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INTERNATIONAL/180: Karibik - Schuldenrückzahlung frißt Staatshaushalt, IWF-Strategiewende angemahnt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. November 2013

Karibik: Schuldenrückzahlung frisst Staatshaushalte auf - IWF zur Strategiewende ermahnt

von Samuel Oakford


Bild: © Europäische Kommission

Schäden durch den Hurrikan 'Sandy' auf Jamaika
Bild: © Europäische Kommission

New York, 21. November (IPS) - Kurz nach Ende der Verhandlungen über einen 958 Millionen US-Dollar-Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) für Jamaika besuchte der Chef der IWF-Mission, Jan Kees Martijn, Ende Mai die ehemalige Plantagensiedlung Croydon im gebirgigen Nordwesten des Inselstaates. Vor Ort befand sich auch die Sozialhistorikerin Verene Shepherd von der 'University of the West Indies', die Aufnahmen für ihre wöchentliche Radiosendung 'Talking History' machte, diesmal im Gedenken an die Hinrichtung von Samuel Sharpe, dem Anführer der Sklavenrebellion 1831 bis 1832.

In Croydon kam es zu einer zufälligen Begegnung zwischen der Wissenschaftlerin, die auch dem Nationalen Entschädigungsausschuss vorsitzt, und dem niederländischen Technokraten. Shepherd rechnete bei dem Zusammentreffen auf, dass der Wert der Sklavenarbeit mit etwa 7,5 Billionen Dollar zu beziffern sei. Nicht wenige Beobachter in der Region sind der Meinung, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen der Sklaverei bei heutigen Diskussionen über Budgetprobleme und Nothilfekredite Jamaikas zumindest eine Fußnote wert wären.

"Ich versuchte ihm zu erklären, dass dies Schulden der Kolonisierung sind", sagte Shepherd. "Es ist einfach zu sagen: 'Ihr seid jetzt unabhängig, also beklagt euch nicht länger'. Es ist nicht richtig, die Vergangenheit einfach außer Acht zu lassen." Im Oktober wird Jamaika gemeinsam mit anderen 13 Karibikstaaten gegen Großbritannien, Frankreich und die Niederlande vor Gericht ziehen, um Entschädigungen für die Sklaverei zu erstreiten.


Staatsschulden oft mehr als 80 Prozent des BIP

Seit 1990 hat es bereits 37 Umschuldungsinitiativen für die Karibikstaaten gegeben. Die Staatsschulden von Antigua und Barbuda, Barbados, Belize, Grenada, Jamaika, St. Kitts and Nevis und St. Lucia übersteigen das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Länder um mehr als 80 Prozent. Im Fall von Jamaika sind es sogar 143,3 Prozent.

Die geltende Abmachung mit dem IWF sieht vor, dass Jamaika einen Primärüberschuss von 7,5 Prozent des BIP erwirtschaftet. Dies erreichen bisher aber nur einige wenige große erdölexportierende Länder. "Das ist in vieler Hinsicht eine Farce und wirft ein schlechtes Licht auf den IWF", meinte Gail Hurley vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP).

Den Karibikinseln bieten Refinanzierungsmodelle unabhängig von den Konditionen attraktive Vorteile. Sie verschaffen den Regierungen Geld, das sie in ihrer Amtszeit ausgeben können. "Dadurch wird das eigentliche Problem ausgesessen", kritisierte Hurley. "Wenn Geld kurzfristig frei wird, kann man der Bevölkerung sagen, dass zusätzliche 500 bis 600 Millionen Dollar für Bildung und Gesundheit verfügbar sind. Die Schulden aber bleiben."

2010 räumte selbst der IWF die Notwendigkeit ein, auf die Schuldenbremse zu treten. Doch war es diesmal die jamaikanische Regierung, die mit Blick auf die kurzfristigen Auswirkungen auf die privatwirtschaftlichen Kapitalzuflüsse eine Verringerung der Schulden verweigerte und sich stattdessen für ein Umschuldungsprogramm entschied, das drei Jahre später wiederholt werden musste.

Ein Gericht in Jamaika erklärte das ursprüngliche IWF-Abkommen von 2010 mit der Begründung für null und nichtig, die Regierung könne Zahlungen für Staatsbedienstete nicht länger zurückhalten, wie mit der internationalen Finanzorganisation ursprünglich abgesprochen war.

Doch ohne die Abkommen mit dem IWF und ohne die Analysen, die diese begleiten, halten sich sowohl private Investoren als auch bilaterale und multilaterale Finanzorganisationen wie die Weltbank mit Kreditangeboten zurück. Haben sie zu dem Zeitpunkt bereits Kredite bewilligt, können diese eingefroren werden. Genau dies geschah nach der Verkündung des Gerichtsurteils in Jamaika.

In Belize haben Pfandbriefinhaber als illusorisch eingestufte Vermögensbestände um zehn bis 20 Prozent abgeschrieben. In St. Kitts and Nevis belief sich der 'Haircut' sogar auf 50 Prozent. In einem im Februar veröffentlichten Bericht stellte der IWF fest, dass die größten Probleme für die kleinen Karibikstaaten das geringe Wachstum, hohe Schulden und die Anfälligkeit für Naturkatastrophen seien.

Obwohl der IWF bereits Abbitte dafür geleistet hat, dass er nach dem Ausbruch der Finanzkrise 2008 harte Sparauflagen in Europa durchgesetzt hatte, vollführte er eine Kehrtwende und bestand darauf, dass solche Maßnahmen für die Karibikregion der einzige Ausweg aus der Finanzmisere seien.


Kluft zwischen Maßnahmen für Reiche und Arme

"Bei den Strategien für die reichen Staaten und denen für Entwicklungsländer wird mit zweierlei Maß gemessen", sagte Jake Johnston vom 'Centre for Economic Policy Research' (CEPR). "Es wurde viel über eine nachgiebigere Haltung des IWF gesprochen. In Entwicklungsländern jedoch drängt der Fonds nach wie vor zu Maßnahmen, wie sie vor 15 Jahren üblich waren."

Trotz mehrerer aufeinander folgender IWF-Darlehen wendet Jamaika immer noch etwa die Hälfte seines Staatshaushaltes für Zinszahlungen auf. Damit werden die Möglichkeiten des Landes, soziale Dienstleistungen bereitzustellen und Vorkehrungen gegen Naturkatastrophen zu treffen, stark eingeschränkt.

Nachdem vor einem Jahr Hurrikan 'Sandy' über die Insel hinweggefegt war, "konnte Jamaika nichts instand setzen oder sich gegen den nächsten Sturm wappnen", kritisierte Johnston. Schuld daran seien die Auflagen des IWF gewesen. Unabhängige Experten warnen davor, dass ein Land für jeden Dollar, der jetzt nicht Projekten zur Milderung der Folgen des Klimawandels zufließt, in ein paar Jahren sechs oder sieben Dollar in die Katastrophenhilfe stecken muss.

Analysten weisen rückblickend darauf hin, dass die Volkswirtschaften im Karibikraum unterentwickelt in die Unabhängigkeit entlassen worden seien. Die einstigen Kolonialmächte hätten vor allem den Rohstoffexport und nicht die Entwicklung der Industrie in den Ländern gefördert. In der Folge wurden die Staaten von Präferenzhandelsabkommen abhängig, wie sie die EU ihren ehemaligen Kolonien angeboten hat.


Gläubigerkonferenz für Grenada gefordert

Viele Karibikländer wandten sich schließlich dem Tourismus zu, doch die Folgen der globalen Finanzkrise 2008 sind noch deutlich spürbar. In Grenada beispielsweise hat sich die Arbeitslosenrate zwischen 2008 und 2012 verdoppelt. Die Grenadinische Kirchenkonferenz schlug daraufhin dem IWF und der Regierung des Landes die Einberufung einer 'Gläubigerkonferenz' vor, um Konditionen für einen Erlass von zwei Dritteln der Schulden auszuhandeln. In diesem Jahr übersteigen die Schuldenrückzahlungen Grenadas die Ausgaben für Bildung und Gesundheit um mehr als das 250fache.

Obgleich Grenada eines Tages als Modell für die Schuldenreduzierung in ärmeren Staaten dienen könnte, fordert Johnston einen internationalen Mechanismus zur Beilegung von Schuldenkonflikten. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.imf.org/external/index.htm
http://www.cepr.org/
http://www.ipsnews.net/2013/11/deja-vu-all-over-again-for-indebted-caribbean/

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IPS-Tagesdienst vom 21. November 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. November 2013