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INTERNATIONAL/156: Jemen - Dolche aus chinesischer Massenproduktion, altes Kunsthandwerk stirbt aus (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 1. Juli 2013

Jemen: Dolche aus chinesischer Massenproduktion - Altes Kunsthandwerk stirbt aus

von Rebecca Murray


Bild: Rebecca Murray/IPS

Das kulturelle Erbe in Jemens Hauptstadt Sanaa ist bedroht
Bild: Rebecca Murray/IPS

Sanaa, 1. Juli (IPS) - Bevor am 9. Juli der islamische Fastenmonat Ramadan beginnt, stocken die Ladenbesitzer auf dem geschäftigen Basar in der Altstadt von Sanaa ihre Waren auf. Für Händler wie Ali Al-Fakri, der die traditionellen jemenitischen Dolche, die 'Jambiyahs', mit ihren reich bestickten Tragegürteln verkauft, laufen die Geschäfte an den Feiertagen am Ende des Ramadan besser als sonst.

Doch obwohl Al-Fakris kunstvoll angefertigte Ware geschätzt wird, leidet er unter der Konkurrenz billiger Massenwaren. Seine Dolche kosten umgerechnet je 70 US-Dollar, die Industrieware dagegen nur sieben Dollar. "Früher habe ich zu besonderen Anlässen fast die doppelte Menge an Jambiyahs verkauft", sagt der Händler mit Bedauern.

Nicht nur das traditionelle jemenitische Kunsthandwerk einschließlich Keramikarbeiten, auch die Nachfrage nach einheimischen Nahrungsmitteln wie Kaffee oder Honig nimmt aufgrund der Importe zu Dumpingpreisen ab. Sogar die Altstadt von Sanaa, die vor dem 11. Jahrhundert nach Christus erbaut wurde und seit 1986 als UNESCO-Weltkulturerbe geschützt ist, steht auf dem Spiel.

Hinter den turmhohen Stadtmauern führen kopfsteingepflasterte Straßen an verzierten Häusern, Moscheen, Gärten und dem Basar vorbei. Diejenigen, die um das Kulturerbe fürchten, warnen seit langem vor kurzsichtigen Entwicklungsprojekten. So bauen Familien weitere Stockwerke auf instabile Häuser, und historische Holztüren müssen schmucklosen Metalltüren weichen.

Die ohnehin schon dramatische Wasserknappheit in Sanaa hat sich durch das Verklappen von Beton in den Stadtgraben verschärft. Private Brunnen und Gemeinschaftsgärten sind dadurch ausgetrocknet.


Politische Unruhen schwächen Wirtschaft und Tourismus

Angesichts der schwierigen Lage des Landes seit dem Ausbruch des Volksaufstandes 2011 gibt die Weltkulturorganisation UNESCO der Regierung in Sanaa bis zum kommenden Jahr Zeit, die Missstände zu beseitigen. Doch der Schutz der Altstadt ist für die Regierung vor dem Hintergrund ausbleibender Touristen, düsterer Wirtschaftsaussichten, verbreiteter Korruption und fortgesetzter politischer Machtkämpfe zweitrangig.

"Es ist derzeit schwer, dem Erhalt der Kultur eine höhere Priorität zu verschaffen", meint Kulturminister Abdullah Awabil Manthuq. "Dies ist jedoch eine Grundvoraussetzung für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung."

In den vergangenen 30 Jahren hat das historische Zentrum der Hauptstadt drastische architektonische Veränderungen und einen demografischen Wandel erlebt. Familien, die lange dort gelebt hatten, wanderten in den 1980er Jahren in Scharen ab, um neugebaute Villen an den Stadträndern zu beziehen.

Die Einwohnerzahl von Sanaa stieg 1991 sprunghaft an, als Saudi-Arabien vor dem ersten Golfkrieg Hunderttausende jemenitische Gastarbeiter auswies. Die Regierung in Riad reagierte damit auf die Unterstützung, die Jemens Präsident Ali Abdullah Saleh dem irakischen Diktator Saddam Hussein zukommen ließ. "Die Altstadt wurde von Ankömmlingen besetzt, dann folgte der Niedergang. Kontrollen blieben aus", erzählt Marco Liviadotto, der seit Jahrzehnten in Sanaa lebt.

Der alte 'Souk' in dem von jeher Stoffe, Haushaltswaren, Gewürze, Dolche und Schmuck angeboten wird, ist in den vergangenen Jahren erheblich vergrößert worden. Geschichten über Korruption und Betrug sind im Umlauf. So sollen Ladenbesitzer absichtlich Wasserschäden herbeigeführt haben, um die historischen Gebäude abreißen und neue Häuser mit Geschäftsräumen im Erdgeschoss bauen zu dürfen.

Nagi Thowabeh, der neue Leiter der Generalorganisation für den Erhalt der historischen Städte in Jemen, sieht Eigentumsstreitigkeiten innerhalb der Familien als besonders verheerend an. "Wenn ein Gebäude im Laufe von Generationen verfällt, bricht ein Streit darüber aus, wer für den Wiederaufbau zuständig ist", sagt er. "Einige Familienmitglieder sind bereits weggezogen und können sich die Maßnahmen nicht leisten, andere wollen die Häuser verkaufen. Und am Ende sind die Gebäude dem Verfall preisgegeben."

Doch Thowabeh will den Gang der Dinge aufhalten. Gemeinsam mit der Stadtverwaltung von Sanaa entwirft er Richtlinien, die unter anderem die Schließung illegaler Läden, die Entfernung von Metalltüren und Werbung sowie die Finanzierung des Wiederaufbaus historischer Gebäude vorsehen.


Importe aus Asien sind billiger

In Hussain Naji Gazis Geschäft baumeln die im Ausland als 'Palästinensertücher' bekannten gemusterten 'Keffiyeh', von den Wänden. Sie kommen aus China und kosten knapp zwei Dollar, halb so viel wie die im Jemen hergestellten Tücher. "Wir sagen den Chinesen, was wir wollen, und sie machen es", erklärt er.

Wie seine Nachbarn hat auch dieser Händler sein Geschäft mit Schals aus Oman, Indien und Kaschmir gefüllt. "Früher haben wir diese Tücher hier hergestellt, aber die Importware kostet viel weniger. Jetzt kommt alles von irgendwo her."

Gleich hinter der nächsten Ecke liegt eine Karawanserei, in der die Organisation 'Hope in their Hands' (Hoffnung in ihren Händen) weibliche Helfer sucht, die das traditionelle jemenitische Kunsthandwerk herstellen und verkaufen sollen.

Touristen sind aufgrund der hohen Sicherheitsrisiken im Jemen aber kaum zu sehen. Da zudem 60 Prozent der Bevölkerung arbeitslos sind, sieht es gerade für die Händler mit den hochwertigen Waren eher schlecht aus. "Wasser, Erdöl, Fischer - alles ist weg. Hier leben zu viele Menschen, und es gibt keine Industrie", berichtet Liviadotti. "Jemen muss in den Tourismus investieren. Wenn wieder Frieden herrscht, wird er das Einzige sein, was dem Land bleibt." (Ende/IPS/ck/2013)


Link:

http://www.ipsnews.net/2013/06/to-find-peace-and-then-sell-it/

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IPS-Tagesdienst vom 1. Juli 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juli 2013