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ENTWICKLUNGSHILFE/103: Eine Agenda für wen? - Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2015
Ökosystem Boden
Die dünne Haut der Erde

Eine Agenda für wen?
Risiken und Nebenwirkungen einer Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft in der Entwicklungspolitik

Von Marie-Luise Abshagen


Langsam wird es ernst. Seit Januar diesen Jahres laufen die zwischenstaatlichen Verhandlungen zur Post-2015-Agenda. Jetzt können Staaten entscheiden, ob sie die Vorarbeit der Offenen Arbeitsgruppe (Open Working Group, OWG) mit ihren 17 Zielvorschlägen akzeptieren, auf welche Art von Überprüfung sie sich einlassen, wie man das Ganze finanzieren will. Und auf welche Umsetzungsmechanismen man sich einigen kann. Umsetzung wie, aber vor allem auch mit wem. Denn schon längst ist Entwicklungspolitik - und das gilt auch für die nun angestrebte nachhaltige Entwicklung - kein rein staatliches Unterfangen mehr. Zahlreiche Partnerschaften zwischen Staaten, Zivilgesellschaft und der Privatwirtschaft bestimmen schon jetzt entwicklungspolitische Programme zu Landwirtschaft, Gesundheit und Ressourcenschutz. Eine win-win-Situation für alle?


Der Prozess zur Schaffung der Post-2015-Agenda und ihrer Sustainable Development Goals (SDGs) ist ein gutes Beispiel, dass die Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft für den Bereich der nachhaltigen Entwicklung wenigstens mit Vorsicht zu genießen ist. Denn schon jetzt werden die Prinzipien dieser neuen Agenda auch von der Privatwirtschaft mitgeschrieben. In erster Linie sind die derzeitigen Verhandlungen, ebenso wie die Vorarbeiten dazu in der OWG, zwar eine zwischenstaatliche Angelegenheit. Doch insbesondere die Arbeit der OWG, bei der es vordergründig um das Zusammenstellen von Expertise aus den Bereichen Umwelt, Entwicklung, Wirtschaften, Menschenrechte, Frieden und Sicherheit ging, funktionierte durch zahlreiche Konsultationen mit anderen Akteuren.

Privatwirtschaft lobbyiert in Post-2015-Verhandlungen

Diese Möglichkeit zur Beteiligung im Post-2015-Prozess hat nicht nur die weltweite Zivilgesellschaft wahrgenommen. Auch zahlreiche privatwirtschaftliche Lobbyorgane waren involviert. Allen voran der Global Compact, zuständig für die Beteiligung von Unternehmen an UN-Prozessen. Gegründet wurde dieser als eine Initiative des UN-Generalsekretärs zur Verankerung von Prinzipien für Menschen- und Arbeitsrechte, Umweltstandards und Korruptionsbekämpfung in Unternehmenspraktiken. Seine Berichte, auch der zur Rolle von Unternehmen in der Post-2015-Agenda,(1) sind direkt an den Generalsekretär gerichtet. Weiterhin konnten sich private Unternehmen über die Major Group Business and Industry (MGBI) in der OWG direkt zu Wort melden. Die Major Groups stellen einen in verschiedenen UN-Prozessen genutzten Mechanismus zur Beteiligung nicht-staatlicher Akteure dar. Neben der MGBI gibt es unter anderem eine für NGOs, Bäuerinnen und Bauern oder die Wissenschaft. Außerdem ist die Privatwirtschaft noch in weiteren Post-2015-Prozessen sehr aktiv. Hierzu zählt etwa das vom UN-Generalsekretär gegründete Sustainable Development Solutions Network (SDSN), einem Netzwerk zur Mobilisierung wissenschaftlicher und technischer Expertise im Bereich der nachhaltigen Entwicklung insbesondere aus der akademischen Welt. Die meisten Unternehmen, die im Post-2015-Prozess involviert sind, sind transnationale Konzerne aus den Sektoren Rohstoffe, Technologie, Chemie und Pharmazie, Nahrungsmittel und Getränke. Namentlich zum Beispiel Google, Unilever, BP und die Citibank.

Beunruhigend ist nicht die Beteiligung der Privatwirtschaft am Post-2015-Prozess per se, sondern das Ausmaß ihres Einflusses und das Vertrauen, das ihr insbesondere von staatlicher Seite zugesprochen wird, ebenso wie die Ergebnisse, die ihre Beteiligung nach sich ziehen. So zeigen sich ganz klar in den Berichten des Global Compact, aber auch der OWG und des SDSN, dass als Grundlage von Entwicklung insbesondere Wachstum, die Öffnung von Märkten in Entwicklungsländern und eine zunehmende Beteiligung am Welthandel angesehen wird. Entwicklungspolitische Theorien, die in dieser Form von den meisten NGOs nicht unterstützt werden.

Privatwirtschaft schon jetzt Partner in der Entwicklungszusammenarbeit

Auch und insbesondere in der Umsetzung von Entwicklungspolitik sehen sich privatwirtschaftliche Akteure mittlerweile als handelnde sowie richtungsweisende Akteure und erfahren zunehmende Legitimation durch Regierungen. Denn in der Diskussion um die Post-2015-Agenda, ebenso wie in schon laufenden Entwicklungsprojekten, ist der Einbezug der Privatwirtschaft in sogenannte Multi-Stakeholder-Partnerschaften oder in öffentlich-private Partnerschaften derzeit mal wieder en vogue. Beides sind keine neuen Konzepte, sondern sie beherrschen die Diskussion um nachhaltige Entwicklung schon lange. Dennoch finden sich derzeit wieder in allen zentralen Dokumenten zur Post-2015-Agenda Aufrufe zu einer solchen partnerschaftlichen Zusammenarbeit, ob von Seiten der UN oder der Bundesregierung. Dabei ist noch nicht einmal sicher, wie effektiv diese eigentlich ist. Studien zeigen, dass ein Drittel der untersuchten Partnerschaften gar nicht erst wirklich gestartet sind, ein Drittel nichts erreicht hat, ein Drittel Erfolg gezeigt hat.(2) Dies lässt sich, je nach politischer Perspektive, entsprechend interpretieren.

Partnerschaften gibt es zu allen möglichen Themen, beispielsweise zu internationalen Impfprogrammen (GAVI), zu nachhaltiger Energie (Sustainable Energy for All) oder im Agrarbereich (German Food Partnership und G7 New Alliance).(3) Diese Partnerschaften zeigen, dass die Privatwirtschaft durch eine solche Einbeziehung in Politikprozesse, extremen Einfluss auf eben diese Politik ausüben kann. Beispiel Impfallianz GAVI: In Ländern wie Ghana ist durch die Initiative zwar genug Geld für die Behandlung von HIV da, dafür werden kaum Krankenhäuser gebaut, weil es dafür keine Finanzierung und demnach auch kein staatliches Interesse gibt, mit der Folge, dass das allgemeine Gesundheitssystem leidet.(4)

Des Weiteren sind solche Partnerschaften bei der Zivilgesellschaft insbesondere für ihre Intransparenz und fehlende Rechenschaftspflicht verschrien. Bei der German Food Partnership beispielsweise, die 2012 gegründet wurde, verwehrte das BMZ der Zivilgesellschaft unter Berufung auf die Geschäftsgeheimnisse der privatwirtschaftlichen Partner lange Zeit den Einblick in zentrale Dokumente unter anderem über die TeilnehmerInnen und Pläne zur Umsetzung. Erst nach einem Jahr wurden die Dokumente frei gegeben, woraufhin gleich auffiel, dass bei allen bisherigen Treffen niemand von Bäuerinnen- und Bauernorganisationen anwesend war.

Zudem vertreten die Partnerschaften häufig Entwicklungsmodelle, die auf großangelegte Lösungen mit hoher Markteffizienz setzen, dabei aber im Endeffekt nur weitere Problem schaffen. Die Sustainable Energy For All-Initiative beispielsweise, die unter anderem den Anteil der Erneuerbaren Energien am weltweiten Energiemix verdoppeln will, soll - so sie denn einmal wirklich angelaufen ist - vornehmlich auf riesige Infrastrukturprojekte, wie Staudämme, setzen, deren umwelt-, entwicklungs- und menschenrechtliche Auswirkungen von NGOs weltweit kritisiert werden.

Staaten geben Pflichten an Unternehmen ab

Letztendlich sind es natürlich nicht nur die Unternehmen, die in der Kritik stehen sollten. Denn im Zweifelsfall argumentieren diese aus einer eigenen Logik heraus, die betriebswirtschaftlichen Grundsätzen folgt. So kann und sollte man einem Unternehmen vorwerfen, dass es Menschenrechte missachtet und es dafür zur Verantwortung ziehen, aber (außer man hinterfragt die Notwendigkeit von Wachstum generell) nicht, dass es Profit machen will. Und natürlich hat die Privatwirtschaft, ebenso wie die Zivilgesellschaft, das Recht an Konsultationen und Sitzungen der UN teilzunehmen und zu sprechen. Die Einstellung, dass wir nachhaltige Entwicklung ganz ohne die Privatwirtschaft meistern können, ist nicht mehr zeitgemäß. Insbesondere in Anbetracht der Tatsache, wie die globalisierte Wirtschaft all unser Leben bestimmt und das Erreichen der SDGs maßgeblich durch veränderte Praktiken der Privatwirtschaft, unter anderem im Arbeitsschutz, Umweltbereich und der Nachhaltigkeit von Ressourcennutzung, beeinflusst wird. Und so liegt es in der Aufgabe des Staates, Regulierungen zu verfassen, die wirtschaftlichem Handel Schranken geben. Lediglich die Ermutigung von Unternehmen zu nachhaltigem Wirtschaften, wie es in den SDGs vorgeschlagen wird, reicht hier allerdings bei Weitem nicht aus.

Das Problem sind somit insbesondere die Staaten selbst, allen voran Deutschland, deren Regierungen sich immer mehr aus ihren international vereinbarten Verpflichtungen ziehen (da war doch was mit den 0,7% BIP für Entwicklungshilfe) und die zunehmend auf die Bewältigung entwicklungspolitischer Aufgaben durch Unternehmen setzen. Marktwirtschaftliche Rhetorik in der Entwicklungszusammenarbeit ist somit auch ein staatliches getriebenes Kredo, dem die praktische Zusatzfunktion zukommt, dass die finanziellen Mittel von Entwicklung jemand anders trägt. Dabei ist auffällig, dass eben diese Regierung bei der Fokussierung auf die Privatwirtschaft als Akteur in der Entwicklungspolitik immer auf die gleichen, transnationalen Unternehmen zu setzen scheinen. Privatwirtschaft scheint im Verständnis staatlicher Akteure demnach in erster Linie zu bedeuten: Umsatzstarke, westliche Unternehmen. Der Privatsektor von Entwicklungsländern, also die klein- und mittelständischen Unternehmen vor Ort, bleibt oft außen vor. Für die Post-2015-Agenda bedeutet dies, dass die Zivilgesellschaft ganz genau hinschauen muss, was mit der vielgepriesenen neuen, globalen Partnerschaft eigentlich gemeint ist. Und vor allem wer.

Autorin Marie-Luise Abshagen arbeitet beim Forum Umwelt und Entwicklung als Referentin für die Post-2015-Agenda.


Anmerkungen

(1) https://www.unglobalcompact.org/issues/partnerships/post_2015_development_agenda.html

(2) Siehe hierzu IVM Institute for Environmental Studies: Transnational multi-stakeholder partnerships for sustainable development - Building blocks for success; Report R-14/31, 13 August 2014.

(3) Siehe Jan Urhahn: Wer hat, dem wird gegeben - Entwicklungspolitik setzt zunehmend auf Konzerne bei der Hungerbekämpfung, Rundbrief 04/2014; Benjamin Luig: Neue Unübersichtlichkeit - Die "Neue Allianz für Ernährungssicherheit" der G7/G8 (G8NA) steht für ein problematisches Politikmodell; Rundbrief 03/2014.

(4) Siehe hierzu beispielsweise auch die Kritik des Gen-ethischen Netzwerks:
http://www.gen-ethisches-netzwerk.de/gid/200/feuerlein/gate-isierung-globalen-gesundheitspolitik

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2015, S. 25-26
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2015

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