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FRAGEN/043: Gunther Schnabl - "Wir brauchen eine grundlegende Wende in der Wirtschafts- und Währungspolitik" (idw)


Universität Leipzig - 16.09.2019

Gunther Schnabl: "Wir brauchen eine grundlegende Wende in der Wirtschafts- und Währungspolitik"


Vom 22. bis 25. September 2019 treffen sich an der Universität Leipzig etwa 800 Wirtschaftswissenschaftler zur Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik (VfS). Die Jahrestagungen des VfS gehören zu den größten wissenschaftlichen Fachtagungen in Europa. Schwerpunkt ist diesmal das Thema "30 Jahre Mauerfall - Demokratie und Marktwirtschaft". Zu den Organisatoren der Konferenz gehört der Leiter des Instituts für Wirtschaftspolitik der Universität Leipzig, Prof. Dr. Gunther Schnabl. Im Interview äußert er sich unter anderem zu den Herausforderungen der Sozialpolitik und zu den Befürchtungen vieler Ostdeutscher, vom Westen abgehängt zu werden.

Herr Prof. Schnabl, welche Ziele hat sich die Jahreskonferenz des Vereins für Socialpolitik gesetzt?

Nach dem Mauerfall wurden Ostdeutschland sowie die mittel- und osteuropäischen Staaten in Marktwirtschaften transformiert. Demokratien wurden eingeführt. Die Tagung macht 30 Jahre später eine Bestandsaufnahme. Was wurde erreicht und wo wurden Fehler gemacht?

Der Schwerpunkt der Konferenz ist "30 Jahre Mauerfall - Demokratie und Marktwirtschaft". Müssen die Menschen in Ostdeutschland so lange nach der Wende immer noch befürchten, vom Westen abgehängt zu werden?

Ja, leider. Seit der Wiedervereinigung ist ganz Europa von marktwirtschaftlichen Prinzipien wie einer harten Währung und fairem Wettbewerb abgerückt. Das Wachstum wird mit Hilfe der Notenpresse der Europäischen Zentralbank aufrechterhalten. Das billige Geld der EZB begünstigt aber vor allem die großen exportorientierten Unternehmen, die sich im Westen konzentrieren. Die Perspektiven der kleinen und mittleren Unternehmen im Osten haben sich hingegen eingetrübt.

Sind es nicht eher regionale Unterschiede zwischen strukturschwachen und -stärkeren Regionen, die es in Ost wie West gibt?

Die anhaltende Null- und Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank lähmt Leistungsanreize und das Wachstum, so dass es auf Dauer zu keiner nachhaltigen Erholung kommen wird. Das Gefälle zwischen wirtschaftlich starken und schwachen Regionen dürfte damit in ganz Deutschland weiter zunehmen. Die Abwanderung aus den Peripherien in die Zentren dürfte sich fortsetzen.

Kann man heute noch von sozialer Marktwirtschaft sprechen? Wenn ja, wie stabil ist sie?

Die Soziale Marktwirtschaft, wie sie ab 1948 in Westdeutschland geschaffen wurde, basierte auf einer harten Währung - der Deutschen Mark - und freiem Wettbewerb. Die Unternehmen waren produktiv, was Wohlstand für alle brachte. Heute führt das billige Geld der Europäischen Zentralbank vor allem zu einem Anstieg der Immobilienpreise und zu einem Exportboom. Davon profitieren nur wenige. Der Vater der Sozialen Marktwirtschaft, Ludwig Erhard, hätte das kritisch gesehen, weil dadurch die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stabilität untergraben wird.

Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten sozialpolitischen "Baustellen" der Bundesregierung?

In den großen Städten sind steigende Immobilienpreise und Mieten gesellschaftlicher Sprengstoff. Abseits der Zentren sorgt die Verödung von Dörfern und kleinen Städten für Frustration. Gleichzeitig stehen aufgrund des geringen Wachstums dem Staat weniger Ressourcen zur Verfügung, um die Fehlentwicklungen auszugleichen. Wir brauchen deshalb eine grundlegende Wende in der Wirtschafts- und Währungspolitik zurück zu einer harten Währung und marktwirtschaftlichen Prinzipien.


Die Fragen stellte Susann Huster.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution232

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Leipzig, 16.09.2019
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. September 2019

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