalismus"? (spw)


spw - Ausgabe 2/2010 - Heft 177
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

Geht "guter Kapitalismus"?

Von Sebastian Dullien, Hansjörg Herr und Christian Kellermann[*]


Die Debatte um eine Reform der Finanzmärkte und des Wirtschaftssystems nach der Krise verläuft bislang weitgehend erratisch. Eine klare Richtung lässt sich nicht ausmachen, nicht einmal eine gemeinsame Vorstellung, wie weit Regulierung gehen soll. Das ist zum einen auf die Vielstimmigkeit in der EU zurückzuführen, aber auch auf die unterschiedlichen innenpolitischen Motivationen wichtiger G20-Staaten wie USA, Kanada oder China. Gleichwohl gibt es eine gewisse Verständigung auf eine der Krisenursachen: die zu frei agierenden Finanzmarktspieler. Unter den wichtigsten RegierungsvertreterInnen gibt es aber keine gemeinsame Agenda, dieses Problem systematisch anzugehen. Die Wettbewerbslogik von Finanzstandorten wiegt im Zweifel schwerer als die Einsicht politischer EntscheidungsträgerInnen. Der politische Einfluss der Finanzmarktakteure ist nach wie vor sehr groß und vermag es bislang erfolgreich, Korrekturen am Finanzsystem eher den Charakter von Kosmetik denn einer echten Neuordnung zu geben.

Dabei hätten die Schwächen des Kapitalismus kaum schonungsloser aufgedeckt werden können, als in der aktuellen Krise. Ein ökonomisch relativ überschaubares Ereignis - das Platzen einer Immobilienblase in den USA - hat die globalisierte Wirtschaft an den Rand einer neuen Depression gebracht und Erinnerungen an die Weltwirtschaftskrise von 1929 wachgerufen.

Die deutsche Wirtschaft ist um spürbare mehr als 5 Prozent geschrumpft - so dramatisch wie noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg. Mag es demgegenüber auch erste Indizien geben, die auf eine Stabilisierung der Konjunktur und ein neues Wachstum in Deutschland deuten, ist mit weiteren Rückschlägen zu rechnen. Denn es bleibt in der gegenwärtigen Lage höchst fragwürdig, wie nachhaltig die gegenwärtige Stabilisierung ist.

Der Weltwirtschaft ist das zum Verhängnis geworden, was in den vergangenen Jahren als ihr zentraler Wachstumstreiber gehandelt wurde: die immer stärkere Verknüpfung der internationalen Kapitalmärkte und des internationalen Handels, befördert durch immer komplexere und gewinnträchtigere Finanzierungsinstrumente. In der Krise hat sich nun herausgestellt, dass das globale Finanzsystem mitnichten die negativen Folgen des Platzens der Blase am US-Immobilienmarkt eingrenzen konnte, sondern vielmehr selbst als globaler Verstärker des wirtschaftlichen Einbruchs gewirkt hat.


Kapitale Irrungen korrigieren

Im folgenden wollen wir einen Vorschlag für einen "guten Kapitalismus" entwickeln, dessen Grundausrichtung soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit auf einem hohen Wohlstandsniveau garantieren soll. Wir sehen beim derzeit existierenden Wirtschaftsmodell, das sich ab den 1970er Jahren auch in Deutschland herausgebildet hat, zwei große Problembereiche, die gelöst werden müssen - und auch gelöst werden können.

Erstens basierten die Reformen der letzten vierzig Jahre auf einer kurzsichtigen Marktgläubigkeit. Märkte wurden als ein sich selbst regulierender Mechanismus verstanden, der von sich aus zu Stabilität einschließlich hoher Beschäftigung und einer einigermaßen akzeptablen Verteilung von Einkommen führt. Da die entfesselten Märkte das gewünschte Ergebnis in der Regel nicht lieferten, verabreichte die Politik der Ökonomie stets eine weitere Dosis mehr Entfaltungsfreiheit.

Zweitens hat sich ab den 1970er Jahren ein zunehmendes Ungleichgewicht zwischen dem globalen Markt auf der einen Seite und der nationalen Ebene von Regulierung auf der anderen Seite herausgebildet. Ohne eine Auflösung dieser Asymmetrie wird es schwerlich gelingen, eine stabile weltwirtschaftliche Entwicklung zu garantieren.

Eine zentrale Frage für ein neues Wirtschaftsmodell ist die nach der zukünftigen Rolle der Finanzmärkte. Dabei sollten der Finanzsektor und seine Dynamik im Bereich der Kreditschöpfung nicht verteufelt werden. Zwar wird übermäßige Kreditvergabe als ein zentraler Grund für die Blase am US-Immobilienmarkt und damit die aktuelle Krise gesehen. Es darf aber nicht vergessen werden, dass Kredit und Kreditwachstum an sich nichts Schlechtes sind. Vielmehr ist Kredit Treibstoff von nachhaltiger Innovation und Wachstum. Der Finanzsektor hat eine wichtige Rolle in einer sozial-ökologischen Wirtschaft. Anders als in den vergangenen Jahren, als die Geschäfte im Finanzsektor oft zum Selbstzweck verkommen sind, muss der Finanzsektor jedoch wieder zum Dienstleister für den Rest der Wirtschaft werden. Die Finanzmärkte müssen die Wirtschaft mit ausreichend Finanzmitteln versorgen, um einen optimalen Grad von Produktion und Vertrieb von Waren und Dienstleistungen zu gewährleisten. Sie müssen Kapital bereit stellen, um Innovationen vor allem im Bereich der "grünen Wirtschaft" zu ermöglichen. Sie müssen aber auch "geduldiges" Kapital zur Verfügung stellen, das es Unternehmen ermöglicht, langfristige Strategien zu entwickeln und längerfristig zu planen. Die Rahmenbedingungen für Investmentbanken, Fondsgesellschaften, Geschäftsbanken und andere Akteure auf den Finanzmärkten müssen so gestaltet werden, dass der Finanzsektor als Ganzes diese Aufgaben erfüllt.

Diese Rolle kann der Finanzsektor natürlich nur so lange übernehmen, wie es nicht zu Überschuldung oder Schuldenkrisen einzelner Länder oder Sektoren kommt. Solche Krisen vernichten regelmäßig jenes Eigenkapital, das der Finanzsektor für Kreditvergabe an Unternehmen für deren produktive Investitionen braucht. Daraus folgt für ein neues, stabiles Wachstumsmodell, dass eine kontinuierlich steigende Verschuldung, sei es des Staates oder der Haushalte, als Wachstumstreiber dafür nicht in Frage kommt.

Der Krise gingen eklatante globale Ungleichgewichte voraus, die sich insbesondere in einem riesigen Leistungsbilanzdefizit der USA ausdrückten. Das zeigte an, dass die USA weit über ihre Verhältnisse lebten, wovon allerdings wiederum die großen Exportländer, allen voran China und Deutschland, profitierten. Solche Ungleichgewichte zwischen Ländern sind für eine gewisse Zeit tragfähig, aber wenn die Schuldenlast zu groß wird und das Vertrauen in diesen Markt verloren geht, kommt es aus diesem Markt heraus zu abrupten Kapitalbewegungen. Mit den entsprechenden Konsequenzen eines wirtschaftlichen Abschwungs.

Insofern müssen jenseits der besseren Finanzmarktregulierung die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass Nachfrage ohne steigende Verschuldung geschaffen werden kann. Global gedacht bedeutet dies die Schaffung von Nachfrage über Löhne und Gehälter, die möglichst in allen Ländern in etwa mit dem Produktivitäts- und Bevölkerungswachstum steigen sollte. Das zentrale Instrument zum Management dieser Nachfrage ist eine aktive Lohnpolitik, die für gerechte Löhne aller sorgt. Jede Arbeitsmarktpolitik sollte deshalb gesamtwirtschaftliche Anforderungen an die Schaffung von Nachfrage mit einbeziehen. Oder anders ausgedrückt: Arbeitsmarktreformen dürfen nicht die globale wirtschaftliche Stabilität gefährden - so wie es bisher der Fall war.

Finanzpolitik wiederum hat die Aufgabe, wachsende Ungleichheit zu vermeiden und sie gegebenenfalls zu korrigieren. Der wirtschaftliche Grund hierfür ist ganz einfach: Hohe EinkommensbezieherInnen konsumieren relativ gesehen weniger als die BezieherInnen niedriger Einkommen. Insofern ist die Nachfragewirkung größer, wenn man niedrige Einkommen aufstockt, als wenn man einer Millionärin noch einmal einen Steuernachlass gibt (ganz abgesehen von Gerechtigkeitsfragen).


Ein neues Wachstumsmodell

Es geht bei der Frage nach einem "guten Kapitalismus" um das richtige Gleichgewicht von Markt, Staat und Gesellschaft. Der Finanzkapitalismus braucht an vielen Stellen wieder mehr Staat. Das Ganze soll aber mitnichten die Rückkehr zum alten Modell Deutschland der 1970er Jahre bedeuten. "Mehr Staat" bedeutet auch nicht ein Zurückdrehen von Liberalisierungen im gesellschaftlichen Bereich.

Im "Modell Deutschland" der 1970er Jahre war zwar der Aspekt langfristigen Denkens durch eine enge Verflechtung von Industrie und Banken unter dem Schlagwort "Deutschland AG" erreicht. Allerdings hat dieses Modell im Rahmen der europäischen Integration und der Globalisierung der Produktion seine Grundlage verloren. Zudem zementierte das Modell zweifelhafte Machtstrukturen, die es zu überwinden galt. Manche Gruppen waren vom Arbeitsmarkt oder zumindest von bestimmten Positionen ausgegrenzt. Für Frauen etwa war die Erwerbstätigkeit in den 1970er Jahren schwieriger als heute. Eine Rückkehr zum Modell der 1970er Jahre erscheint deshalb weder wünschenswert noch möglich, ebenso wenig ein Kopieren des gerade gescheiterten angelsächsischen Modells, das auf kurzfristige Wertsteigerungen des Shareholder Value abzielte und den Finanzmarkt eine übertriebenes Gewicht in der Wirtschaft einräumte.

Ein neues Wirtschaftsmodell ist ein überaus ehrgeiziges Projekt. Viele Elemente des Modells lassen sich nicht im nationalen Alleingang umsetzen, schon gar nicht von einem Land, das wie Deutschland EU-Mitglied und wirtschaftlich wie rechtlich eng mit seinen Nachbarn verflochten ist. Für viele Ideen ist zudem aus grundsätzlichen ökonomischen Überlegungen die supranationale Ebene die angemessene Regulierungsebene. Dies gilt insbesondere für Finanzmärkte und ihre Akteure. Kapital ist hochgradig mobil und sucht sich stets den (aus Kapitalinteressen gesehen) optimalen Standort, der nicht selten in einem unregulierten "Offshore-Zentrum" liegt, wo Steuer- und Aufsichtsstrukturen kaum vorhanden sind. Abgesehen von den damit verbundenen Ungerechtigkeiten untergräbt eine solche "Regulierungsarbitrage" eine effektive Regulierung. Notwendig ist somit eine global koordinierte Finanzmarktregulierung. Auch in anderen Punkten wie etwa der Frage nach den globalen Ungleichgewichten ist eine internationale Koordinierung unumgänglich.

Nichtsdestotrotz kann in vielen Bereichen der Umstieg auf ein neues Wirtschaftsmodell zu Hause beginnen. Der Abbau des enormen Leistungsbilanzüberschusses Deutschlands etwa könnte mit einer Wende in der deutschen Lohnpolitik ebenso wie mit einer stärkeren steuerlichen Umverteilung im Inland begonnen werden. Beide Elemente brauchen weder eine Koordinierung mit dem Ausland noch schaffen sie Konflikte mit den EU-Partnern. Und weniger Ungleichgewichte in der dritt- oder viertgrößten Volkswirtschaft bedeuten spürbar weniger weltweite Ungleichgewichte.


Der "gute Kapitalismus": Ein Modell auf vier Säulen

Die Vorstellung des Kapitalismus als eines sich selbst regelnden Systems, das zu Stabilität und Wohlfahrt für alle führt, war falsch und wird auch immer falsch bleiben. Märkte müssen immer in Institutionen und Regulierungen eingebunden werden, anderenfalls entfalten sie destruktive Kräfte. Es ist also keine Frage, ob der Staat in Märkte eingreifen soll, sondern wie. Damit der Kapitalismus seine produktive Dynamik möglichst frei von seinen zerstörerischen Tendenzen entfalten kann, muss er an die Leine genommen werden: durch den Staat und die Gesellschaft. Die Leine darf nicht zu lang, aber auch nicht zu kurz sein. In einer idealen Welt muss auch der globale Kapitalismus eine globale Regulierung oder Leine haben, um im Bild zu bleiben. Aber auch auf nationaler und regionaler Ebene ist schon einiges an sinnvollen Vorkehrungen zu treffen. Es gibt genügend Spielraum für ein Land wie Deutschland, binnenwirtschaftliche ökonomische Belange und den eigenen Grad der Globalisierung zu gestalten. Eine machbare Alternative, die nach unserer Vorstellung für Deutschland auf den folgenden vier Säulen ruht, sieht so aus:

Säule 1: Die Banken und das Finanzsystem

Finanzsysteme stellen das "Gehirn" des ökonomischen Systems dar. Sie sind für eine dynamische Entwicklung von zentraler Bedeutung, können jedoch die Ökonomie auch ins Verderben treiben. Tatsächlich übernimmt ein gut funktionierendes Finanzsystem in einer modernen Volkswirtschaft mindestens vier Aufgaben, die für einen nachhaltigen Wachstumsprozess unabdingbar sind. Erstens ermöglicht es durch frisch geschöpfte Kredite Unternehmen und insbesondere innovativen UnternehmerInnen Investitionen sowie die Durchführung von Produktionsprozessen. Zweitens hilft es durch die bessere Verteilung des Risikos insgesamt, dass mehr unternehmerische Risiken eingegangen werden können, was tendenziell zu einem höheren Innovationsgrad und höherem Wirtschaftswachstum führt. Drittens sollte ein ordentlich funktionierendes Finanzsystem Kredite an jene Sektoren und Unternehmen verteilen, die damit am ehesten nachhaltiges Wachstum erzeugen. Und viertens hilft es, von einer Vielzahl von Sparern kleinere Summen einzusammeln und diese für größere Investitionsprojekte zur Verfügung zu stellen. Das Finanzsystem sollte also für den Unternehmenssektor ausreichend Kredite zur Verfügung stellen und innovative Unternehmen auch mit höheren Risiken fördern. Dazu braucht es allerdings nicht der unzähligen und sich letztlich sehr ähnlichen Finanzprodukte und nicht den Umfang der gigantisch eskalierenden Derivatsmärkte. Auch unterstützen durch Spekulation und kurzfristiges Handeln getriebene Aktien- und Immobilienmärkte sowie auf den kurzfristigen Gewinn hin orientierte Unternehmensstrategien nicht die langfristige Entwicklung von Ökonomien. Relativ bodenständige Finanzsysteme sind ausreichend, um über eine Kreditexpansion Investitionen und Innovationen zu finanzieren.

Säule 2: Die Löhne und der Arbeitsmarkt

Die Kaufkraft, die in entwickelten Volkswirtschaften die zentrale Nachfragequelle ist, sollte auf einer relativ ausgeglichenen Einkommensverteilung beruhen und nicht auf einer Expansion von Konsumkrediten. Eine ausgeglichene Einkommensverteilung braucht mehrere Maßnahmen: Erstens die Umkehrung des langfristigen Trends einer fallenden Lohnquote, der vor allem auf den Machtzuwachs, das Ausufern und die Risiko- und Renditegier des Finanzsystems zurückzuführen ist. Zweitens ist die Lohnstruktur in der Form zu ändern, dass die unteren Löhne angehoben werden. Drittens muss der Staat in die vom Markt gegebene Verteilung durch Steuern und Ausgaben einschließlich der Bereitstellung öffentlicher Güter eingreifen. Den gesetzlichen Sozialsystemen kommt dabei eine wichtige, jedoch nicht die alleinige Rolle zu.

Säule 3: Die öffentlichen Haushalte

Eine stärkere Rolle des Staates ist in einem grundlegend neu regulierten Kapitalismus nicht ohne eine gerechte und solide finanzierte Einnahmenbasis sicherzustellen, die einen Anstieg der Staatsverschuldung am Bruttoinlandsprodukt verhindert. Die Steuerpolitik korrigiert zum einen die Einkommensverteilung und dient dazu, insbesondere im Bereich der Bildung, Forschung, Infrastruktur und sozialen Sicherheit zu investieren. Die solide Finanzierung des Staates ist die Voraussetzung für eine antizyklische Stabilisierung der Wirtschaft durch automatische Stabilisatoren und für eine Bereitstellung möglichst guter öffentlicher Dienstleistungen.

Säule 4: Die Welt

Wir plädieren für eine wirtschaftliche Konstellation, die Produktivitätserhöhungen und Innovationen fördert, durch ein stabiles und gleichzeitig dynamisches Finanzsystem gekennzeichnet ist und auf einem Wachstum der Länder der Welt aufbaut, das grundsätzlich auf inländischem oder regionalem, durch Einkommenszuwächsen finanzierten Nachfragewachstum beruht und damit große Leistungsbilanzungleichgewichte verhindert. Die Weltwirtschaft sollte durch ein System relativ stabiler Wechselkurse gekennzeichnet sein, die bei großen Ungleichgewichten angepasst werden können. Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen sollten durch entsprechende Geld- und Fiskalpolitiken - innerhalb von Währungsunionen wie der EWU auch entsprechende Lohnentwicklungen - bekämpft werden. Beim Aufbau zu großer Leistungsbilanzungleichgewichte sollten Wechselkursanpassungen vorgenommen werden. In Währungsunionen sind Wechselkursanpassungen nicht möglich, was die Notwendigkeit einer stärkeren Integration und Kooperation von Ländern impliziert, die einer Währungsunion angehören.

Der "gute Kapitalismus" steht für relativ sichere wirtschaftliche Lebensverhältnisse. Es ist nicht akzeptabel, dass ArbeitnehmerInnen oder Unternehmen zum Spielball vollständig destabilisierter Märkte werden - wie wir es nach der Subprime-Krise erlebt haben. Prekäre Arbeitsplätze und Massenarbeitslosigkeit schwächen Gewerkschaften und ArbeitnehmerInnen. Es müssen somit Politiken verfolgt werden, welche die Arbeitslosigkeit gering halten und die gesetzlichen Möglichkeiten für prekäre Arbeitsplätze beseitigen. Ausgebaute Mitbestimmungs- und ArbeitnehmerInnenrechte sind wichtig für die Kräftebalance zwischen Arbeit und Kapital.

Auch wenn unsere vorgeschlagenen Reformen durchgesetzt würden, wäre noch genügend Raum für Märkte, die in verschiedenen Dimensionen ein Element der Freiheit von Individuen sind. Es geht somit nicht darum, Märkte abzuschaffen oder zu ersetzen, sondern darum, Märkte, insbesondere Finanz- und Arbeitsmärkte in Institutionen und Regulierungen einzubinden.


Krisen bieten Chancen

Unerwartete Krisen zeigen oft, dass etwas an dem zuvor vorherrschenden Gedankenmodell falsch war. Sie bieten die Chance, all jene Lehrmeinungen und Interessen in Frage zu stellen, die lange kaum hinterfragt weitergegeben und alleine durch ihre schlichte Verbreitung als allgemeingültig hingenommen wurden. Für Viele, auch in Deutschland, brachte das neoliberale Globalisierungsprojekt nicht nur eine geringe oder gar keine Teilnahme an der gesellschaftlichen Wertschöpfung, sondern schuf prekäre Lebensverhältnisse mit der Gefahr des "Herausfallens" aus der Gesellschaft. Soziale Sicherungssysteme wurden zumindest teilweise den Launen der Finanzmärkte unterworfen, berufliche und damit private Lebensplanungen wurden durch Krisen und neue Management-Methoden über den Haufen geworfen. Ein großer und wachsender Teil der Gesellschaft fühlt sich zunehmend als Spielball eines immer unkontrollierteren und gewalttätigeren Marktes. Der Zusammenhalt von Gesellschaften kann durch Resignation oder sogar soziale Unruhen in Gefahr geraten. Angesichts dieser Gefahren gibt es keinen Zweifel, dass eine bessere Regulierung der Globalisierung für ein anderes, "besseres" Wachstum notwendig ist.

Entscheidend ist dabei, dass klar ist, wohin dieser Weg führen soll. Gerade in den vergangenen Jahrzehnten scheinen nicht immer alle Politiker genau gewusst zu haben, wie eigentlich die Gesellschaft und unsere Wirtschaftsordnung am Ende des eingeschlagenen Reformweges aussehen sollten. Viele Reformen wurden eher defensiv begründet: etwa, indem proklamiert wurde, dass diese Reformen notwendig seien, um die verbleibenden Reste des Sozialstaats zu retten. Am Ende haben die Veränderungen die Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft nicht erhöht, sondern sogar noch zu den globalen wirtschaftlichen Ungleichgewichten beigetragen - gerade auch, weil es bei der Umsetzung an einem Verständnis für die größeren Zusammenhänge mangelte. Aber das hier skizzierte Modell zeigt: Der "gute Kapitalismus" und damit eine Alternative zur marktliberalen Ordnungslogik von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft ist denkbar und vor allem: möglich!

[*] Dieser Artikel basiert auf dem Buch "Der Gute Kapitalismus ... und was sich dafür nach der Krise ändern müsste", erschienen im transcript Verlag.


Sebastian Dullien lehrt an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin.
Hansjörg Herr lehrt an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin.
Christian Kellermann ist Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung für die Nordischen Länder in Stockholm.


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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 2/2010, Heft 177, Seite 27-32
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Mai 2010