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DISKURS/103: Ökonomische Perspektiven jenseits der Wallstreet (spw)


spw - Ausgabe 5/2010 - Heft 180
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

Exile on Mainstreet - Ökonomische Perspektiven jenseits der Wallstreet

Von Arno Brandt


Die Weltwirtschaftskrise hat den Finanzmarktkapitalismus zwar in seinen Grundfesten erschüttert, aber nicht endgültig zur Strecke gebracht. Noch ist nicht entschieden, ob der Marktfundamentalismus einem Paradigmenwechsel in der ökonomischen Theorie und in der wirtschaftspolitischen Praxis weichen muss. Aber vieles spricht dafür, dass die große Krise den Anfang vom Ende dieses fast 40 Jahre dominierenden Systems markiert. Die Krise stellt demnach das Endprodukt des Wandels von realkapitalistischen zu finanzkapitalistischen Rahmenbedingungen dar (Schulmeister 2010). Wir haben es jetzt mit einem Zeitfenster zu tun, in dem sich entscheidet, ob sich eine Etappe kapitalistischer Entwicklung durchsetzt, die dem Realkapital wieder Geltung verschafft, oder ob weiterhin Kurs auf den Abgrund genommen wird, in den wir noch vor kurzem für einen historischen Augenblick hinabblicken konnten.

Nicht wenige Ökonomen sind sich einig, dass sich hinter der jüngsten Weltwirtschaftskrise mehr verbirgt als "nur" eine Finanzkrise (Stiglitz 2010, Colletis 2009), sondern eine Beschleunigung des Strukturwandels zu einer Innovations- bzw. Wissensökonomie, die grundsätzlich einer anderen Logik folgt als das Wallstreet-Modell der zurückliegenden Jahrzehnte. Die Krise könnte sich damit als Geburtshelferin eines neuen Wachstumsmodells erweisen, das der Logik der Mainstreet folgt und in seinen tragenden Säulen der Architektur einer wissensbasierten Ökonomie entspricht (Brandt 2009). Meine Kernthese lautet, dass sich eine neue Wegscheide zwischen dem Wallstreet- und dem Mainstreet-Modell ergibt. Damit kehrt zugleich eine ökonomische und gesellschaftliche Alternative in die Mitte der Gesellschaft zurück, die die Freisetzung neuer Fortschritts-, Emanzipations- und Demokratisierungspotenziale in greifbare Nähe rückt.


Mainstreet versus Wallstreet

Die beiden amerikanischen Ökonomen Bluestone und Harrison haben die ökonomische und zivilisatorische Überlegenheit des Mainstreet- gegenüber dem Wallstreet-Modell fundiert herausgearbeitet (Bluestone/Harrison 2002). Das Wallstreet-Modell ist auf einen schlanken Staat, eine straffe Geldpolitik, Deregulierung und Privatisierung sowie eine Liberalisierung der Finanzmärkte ausgerichtet. Es entspricht ganz dem, was in der soziologischen Kritik als "Finanzmarktkapitalismus" bezeichnet wird (Dörre 2009). Dabei handelt es sich um eine kapitalistische Formation, die sich in Folge der nachlassenden Wachstumsdynamik der fordistischen Prosperitätskonstellation der Nachkriegszeit durchgesetzt hatte, und die ihre Wachstumsimpulse vornehmlich aus dem globalen Casino erhielt. Ihr Siegeszug vollzog sich nicht nur in den anglo-amerikanischen Ländern, sondern erfasste auch die Volkswirtschaften des "Rheinischen Kapitalismus". Wie überall in der Welt wurden nach der Gebrauchsanweisung des "Washington Consensus" die Weichen zugunsten der vermeintlichen Selbststeuerungsmechanismen der Märkte gestellt. Auch die Politik in Deutschland hat sich dieser Rezeptur bedient: "Öffentliches Eigentum musste privatisiert werden, um die wachsenden Defizite in den Staatshaushalten zu verdecken; damit man die Telekom für teures Geld an den kleinen Mann oder die kleine Frau bringen konnte, brauchte man gut geölte Kapitalmärkte und hoch trainierte Investmentbanken" (Streek, 2008). Die frühere Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium Barbara Hendricks konstatiert: "Die gesamte Sparte der Volkswirtschaft wollte am liebsten alle Regeln über Bord werfen (...). Hinzu kam, dass überall Hedgefonds entstanden. Wir haben entschieden, dass wir uns - auch mit dem Blick auf den Finanzplatz Frankfurt - nicht vom Finanzmarkt abschotten konnten" (Hendricks 2010).

Dagegen ist das Mainstreet-Modell Ausdruck einer wirtschaftspolitischen Konzeption, die an die "Neue Wachstumstheorie" anknüpft. Diese Theorie betont die entscheidende Rolle der Innovation und des Ausbildungskapitals als Motor des wirtschaftlichen Wachstums. Dabei kommt dem öffentlichen Sektor eine maßgebliche Rolle zur Sicherung eines adäquaten Niveaus von Forschung und Entwicklung, der technischen Infrastruktur sowie der allgemeinen und beruflichen Bildung zu. Durch die Verbindung der neuen Wachstumstheorie mit der keynesianischen Theorie, die dem Staat eine aktive Rolle bei der Aufrechterhaltung der Gesamtnachfrage zuschreibt, ergeben sich die Bausteine eines Mainstreet-Modells des 21. Jahrhunderts für Wachstum mit Gerechtigkeit (Bluestone, Harrison 2002, S. 37f.).

Die Wissensökonomie ist keine völlig neue Wirtschaftsweise und setzt schon gar nicht die grundlegenden ökonomischen Gesetze des Kapitalismus außer Kraft. Sie hat sich seit Langem im Unterholz unterschiedlicher Wirtschaftsbereiche entwickelt und knüpft in Deutschland an die spezifischen Stärken des im deutschen Industriesystem verankerten Produktionsmodells der diversifizierten Qualitätsproduktion an. Im Unterschied zu den vorgängigen Wachstumskonstellationen jedoch wird Wissen in der Wissensökonomie zur entscheidenden Produktivkraft. Charakteristisch ist, dass die Grenzkosten der Bereitstellung von Wissen im Gegensatz zu den traditionellen Produktionsfaktoren nicht positiv sind (Stiglitz, 2006, S. 405). Wissen ist die einzige Ressource, die sich durch ihren Gebrauch vermehrt. Im Zuge seiner Anwendung erfolgen Lernprozesse, die eine Akkumulation von Wissen ermöglichen. Wissen ist zudem ein quasi-öffentliches Gut, sofern es nicht personengebunden ist. Schutzrechte zur Absicherung geistigen Eigentums können daher weder vollständig noch dauerhaft durchgesetzt werden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Unterscheidung zwischen explizitem und implizitem Wissen ("tacit knowledge"). Letzteres repräsentiert vor allem Erfahrungswissen, das personengebunden und nur mit sehr hohem Aufwand transferierbar ist (Polanyi, 1985). Wer daran dauerhaft partizipieren will, muss den Trägern dieses Wissens vor allem eine Perspektive der Teilhabe eröffnen.

Im Folgenden sollen drei Aspekte näher beleuchtet werden, die auf eine Erweiterung von Handlungs- und Demokratisierungsspielräumen der ArbeitnehmerInnen sowie auf die Perspektive einer nachhaltigen Wirtschaftsweise durch den Übergang zur Wissensökonomie hindeuten.


Leitmärkte der Zukunft

Die wissensbasierte Ökonomie ist zunächst auf Investitionen in Bildung, Wissenschaft und Forschung angewiesen. "Bildung schafft neues Wissen, welches zu Innovationen führt. Da Wissen ein kumulativer Prozess ist, bedarf die erfolgreiche Entwicklung neuer Ideen für bessere Produkte und Produktionsverfahren einer hohen Qualifikation (...). Das Durchsickern des neuen Wissens und die Verbreitung der Innovation erhöhen die Produktivität der gesamten Volkswirtschaft. Bessere Bildung bedeutet somit schnelles Wirtschaftswachstum" (Corneo, 2006, S.135). Erforderlich sind jedoch auch Anreize sowie öffentliche Investitionen, die geeignet sind, Zukunftsmärkte zu schaffen bzw. auszubauen. Relevant sind in diesem Zusammenhang Zukunftsfelder, wie Gesundheit, gesunde Ernährung, neue Mobilitätskonzepte, regenerative Energien, Ressourceneffizienz und Umweltwirtschaft, die im Rahmen der High-Tech-Strategie oder des Forsight-Prozesses auf der Ebene des Bundes diskutiert werden. Matthias Machnig hat am Beispiel der "Ökologischen Industriepolitik" umrissen, worum es im Kern geht:" Die Zukunft des Wirtschaftsstandortes (...) wird sich daran entscheiden, ob und wie wir es schaffen, neue Produkte und effiziente Verfahren zur Produktion, Distribution und Dienstleistungserbringung vor unseren Wettbewerbern zu entwickeln und dabei gleichzeitig Nachhaltigkeits- und Qualitätsmerkmale aufweisen können, die über denen der Konkurrenz liegen. Da wir nicht billiger sein können und wollen, müssen wir besser sein. Bessere Qualität, gut ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und eine höhere Technologietiefe erfordern aber höhere Anschubfinanzierungen" (Machnig 2010). Eine derartige Strategie erfordert nicht zuletzt einen starken Staat, der klare Regeln vorgibt und diese Veränderungen im Sinne einer ökologisch und ökonomisch nachhaltigen Entwicklung vorantreibt (Machnig 2007).

Die Zukunftsfelder entsprechen einer Strategie nachhaltigen Wachstums als Antwort auf die Weltwirtschaftskrise, die von der Stiglitz-Kommission der UNO gefordert wurde (UNO 2009). Sie bedingen nicht nur ein erhebliches Maß an öffentlichen Investitionen, sondern bieten auch neue unternehmerische Gelegenheiten und damit Märkte, die im Wechselspiel von demokratisch legitimierter staatlicher Rahmensetzung und privater Initiative entwickelt werden können. Sie beziehen sich zu einem erheblichen Teil auf binnenwirtschaftliche Nachfrage und können damit einen Weg aus der Sackgasse struktureller Exportüberschüsse eröffnen (Scharpf, 2009, S. 2). Zudem repräsentieren sie wissensintensive Wirtschaftsbereiche, die Merkmale von Kollektivgütern aufweisen und daher der öffentlichen Unterstützung bedürfen, um auf Wachstumskurs gebracht zu werden.


Open innovation als Vorbote neuer Möglichkeiten

Der Faktor Wissen als "quasi-öffentliches Gut" verleiht auch einer Bewegung Auftrieb, die wichtige Bereiche der Produktion und Entwicklung aus dem ausschließlich kapitalistischen Verwertungszusammenhang lösen möchte und die Akkumulation und Nutzbarmachung von Wissen als Kern des Innovationsprozesses gewissermaßen zu vergesellschaften trachtet. Die bekannteste Variante dieses Ansatzes ist sicherlich die des "Open-Source", die sich ursprünglich auf Softwareentwicklungen bezog, bei denen Nutzer Einblick in den Quellcode meist kostenlos vertriebener Programme erhalten und diese manipulieren können. Dieser Ansatz greift als "Open Innovation" auch auf andere Branchen und Produktlinien über und wird nicht nur von den Informations- und Telekommunikationstechnologien gefördert, sondern auch von den Besonderheiten des Innovationsprozesses in der Wissensökonomie.

Entscheidend ist heute die Kompetenz, Potenziale und Lösungen neuer Technologien frühzeitig zu entdecken und zwar auf allen Ebenen der Gesellschaft (Klotz 2006: 106). So gehen inzwischen viele Unternehmen dazu über, das Innovationsrisiko zu verringern, indem sie ihre Kunden in Fragen der Marktforschung und Produktentwicklung einbinden. Dies erfolgt z.B. über Tool-Kits, mit denen die Kunden ihre eigenen Modelle gestalten können und Hinweise auf ihre Präferenzen geben. Manche Unternehmen überlassen heute ihren Kunden mittels zur Verfügung gestellter Software auch gleich die Konstruktionszeichnung. Um die Kunden zur Mitarbeit zu bewegen, müssen die Unternehmen um ein positives Image besorgt sein. Eine wichtige Rolle spielt hierbei die Unternehmenskultur, die zwischen instrumentellem (ökonomischen) und kommunikativem Handeln vermittelt.

Unternehmenskultur muss aber durch Handeln bestätigt werden und kann durch kontraproduktives Verhalten auch stark beschädigt werden. Die notwendige Abstimmung zwischen den Möglichkeiten der Unternehmen und den Marktbedingungen geht heute am effektivsten über die Partizipation der Stakeholder, deren Ansprüche ja in diese Kultur einfließen müssen. Indem diese jedoch eine Mitsprache erhalten, schränken sie die alleinige Dispositionsfähigkeit der Unternehmen über Produktgestaltung, Portfolios, Produktion, Vertrieb und Marketing entscheidend ein.

Zu den Stakeholdern gehören neben den Kunden v.a. auch die MitarbeiterInnen eines Unternehmens. Die Unternehmenskultur wirkt in beide Richtungen, starke Diskrepanzen zwischen der innen- und Außendarstellung würden über kurz oder lang das Image beschädigen. Die Gestaltung einer erfolgversprechenden Unternehmenskultur (noch dazu einer innovationsfördernden) lässt sich aber nur unter Beteiligung der Beschäftigten umsetzen. Deren Partizipation muss heute tendenziell ausgeweitet werden, weil die MitarbeiterInnen sich im Innovationsprozess nicht nur zunehmend selbständig organisieren müssen, sondern das Unternehmen und seine Kultur auch nach außen repräsentieren sollen.

So betrachtet, tendieren wissensbasierte, innovationsorientierte Unternehmen in der Wissensökonomie dazu, ihre Stakeholder an nahezu sämtlichen ökonomischen Aktivitäten zumindest partiell partizipieren und/oder mitbestimmen zu lassen. Klotz plädiert daher nachvollziehbar für einen Paradigmenwechsel von der Fokussierung auf Innovationssysteme hin zu Innovationskulturen (Klotz 2006:114).

Es lässt sich beispielsweise beobachten, dass Firmen ihre einstigen Geschäftsgeheimnisse offenlegen und etwa Zulieferern und Kunden unmittelbaren Zugriff auf den Kern ihrer Leistung geben. So entsteht ein permanenter Prozess, der davon lebt, dass die Fachkräfte aus den beteiligten Unternehmen kontinuierlich an einer Optimierung der Produkte und Verfahren arbeiten. Für die am Netzwerk beteiligten Unternehmen geht es um eine win-win-Situation mit geringen Transaktionskosten, geringem Innovationsrisiko und denkbar schnellster und flexibler Umsetzung. Es gibt in dieser Hinsicht also eine klare Tendenz in Richtung auf die Vorteile einer zwischen betrieblichen Kooperationskultur im Gegensatz zur herkömmlichen Konkurrenzkultur.

Ein derartig kooperatives Vorgehen erfordert aber auch entsprechende Entscheidungskompetenzen auf der mittleren Ebene in den Betrieben, um die Entwicklungen zeitnah zu implementieren. Dabei dürften nicht nur technische Fragen verhandelt werden, sondern auch Aspekte der Arbeitsgestaltung, weil in einem kontinuierlichen Innovationsprozess sich die Anforderungen an die Organisation tendenziell beständig ändern.

Open innovation deutet darauf hin, dass der Möglichkeitsraum für eine Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft im Übergang zur Wissensökonomie sich deutlich erweitern könnte. Die Politik könnte diesen Prozess durch die Gestaltung der Rahmenbedingungen und die Bereitstellung der Infrastruktur unterstützen.


Partizipation und Wirtschaftsdemokratie

Der Prozess der Demokratisierung kann nach Noberto Bobbio solange noch nicht als abgeschlossen gelten, wie die Unternehmen davon noch nicht erfasst wurden (Bobbio 2009). Unter den Bedingungen einer wissensbasierten Ökonomie würde ein Verzicht auf diese Ausweitung heute auch einen Verzicht auf die Hebung maßgeblicher Produktivitätspotenziale bedeuten.

Die Arbeitswelt der Wissensökonomie unterscheidet sich signifikant von der des tayloristisch-fordistischen Zeitalters. Alain Lipietz hat diese Differenz in einem Essay über "Demokratie nach dem Fordismus" sehr frühzeitig beschrieben. Danach müsste sich das "Bedienungspersonal (...) mit all seinen Vorstellungen, seiner Innovationsfähigkeit, seiner Qualifikation und seinem im Produktionsalltag erworbenen Know-how einbringen können, und zwar nicht nur zur Verbesserung des Produktionsablaufs, sondern auch zur Vergesellschaftung des erworbenen praktischen Wissens: eine Aufgabe, die Taylor dem Planungsbüro reserviert hatte" (Lipietz 1990?). Neue Wissens- und Lernkulturen unter den Bedingungen neuer Organisationsstrukturen sind in diesem Zusammenhang entscheidende Erfolgsfaktoren.

Die wissensbasierte Arbeitsorganisation stellt auf eine größere Anerkennung von Autonomie und Selbststeuerung der Wissensarbeiter ab. Die neue Wissens- und Lernkultur ist daher auch eine Kultur der Partizipation. Innovation als ein sozialer Prozess, in den wirtschaftliche, rechtliche, betriebliche und kulturelle Aspekte einfließen, ist kontextgebunden und geografisch zu verorten. Vor allem sind Innovationen qua Definition das zuvor noch Unbekannte und lassen sich daher auch prinzipiell nicht verordnen oder anleiten. Sie entstehen maßgeblich aus innovativen Milieus und erfordern experimentelle Freiheiten. Kreative Ideen lassen sich nicht effektiv in hierarchische Organisationsformen implementieren, da diese eine dysfunktionale Umgebung für Wissensarbeiter bieten (Vgl. Klotz 2006). Machtausübung gilt heute in der Innovationsforschung als zentraler Misserfolgsfaktor für Innovationen. Zudem sind Innovationen tendenziell subversiv, da sie als etwas Neues immer bestehende Machtverhältnisse tangieren.

Als WissensarbeiterInnen gelten heute nicht nur WissenschaftlerInnen, sondern alle MitarbeiterInnen und Freelancer, die eine spezifische Problemlösungskompetenz im Produktionsprozess aufweisen. Eine Unternehmenskultur ohne großes hierarchisches Gefälle, mit starken partizipatorischen Elementen, erheblichen horizontalen Entscheidungs- und Koordinationskompetenzen und der Möglichkeit zu ungehinderter informeller Kommunikation gilt als entscheidende Voraussetzung für innerbetriebliche Innovationen. Nur so lässt sich auch das implizite Wissen der Fachkräfte in den Produktions- und Innovationsprozess integrieren.

Dort, wo derartige Beteiligungsprozesse greifen, lässt sich ein enger Zusammenhang zwischen der Notwendigkeit Erfahrungswissen der Beschäftigten in verfügbare Produktionsintelligenz zu transferieren und dem Niveau der Partizipation feststellen. "Je stärker das Management auf die Nutzung vorhandener Produktionsintelligenz angewiesen ist, je wichtiger der Konsens mit den Beschäftigten über die Erweiterung betrieblicher Flexibilisierungsspielräume wird und je mehr Wissen die Beschäftigten einzubringen vermögen, desto größer werden die Chancen direkter Partizipation" (Dörre 1996 S. 82).


Resumé

Die Krise hat uns ein Zeitfenster geöffnet, das eine neue Weichenstellung von der Wallstreet und ihren drohenden Abgründen hin zur Mainstreet mit verstärkten partizipativen Tendenzen ermöglicht. Um diese historische Chance wahrzunehmen, bedarf es jedoch eines entschlossenen und abgestimmten politischen Handelns. Neben der Setzung strikter Finanzmarktregeln bedarf es der Förderung zentraler Zukunftsfelder. Da die Netzwerkarchitektur der Wissensökonomie hierarchische Steuerungsmodi zunehmend obsolet werden lässt, wird einer Demokratisierung der Betriebe und Innovationskulturen tendenziell der Boden bereitet. Ob derart partizipative Strukturen ein emanzipatorisches Potenzial entfalten, hängt maßgeblich von den WissensarbeiterInnen selbst und von den jeweils spezifischen gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen ab. Gelebte Partizipation weckt das Interesse an mehr Demokratie. Unter wissensökonomischen Bedingungen öffnet sich auf jeden Fall ein erweiterter Möglichkeitsraum für eine Wirtschaftsdemokratie.


Dr. Arno Brandt ist Ökonom und Bankdirektor.


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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 5/2010, Heft 180, Seite
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Dezember 2010