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FINANZEN/015: Selbst der eigenen Bank vertrauen nur noch 52% ... (Sozialismus)


Sozialismus Heft 5/2009

Selbst der eigenen Bank vertrauen nur noch 52% ...
Überlegungen zu Krise und Alltagsbewusstsein

Von Jörg Cezanne und Jasmin Romfeld


Der globalisierte, finanzmarktgetriebene Kapitalismus ist in eine systemische "Jahrhundert"-Krise eingetreten. Die Verunsicherung über deren tatsächliches Ausmaß ist groß. Anfang April stellten Barry Eichengreen und Kevin H. O'Rourke den Beitrag "A Tale of Two Depressions" (Eichengreen/O'Rourke 2009) ins Netz, in dem sie zeigen, dass die aktuelle Krise hinsichtlich des Rückgangs der Weltindustrieproduktion, der Aktienkurse sowie des Welthandels die Weltwirtschaftskrise von 1929 noch übertrifft. Die für die Bevölkerung spürbaren Auswirkungen - Firmenpleiten, Betriebsstilllegungen, betriebsbedingte Kündigungen - werden im Jahresverlauf deutlich zunehmen. Die OECD rechnet mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit in Deutschland auf fünf Millionen bis 2010. Vor diesem Hintergrund fragen Jörg Cezanne und Jasmin Romfeld, welche Folgen die Krise für das Alltagsbewusstsein haben könnte und wie DIE LINKE darauf reagieren müsste.


Die Verunsicherung über die Folgen der Krise reicht weit ins bürgerliche Lager hinein. Die jahrzehntelang vom wirtschaftswissenschaftlichen Mainstream für überholt erklärten Überlegungen von John Maynard Keynes sind plötzlich die probaten Mittel zur Krisenbekämpfung. Der viel geschmähte Staat, der sich am besten aus der Wirtschaft herauszuhalten hatte, wird zum Hoffnungsträger bei der Krisenüberwindung. Die FAZ fragt "Ist der Kapitalismus noch zeitgemäß?" und "Wohin mit unserer Wut?" und DIE ZEIT stellte bereits im vergangenen Herbst "Die Pleite der letzten Utopien" fest und fragte "Wo sind bloß die Liberalen?"

Deren politischer Flügel - die FDP - gehört zu den Gewinnern der neuen Situation, in Umfragen liegen CDU und FDP vorne. Zwar steigt die Sorge der Bevölkerung vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, aber Konsumklima oder Zukunftszuversicht sind bislang wenig beeinträchtigt, soziale Gegenwehr zeigt sich erst ansatzweise.

Eine Schlüsselrolle zum Verständnis dieses Paradoxons spielen die Deutungsmuster des Alltagsbewusstseins. Erst die "subjektiven" Deutungen, die Menschen den um sie herum stattfindenden "objektiven" Veränderungen geben, versetzen sie in die Lage zu handeln und bestimmen die Zielrichtung dieses Handelns. "Allerdings verändern sie sich langsamer als die reale Lebenssituation und ihre Grundstruktur spiegelt sich selbst dann noch wider, wenn der Wechsel der Lebenspraxis zu einem tiefgreifenden Bewusstseinswandel zwingt." (Werner 2003) Salopp formuliert ist es für Verhaltensänderungen von Menschen (nehmen wir als Beispiel das betriebliche Engagement für den Erhalt von Arbeitsplätzen und Standorten bei Opel) entscheidender, diese Deutungsmuster des Alltagsbewusstseins zu verändern, als abstrakte Erklärungen, wie der Kapitalismus an sich funktioniere oder rechthaberische Feststellungen, dass die Krise ja habe kommen müssen.

Wir suchen in diesem Beitrag nach Antworten auf folgende Fragen:

Auf welche vorherrschenden Deutungsmuster trifft die "Jahrhundert"-Krise?
Welche Verschiebungen in diesen Deutungsmustern lassen sich aus ersten Erhebungen und Befragungen der vergangenen Monate erkennen?
Wie kann eine auf die Überwindung gesellschaftlicher Ungleichheit und Unterdrückung zielende politische Praxis Alltagsbewusstsein verändern?


Alltagsbewusstsein unter neoliberaler Hegemonie

Der Neoliberalismus trat seinen Siegeszug seit Mitte der 1970er Jahre an, nachdem die gesellschaftlichen Entwicklungsressourcen des Jahrzehnte lang außerordentlich erfolgreichen fordistischen Akkumulationsregimes erschöpft waren. Hegemonial konnte er allerdings vor allem deshalb werden, weil er für die tatsächlich stattfindenden gesellschaftlichen Veränderungen (relativer Rückgang großindustrieller Produktion, Aufstieg der Mikroelektronik, Globalisierung und Herausbildung des "Wettbewerbsstaates") überzeugende Deutungsmuster bereithielt. Diese konnten die Kritik an den fordistischen Institutionen sowie Elemente der antiautoritären und antibürokratischen Ideale der Studentenbewegung und der aufstrebenden neuen sozialen Bewegungen aufgreifen. Sie sind in unterschiedlicher Weise Teil des Alltagsbewusstseins geworden.

Soziale Klassen, Schichten oder Milieus werden in unterschiedlicher Weise von der hegemonialen Ideologie erfasst. Die von Richard Sennett in "Die Kultur des neuen Kapitalismus" (Sennett 2007) beschriebenen Beschäftigten in "Organisationen avancierten Typs" (er zählt hierzu die High-Tech-Industrie, weltweit agierende Finanzdienstleister sowie neue Dienstleistungsunternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten) beispielsweise arbeiten und leben in einem sozialen Umfeld, in dem die Deutungsmuster des Neoliberalismus in besonderer Weise zur Norm geworden sind. Diese Gruppe deckt sich zu einem erheblichen Teil mit den von Michael Schumann beschriebenen "Modernisierungsmachern" und "-mitgestaltern" (Schumann 2003). Beschäftigte in traditionellen Industrie- und Handelsunternehmen oder im öffentlichen Sektor arbeiten unter ähnlichen Verhältnissen wie zu Zeiten des Fordismus (Schumanns von der Modernisierung Ausgesparte oder Bedrohte). Hier werden aber die neoliberalen Ideologeme als "fortschrittlich" und als Teil eines notwendigen Modernisierungskurses vertreten und der Beschäftigtentypus der "Organisationen avancierten Typs" als Vorbild dargestellt. Für die wachsende Gruppe der dauerhaft von Arbeitsmarkt und gesellschaftlicher Teilhabe Ausgeschlossenen erscheinen die neoliberalen Vorstellungen vor allem als Zumutungen einer sozialen Bürokratie, der sie sich weitgehend hilflos ausgeliefert sehen.

Prägend für das Alltagsbewusstsein unter neoliberaler Hegemonie sind folgende Aspekte:

"Das rechnet sich nicht": Die Logik der betriebswirtschaftlichen Effizienz ist zur gesellschaftlichen Maxime erhoben. Was am Markt kein Geld bringt - vom städtischen Schwimmbad über das Dreiliterauto bis zum Umstieg auf nicht-fossile Energieträger -, zählt nichts. Dies gilt selbst dann, wenn es für die gesamte Gesellschaft - wie zum Beispiel Erneuerbare Energien und Klimaschutz - ökonomisch sinnvoll wäre.

"Freie Märkte funktionieren besser als der Staat": Wettbewerb auf freien Märkten führe zu besseren und kostengünstigeren Produkten und Dienstleistungen. Damit steige der gesellschaftliche Wohlstand. Dem gegenüber sei die Politik schwerfällig, von widerstreitenden Einzelinteressen und dem egoistischen Interesse der Politiker an ihrer Wiederwahl häufig gehindert, sachgerechte Entscheidungen zu treffen. Dieses Deutungsmuster setzt einerseits an den Defiziten der in vielerlei Hinsicht kaum unterscheidbaren Parteien, als auch an der (allerdings politisch gewollten) verminderten Steuerungsfähigkeit der Politik selbst an.

"Es ist kein Geld da": Hinzu kommt, dass der Sozialstaat wegen der Staatsverschuldung und dem Finanzbedarf der Sozialversicherung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels als nicht mehr finanzierbar angesehen wird. Ausgeblendet bleiben die dramatische gesellschaftliche Umverteilung seit den 1970er Jahren und die Steuerentlastungen für Unternehmen, Vermögende und "Besserverdienende". Uns scheint, dass dieses dem "gesunden Menschenverstand" so eingängige, aber eher diffuse Deutungsmuster besonders tiefe Spuren im Alltagsbewusstsein hinterlassen hat. Zusammen mit fehlenden Vorstellungen einer gesellschaftlichen Alternative führt es zur Denkzensur: "Soziale Wohltaten können wir uns nicht leisten."

"Jeder ist für seinen Erfolg selbst verantwortlich": Um in der heutigen Berufswelt erfolgreich zu sein, komme es für den Einzelnen darauf an, selbst unternehmerisch zu denken und zu handeln. Jeder sei selbst dafür verantwortlich, sich "beschäftigungsfähig" zu machen oder zu halten. Wer das nicht tut, ist dann an seiner Arbeitslosigkeit selbst schuld. In Sozialpolitik umgesetzt führt dieser Gedanke dazu, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger zu "aktivieren" und zu eigenständigem Handeln zu führen (und sie damit aus der "Bevormundung der sozialstaatlichen Bürokratie" zu befreien).

"Ich vertrete meine Interessen selbst": Mit der Pluralisierung von Lebensstilen, der Segmentierung der Belegschaften und dem Vordringen "unternehmerischen" Denkens ins Alltagsbewusstsein wandelt sich das Verständnis von Solidarität. Gemeinsame Interessenvertretung tritt hinter Gruppenverhandlungen oder individuelle Lösungen zurück. Die lebenslange Mitgliedschaft in einer sozialen Gemeinschaft - Gewerkschaft, Kirche, Partei, Verein - als organisatorischer Grundlage gelebter Solidarität geht zurück.

"Politikern glaube ich kein Wort mehr": Das Vertrauen in die politische Handlungsfähigkeit ist gering, das Ansehen des Politikerberufs besonders schlecht. Hierin spiegelt sich - neben dem Zweifel an der Handlungsfähigkeit - die reale Erfahrung, dass die herrschende Politik der neoliberalen Parteien große Teile der Gesellschaft vorsätzlich ausgrenzt (vgl. Hartz-Gesetzgebung), die Beteiligungsmöglichkeiten der Bevölkerung (z.B. Bürger- oder Volksbegehren) gering sind und selbst klare Mehrheitsmeinungen (z.B. gegen den Bundeswehr-Kriegseinsatz in Afghanistan oder für einen Mindestlohn) von den neoliberalen Parteien missachtet werden. Gleichzeitig verstärkt sich die Personalisierung politischer Auseinandersetzungen und deren massenmediale Inszenierung.

"Da kann man nichts machen": Zur aktuellen Entwicklung gebe es keine Alternative. Die Globalisierung sei notwendig und lasse sich nicht aufhalten, aus der Standortkonkurrenz könne gerade der Exportweltmeister Deutschland nicht aussteigen, ökonomische Sachzwänge lassen eine "andere Welt", so wünschenswert sie wäre, nicht zu. Eine Systemalternative zur kapitalistischen Marktwirtschaft ist seit dem Scheitern des sozialistischen Experiments 1989 im öffentlichen Bewusstsein nicht mehr vorhanden.


Krisenbewusstsein: erste empirische Befunde...

Die vorliegenden empirischen Befunde, auf deren Grundlage man nach Auswirkungen der Wirtschaftskrise im Meinungsbild der Befragten suchen kann, sind noch vergleichsweise gering. Dennoch ergeben sich erste Ansätze, aus denen sich Überlegungen für unsere Fragestellung ableiteten lassen. Als Datenmaterial dienten vorwiegend die regelmäßig durchgeführten Umfragen von Infratest dimap zum so genannten DeutschlandTREND (Infratest 2008 und 2009) und Analysen des Instituts für Demoskopie Allensbach in der FAZ (Allensbach 2008a und b, 2009). Die tägliche Berichterstattung über die sich immer weiter auswirkende Finanz- und Wirtschaftskrise, von der Hypo Real Estate bis hin zu Opel, die einbrechenden Konjunkturdaten, Kurzarbeit und Rettungspakete finden ihren Niederschlag in den Antworten der Befragten.

Ein Drittel ist unmittelbar von der Krise betroffen. Die von Infratest regelmäßig abgefragte Einschätzung der Menschen zur Entwicklung der Finanz- und Wirtschaftskrise verzeichnet seit ihrem Beginn ein stetiges Anwachsen derer, die der Ansicht sind, dass der schlimmste Teil der Krise noch nicht erreicht ist. Waren im November 2008 bereits 63% dieser Auffassung, so stieg dieser Teil im Dezember auf 73% und lag für April bei 76%.

Eine unmittelbare persönliche Betroffenheit können nach den Befragungen von Infratest dimap im April 2009 bisher nur 32% für sich angeben. Eine Befragung des Allensbach Instituts im Dezember 2008 ergab ein ähnliches Ergebnis: Hier waren es 33% Demnach kann von einem verbreiteten subjektiven Empfinden der Krise zunächst nicht die Rede sein, wenn Menschen nicht gerade in Unternehmen arbeiten, die wegen der Wirtschaftskrise Kurzarbeit eingeführt oder Insolvenz angemeldet haben, oder wenn sie in ihrem Bekannten- oder Verwandtenkreis jemanden kennen, dem es so ergeht. Die Angst, es könnte sie selbst auch treffen, ist verbreitet, variiert allerdings zumindest in den Ergebnissen bei Infratest im April 2009: Die Sorge um die persönliche wirtschaftliche Zukunft (54%, -1) steht ebenso wie die Sorge von Erwerbstätigen um ihren Arbeitsplatz (32%, -6) regelmäßig hinter der Sorge um das Ersparte mit 56%, ein Anstieg um 3% im Vergleich zum Vormonat.

Die Ergebnisse der GfK-Konsumklimastudie für März 2009 lassen allerdings die Annahme zu, dass eine Krisenstimmung im Lebensalltag vieler Menschen derzeit nicht unmittelbar Einfluss auf das hier ermittelte Verbraucherverhalten nimmt. Am Konsumverhalten der Befragten hat sich demnach nichts verändert.

Es besteht kein Vertrauen in das Finanzsystem. Im Oktober 2008 gaben bei einer Untersuchung des Instituts Allensbach 78% an, dass das Finanzsystem so undurchsichtig geworden sei, dass es sich ihrem Verständnis und Urteilsvermögen entziehe. 70% der Befragten hatten zu diesem Zeitpunkt wenig oder gar kein Vertrauen zu den Banken. Selbst der eigenen Bank vertrauten nur noch 52%. Nur 23% waren der Auffassung, dass deutsche Banken unvertretbare Risiken meiden würden. Nach dieser Befragung zeichnete sich bereits zu diesem Zeitpunkt eine große Mehrheit derer ab, die sich mit 63% für eine staatliche Kontrolle des Bankenwesens als Folge der Finanzkrise aussprechen. Sogar 34% der FDP-Anhänger sind dieser Meinung. 70% sind der Auffassung, dass allein mehr staatliche Regulierung die Gefahr krisenhafter Entwicklung mindern würde.

Die Bundesregierung ist nicht mehr Herr der Lage. Seit Dezember 2008 schwindet das Vertrauen in die Handlungssicherheit der Bundesregierung. Angesichts der Schwierigkeiten auch bei den Landesbanken sprach sich im Unterschied zum Vormonat (45%) eine Mehrheit von 53% gegen eine Beteiligung der öffentlichen Hand an Schlüsselunternehmen aus. Waren es im Dezember noch 66%, die der Bundesregierung ein schnelles und entschlossenes Handeln bescheinigten, so wurde das im Januar 2009 geplante Konjunkturpaket II nur noch von 43% als wirksames Instrument zur Bekämpfung der Krise bewertet. Laut Allensbach bewirkte die Verabschiedung des Konjunkturpakets II nur bei 21% die Hoffnung auf eine erfolgreiche Stützung der Konjunktur. Im Februar 2009 befürchtete etwa die Hälfte der Befragten, die Koalition habe angesichts des Krisenausmaßes den Überblick verloren, zwei Drittel hatten nicht den Eindruck, dass die Bundesregierung eine klare Linie im Umgang mit der Krise verfolgt. Dem US-amerikanischen Präsidenten Barack Obama trauen nach dieser Befragung 80% zu, einen wichtigen Beitrag zur Lösung der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise leisten zu können. Der Zuspruch zu politischen Interventionen fällt vorwiegend positiv aus - etwa in Form einer weltweiten Kontrolle der internationalen Finanzmärkte (90%) und durch aus Krediten finanzierten Konjunkturprogrammen, die den Umwelt- und Klimaschutz vorantreiben (79%) (Infratest April 2009).

Die Menschen sind für staatliche Eingriffe und Verstaatlichung - aber mit gehöriger Skepsis. Das Meinungsbild zu staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft in Zeiten der Krise hängt von verschiedenen Faktoren ab. Laut Allensbach sind im Februar 57% der Ansicht, dass es keine Alternative zu staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft gibt, um die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise abzuschwächen. 19% halten dies für falsch, ein Viertel enthält sich der Stimme. Von den Berufstätigen, die in ihrem Unternehmen bereits deutliche Zeichen der Krise beobachten, halten es 53% für richtig, 22% für falsch, dass der Staat verstärkt in die Wirtschaft eingreift, die übrigen enthalten sich der Stimme. Staatliche Rettungsaktionen für angeschlagene private Kreditinstitute werden laut Infratest vom Oktober 2008 von einer knappen Mehrheit der Bundesbürger (56%) als "ultima ratio" akzeptiert.

Eine ausgeprägte Rolle spielt das Gerechtigkeitsempfinden der Befragten. So sind 95% verärgert darüber, wenn Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für den von der Finanzwirtschaft verursachten Schaden aufkommen sollen (Infratest, Oktober 2008). Ähnliches findet sich auch in der Allensbach Studie vom Oktober 2008, derzufolge nahezu drei Viertel der Befragten beklagen, dass diejenigen, die durch ihr hochriskantes Verhalten Verluste eingefahren haben, die nun sozialisiert werden, und zugleich selbst dabei gut verdient haben, ohne Strafe davonkämen. Der These: "Die großen Konzerne machen jedes Jahr Rekordgewinne und schmeißen gleichzeitig die Leute raus. Da muss man schon die Frage stellen, wie weit das mit dem Grundgesetz vereinbar ist", stimmten 74% der Befragten zu. 16% sind sogar der Ansicht, dass die großen Vermögen vieler Familienunternehmen aufgrund der Enteignung der Belegschaft zustande gekommen seien und deshalb eine Rückübereignung des Vermögens an die Belegschaft als rechtmäßige Eigentümer stattfinden müsse.

Staatliche Maßnahmen sind nicht gleich staatliche Maßnahmen. Die Befragten unterscheiden sehr wohl, wofür das Geld, ihre Steuergelder, ausgegeben werden. Nur gut ein Drittel der Befragten sieht laut Allensbach in dem staatlichen Eingreifen vorwiegend Chancen, eine Mehrheit auch oder sogar überwiegend Gefahren. Auch diejenigen, die im derzeitigen Kurs überwiegend Chancen sehen, befürchten einen steilen Anstieg der Verschuldung und höhere Belastungen für die Bürger. 52%, die Mehrheit der Befragten insgesamt, befürchtet, dass der Staat sich mit den Rettungsaktionen übernimmt. 84% derjenigen, die vorwiegend Risiken mit dem Eingreifen des Staates verbinden, befürchten steigende Lasten für die Bürger und 61% die Stützung von Unternehmen, die letztlich nicht lebensfähig sind. 57% erwarten, dass staatliche Hilfen Unternehmen geradezu ermutigen, größere Risiken einzugehen, in der Überzeugung, auf staatliche Rettung bauen zu können.

Bei direkter staatlicher Einflussnahme zur Rettung angeschlagener Unternehmen hält es die Mehrheit für selbstverständlich, dass der Staat dabei auch unmittelbaren Einfluss auf die Geschäftspolitik nimmt. Allerdings gehen die Befragten dabei nicht davon aus, dass sich durch staatliche Einflussnahme auch automatisch eine bessere Unternehmenspolitik einstellt. Nach wie vor ist eine Mehrheit der Befragten (56%) davon überzeugt, dass sich private Unternehmen besser entwickeln als Unternehmen, die im weitesten Sinne verstaatlicht sind, was nicht zuletzt auch mit den Pleiten diverser Landesbanken zu tun haben dürfte.

Ein anderes Bild zeichnet eine Forsa-Umfrage für das Magazin Stern im Oktober 2008. Danach votierten 77% der Befragten für eine Verstaatlichung der Strom- und Gaskonzerne (davon 73% bei CDU/CSU-Anhängern und 70% bei FDP-WählerInnen), 64% für die Verstaatlichung der Finanzindustrie und 60% für die Verstaatlichung von Bahn, Post und Fluglinien. Eine Mehrheit der SPD-, Grünen- und LINKE-WählerInnen sprach sich sogar für die Verstaatlichung der Chemie- und Pharmaindustrie aus. Zu staatlichen Interventionen über die Krise hinaus erwarten nur 10%, in einem stärker vom Staat gestalteten Wirtschaftssystem werde es ihnen besser gehen. Allerdings sind auch nur 22% überzeugt, dass sich ihre materielle Lage dann verschlechtern würde. Vier von zehn Befragten sind der Ansicht, dass eine stärkere staatliche Lenkung ihre eigene Lage kaum berühren würde.

Was bei den meisten Umfragen allerdings nie konkretisiert wird, ist die Frage, was die Menschen unter Verstaatlichung verstehen. Daher ist die Allensbach-Untersuchung vom Februar dieses Jahres eine Ausnahme. Denn hier wurde gefragt, in welcher Weise der Staat in der Wirtschaft intervenieren solle. Die Rolle des Staates sehen hier 80% der Befragten bei Allensbach vorwiegend in der Kontrolle von Unternehmen zur Einhaltung von Gesetzen und Regelungen. 69% sprechen sich für Gesetze in allen wirtschaftlichen Bereichen aus, die die Arbeit von Unternehmen betreffen, beispielsweise Sozialgesetze, Arbeitsrecht und Steuerrecht. 55% votieren für die staatliche Festlegung von Managergehältern und 43% sind für die staatliche Kontrolle des Managements. Ähnlich sieht es im DeutschlandTREND für März 2009 aus. Hier sind 90% der Befragten der Ansicht, dass Managergehälter zu hoch sind, 67% sind für ein staatliches Eingreifen.

Interessant ist bei der genannten Allensbach-Erhebung auch, dass es relativ große (Minderheits-)Voten für sehr weitreichende Eingriffe in unternehmerische Verfügungsrechte gibt. So halten 40% es für eine staatliche Aufgabe, die Arbeit der Manager zu kontrollieren, 26% sind für Investitionskontrolle und ebenfalls 26% für die Überprüfung der Unternehmensstrategie durch den Staat.


... und was aus ihnen gelernt werden könnte

Die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise hat die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen grundlegend verändert, ohne dass sich dies bereits umfassend im Alltagsbewusstsein niederschlägt. Die politischen Koordinaten sind verschoben, der Kampf um ihre neue Justierung hat aber gerade erst begonnen. Die neoliberale Hegemonie ist angeschlagen, aber noch keineswegs gebrochen.

Am meisten in Bewegung geraten ist sie ganz offensichtlich in der Frage staatlicher Einwirkung auf die Wirtschaft. Mit Verstaatlichung wird von der Mehrheit der Bevölkerung allenfalls die Vorstellung eines Notfallprogramms verbunden, nicht aber die Hoffnung auf eine grundlegend andere Art zu wirtschaften. Zu offensichtlich ist, dass die derzeitigen Repräsentanten des Staates weder willens noch in der Lage sind, eine grundlegend neue Richtung einzuschlagen. Gleichzeitig sehen viele, dass sie als SteuerzahlerInnen letztlich die Zeche werden zahlen müssen und sind empört, dass die Profiteure der Krise ungeschoren davonkommen. Ebenfalls erschüttert ist die Vorstellung, dass freie Märkte den Wohlstand steigern und sich auch noch selbst regulieren. Dennoch herrscht bislang resigniertes Abwarten vor. Hoffnungen richten sich bestenfalls auf einen, der es richten soll: Barack Obama, der neue US-Präsident.

Aus den vorliegenden Umfrageergebnissen lassen sich noch keine Rückschlüsse auf mögliche neue Formen betrieblicher oder gesellschaftlicher Gegenwehr ziehen. Viele werden nach wie vor auf individuelle Lösungen setzen und dabei voraussichtlich noch im Laufe dieses Jahres grausam enttäuscht werden. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass das von Ökonomen erwartete historische Ausmaß der Krise für die große Mehrzahl noch nicht erfahrbar ist. Trotz Zustimmung zu staatlichen Konjunkturprogrammen und Verstaatlichung ist die Hoffnung auf die Handlungsfähigkeit der Politik gering.

Eine entscheidende Frage ist, in welchem Verhältnis die mehrheitlich verbreiteten Wünsche nach mehr sozialer Gerechtigkeit (z.B. Mindestlohn, gegen Rente erst mit 67) oder einer Antikriegspolitik, die u.a. für den politischen Aufstieg der Partei DIE LINKE mitentscheidend waren, zu den "neuen" Fragen der Finanz- und Wirtschaftskrise stehen?

Bereits bei der Landtagswahl in Hessen im Januar 2009 waren es wirtschaftspolitische Fragen, denen die Mehrheit der WählerInnen die größte Bedeutung beimaß. Hier wird der Linken traditionell wenig Kompetenz zugeschrieben - nur 1% der hessischen Wählerinnen sah DIE LINKE kompetent in Wirtschaftsfragen.

Hinzu kommt, dass die Krisendiskussion seltsam unverbunden neben der - für die Wahlentscheidung zugunsten der LINKEN nach wie vor zentralen - Frage der sozialen Gerechtigkeit steht. Aus unserer Sicht dürfte es entscheidend sein, den Zusammenhang von Finanzblase und der in den letzten 30 Jahren vollzogenen Umverteilung von Arbeits- zu Vermögenseinkommen und Unternehmensgewinnen mit der Krise herauszuarbeiten. Das würde dem verbreiteten Gefühl der Ungerechtigkeit der Verteilungsverhältnisse zusätzliche politische Schärfe geben.

Wie könnte diese Zuspitzung durch antikapitalistische und emanzipatorische Bewegungen befördert werden? Die Krise ist eine Systemkrise - Kapitalismuskritik ist notwendig. Dazu gehört die (Wieder-)Belebung der Einsicht, dass Krisen im Kapitalismus die Regel und nicht die Ausnahme sind. Auch dass es zwischen Kapitaleignern und Arbeitskraftverkäufern einen grundlegenden Interessengegensatz gibt und der im Unternehmen erwirtschaftete Gewinn eben nur einmal verteilt werden kann, gehören zu den Dingen, die angesprochen werden müssen. Kapitalismuskritik muss aber vor allem an der Erfahrungswelt der Betroffenen und ihrem Alltagsbewusstsein ansetzen und gleichzeitig konkrete politische Schritte zur Überwindung der Krise und hin zu einer neuen Wirtschafts- und Sozialordnung, die solche Krisen verhindern kann, aufzeigen. Abstrakte antikapitalistische Sprüche helfen nicht, sich in einer für die Subjekte nicht gerade komfortablen Situation zu orientieren. Die Krisenerfahrungen bieten eine Chance, die oben dargestellten neoliberalen Deutungsmuster zu durchbrechen und als unzureichende Antworten auf die gesellschaftliche Wirklichkeit zu entlarven. Diese Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit muss aber geleistet werden.

Die Auseinandersetzung um die Deutung der Krise kann bei einem erheblichen Teil der Bevölkerung an einer kritischen Haltung zur Gerechtigkeit der gesellschaftlichen Eigentums- und Machtverhältnisse ansetzen. Es gilt aber auch zu zeigen, dass die Krise nicht nur das Werk von unverantwortlichen "Zockern" in Banktürmen und Steueroasen ist, sondern vor allem das Ergebnis falscher politischer Weichenstellungen der vergangenen Jahre. Ob Menschen in einer gegebenen Krisensituation ihre Interessen aktiv vertreten, hängt auch davon ab, ob ihnen die angebotenen Auswege realistisch und erfolgreich umsetzbar erscheinen. Es würde daher für DIE LINKE einen deutlichen Schritt nach vorn bedeuten, wenn sie ihre gesellschaftlichen Alternativen konkretisieren und in nachvollziehbare Reformschritte präzisieren könnte.


Jörg Cezanne, Mörfelden-Walldorf, ist Betriebswirt und Soziologe; Jasmin Romfeld, Wiesbaden, ist Politologin; beide arbeiten für die Fraktion der LINKEN im Hessischen Landtag: Jörg Cezanne als Fraktionsgeschäftsführer, Jasmin Romfeld als Referentin für Öffentlichkeitsarbeit.


Literatur

Allensbach (2008a): "Allensbach-Analyse: Vertrauen in die Finanzwelt erschüttert", in: FAZ vom 21.10.2008

Allensbach (2008b): "Allensbach-Analyse: Wasser auf die Mühlen der Linken" von Prof. Renate Köcher, in: FAZ vom 22.10.2008

Allensbach (2009): "Allensbach-Analyse: Schwache Vorbehalte gegen Eingriffe" von Prof. Renate Köcher, in: FAZ vom 25.2.2009

Eichengreen, Barry/O'Rourke, Kevin H. (2009): A Tale of Two Depressions, in: http://www.voxeu.org/index.php?q=node/3421, 6. April

Forsa-Umfrage (2009): für das Magazin Stern am 22./23.10.2008, in:
http://de.statista.com/statistik/daten/studie/2130/umfrage/verstaatlichung-von-konzernen/

GfK-Konsumklimastudie für März 2009, in: http://www.gfk.com/group/press_information/press_releases/003754/index.de.html

Infratest (2008/2009): DeutschlandTREND, http://www.infratest-dimap.de/umfragen-analysen/bundesweit/

Schumann, Michael (2003): Metamorphosen von Industriearbeit und Arbeiterbewusstsein. Kritische Industriesoziologie zwischen Taylorismusanalyse und Mitgestaltung innovativer Arbeitspolitik, Hamburg

Sennett, Richard (2007): Die Kultur des neuen Kapitalismus, Berlin

Werner, Harald (2003): Amnesie sozialer Deutungsmuster. Wie der Neoliberalismus das Alltagsbewusstsein dekonstruiert hat, in: Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Heft 56, Dezember


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Quelle:
Sozialismus Heft 5/2009, Seite 27 - 31
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juli 2009