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INTERNATIONAL/172: Brasilien - Das Öl gehört dem Land, das Wissen der NSA (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. September 2013

Brasilien: Das Öl gehört dem Land, das Wissen der NSA

von Fabiana Frayssinet


Bild: © Petrobras/ABr

P 51, die erste rein brasilianische Erdöl-Förderplattform
Bild: © Petrobras/ABr

Rio de Janeiro, 24. September (IPS) - In Brasilien haben Berichte, wonach der staatliche Erdölkonzern 'Petrobras' dem Datenklau des US-Geheimdienstes NSA zum Opfer gefallen ist, die Kontroverse über eine weitere Öffnung des Unternehmens für ausländische Investoren neu entfacht. Petrobras gilt als Symbol brasilianischer Souveränität.

Die Entdeckung der Erdöl- und Erdgaslager während der Regierungszeit von Präsident Getulio Vargas (1930-1945) lösten einen Sturm der Begeisterung aus. Der Begeisterungsschrei 'Das Öl gehört uns' wurde später zum Slogan bei der Gründung von Petrobras 1953. Als der damalige Staatschef Fernando Henrique Cardoso 1997 das Ende des Staatsmonopols verkündete und private Investoren aus dem In- und Ausland an dem Unternehmen beteiligte, gewann der Aufruf erneut an Bedeutung.

Zehn Jahre später mobilisierten sich die Gegner der Petrobras-Öffnung erneut, als größere Offshore-Vorkommen 180 Kilometer von der brasilianischen Küste entfernt und 7.000 Meter unter dem Meeresspiegel entdeckt wurden. 2010 ersetzte der damalige Präsident Luiz Inácio Lula da Silva das bisherige Konzessionsvergabesystem, wonach sich Unternehmen um die Ausbeutung von Ölfeldern bewarben, durch ein System, das den Staat an der Ausbeutung der Ölquellen beteiligte.

Die brasilianische Regierung ist der größte Anteilseigner des börsennotierten Konzerns, dessen streng gehütete Geheimnisse, etwa der Umfang der Ölvorkommen oder die von Petrobras entwickelte Technologie zur Tiefseeförderung, durch den NSA-Datenklau den USA und deren Verbündeten inzwischen bekannt sein könnten.


Petrobras gilt als Hauptspionageziel

Der US-Journalist Glenn Greenwald, der in Rio de Janeiro arbeitet, berichtete Anfang September, dass öffentlich bekannt gewordene NSA-Dokumente Hinweise darauf gäben, dass Petrobras bespitzelt worden sei. Immerhin handelt es sich um das größte Unternehmen Brasiliens und den viertgrößten Erdölproduzenten der Welt. Aus geheimen Dokumenten von 2012, die Greenwald nach eigenen Angaben von dem 'Whistleblower' Edward Snowden erhalten hatte, soll hervorgehen, dass Petrobras ganz oben auf der Liste der Spionageziele stand.

Die Dokumente wurden demnach im Rahmen eines Ausbildungslehrgangs für neue NSA-Beamte als Anschauungsmaterial für das Eindringen in private Computernetzwerke genutzt. Die Akten geben allerdings keine Auskunft darüber, in welchem Umfang die NSA Daten aus den Rechnern von Petrobras entschlüsseln konnte. Sie entkräften jedoch Erklärungen des Geheimdienstes zu früheren Berichten, denen zufolge die NSA die private Kommunikation von Brasilianern und sogar von Präsidentin Dilma Rousseff überwacht haben soll.

"Ohne Zweifel stellt Petrobras für kein anderes Land eine Sicherheitsgefahr dar", erklärte Rousseff. "Das Unternehmen steht aber für eines der reichsten Ölvorkommen der Welt, ein Erbe des brasilianischen Volkes." Der jährliche Umsatz von Petrobras wird mit rund 90 Milliarden US-Dollar angegeben.

"Es ist klar, dass der Beweggründe nicht die Sicherheit oder der Kampf gegen den Terrorismus waren. Vielmehr ging es um wirtschaftliche und strategische Interessen", betonte Rousseff. Die Schutzlosigkeit des Unternehmens hat dem Schlachtenruf 'Das Öl gehört uns' wieder neuen Auftrieb gegeben und eine Kontroverse über eine weitere Öffnung von Petrobras für privates ausländisches Kapital ausgelöst.

Im Mittelpunkt der Kontroverse steht das Ölfeld 'Libra' im Santos-Becken, wo eines der größten Öldepots unter unterseeischen Salzschichten lagert. Ausländische Investoren sollen ab Oktober auf Förderlizenzen bieten können. Die brasilianische Regierung wies Spekulationen zurück, wonach die Ausschreibung aufgrund von Befürchtungen ausgesetzt werde, dass durchgesickerte Informationen US- oder britischen Unternehmen Vorteile verschaffen könnten.

Silvio Sinedino, der den Verband der Petrobras-Ingenieure leitet, ist ein erklärter Gegner des Bieterverfahrens. "Wir fordern seit langem, dass mit unserem Öl nicht so umgegangen wird, erst recht nicht mit solch einem fantastischen Ölfeld. Dort gibt es keine Risiken, weil es bereits erschlossen wurde und eine bestätigte Kapazität von zwölf bis 15 Milliarden Barrel Erdöl hat."


Ölvorkommen reichen für halbes Jahrhundert

Die unterhalb der Salzschichten lagernden Ölvorkommen werden auf 80 Milliarden bis 100 Milliarden Barrel geschätzt - genug, um die Versorgung des Landes für 40 bis 50 Jahre zu sichern, meinte Sinedino. Die 'Privatisierung' von Petrobras und des Telekommunikationssektors während der Cardoso-Regierung habe Brasilien anfälliger für Spionage werden lassen, erklärte er. "Selbst unsere militärische Kommunikation passiert US-Satelliten, die offensichtlich von US-Agenten überwacht werden."

Adriano Pires, Berater des Brasilianischen Infrastrukturzentrums, sieht Petrobras deshalb als Ziel von Spionage, weil das Unternehmen nach einer 50-jährigen Monopolstellung besser als jedes andere wisse, wie Tiefseebohrungen durchzuführen seien. Die Vorkommen vor der Küste Brasiliens weckten Begehrlichkeiten, seit es um die unter Salz liegenden Reserven vor der Küste Westafrikas Streit gebe.

Pires kritisierte zugleich, dass eine Diskussion über eine Öffnung von Petrobras für ausländisches Kapital, die auf Enthüllungen von Spionage basiere, "Irrsinn" und charakteristisch für eine "extrem nationalistische" Rhetorik sei. Spekulationen über eine Bespitzelung durch die NSA würden selbst von Regierungsmitgliedern genährt, um zu beweisen, dass die USA es auf den Wohlstand Brasiliens abgesehen habe. "Die unterseeischen Vorkommen sind aber so groß, dass Petrobras sie nicht allein fördern kann. Wir brauchen US-amerikanische, schwedische, britische, norwegische und australische Unternehmen, um die Reserven zu erschließen."

Tullo Vigevani, Politologe an der Universität des Bundesstaats São Paulo, zeigte sich nicht überrascht von den Enthüllungen der angeblichen Industriespionage. "Die Energiefrage steht im Fokus der USA und gehört zu den wichtigsten politischen Themen auf globaler Ebene", sagte er. "Information ist ein wesentliches Element. Die neuen Entdeckungen in Brasilien, vor allem die Offshore-Vorkommen, müssen engmaschig vor Spionageangriffen geschützt werden. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.ipsnews.net/2013/09/the-oil-is-ours-but-its-secrets-are-the-nsas/
http://www.ipsnoticias.net/2013/09/el-petroleo-es-nuestro-sus-secretos-de-la-nsa/

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IPS-Tagesdienst vom 24. September 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. September 2013