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INTERNATIONAL/260: Brasilien - Transkontinentale Eisenbahn mit chinesischen Geldern, Experten skeptisch (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. Mai 2015

Brasilien: Transkontinentale Eisenbahn mit chinesischen Geldern - Unrealistisch, sagen Experten

von Mario Osava


Bild: © Mario Osava/IPS

Vom Nordosten Brasiliens aus wird Eisenerz nach China verschifft
Bild: © Mario Osava/IPS

RIO DE JANEIRO (IPS) - Eine 5.000 Kilometer lange Eisenbahnlinie soll den brasilianischen Hafen Açú, 300 Kilometer nordöstlich von Rio de Janeiro, mit einem Hafen in Peru verbinden. Experten halten das mit China und Peru geplante Großprojekt jedoch für eine Chimäre.

Das Aufsehen erregende Vorhaben wurde zum Abschluss des zweitägigen Brasilien-Besuchs des chinesischen Regierungschefs Li Keqiang am 19. Mai vereinbart. Es soll den Export von Mineralien und Soja in die Volksrepublik erleichtern. Insgesamt haben Li, der von 120 chinesischen Unternehmern begleitet wurde, und Brasiliens Staatspräsidentin Dilma Rousseff 35 bilaterale Abkommen und Verträge unterzeichnet.

Vorgesehen ist, dass der Hafen in Peru, an dem die neue Schienenstrecke enden soll, auf der Basis von Machbarkeitsstudien ausgewählt wird. Dies geht aus einer Absichtserklärung der drei involvierten Staaten hervor.

Newton Rabello, Transportexperte an der Föderalen Universität von Rio de Janeiro, hält das Projekt jedoch für eine Fehlinvestition. "Die 4.000 Meter hohe Barriere der Anden und die immensen Kosten machen dieses Vorhaben von vornherein unwirtschaftlich. Schienenwege lassen sich schlecht auf felsigem Terrain anlegen. Alle bisherigen Eisenbahnlinien, die durch die Anden führten, wurden wieder stillgelegt."

Wie der Professor betont, ist schon der Bau einer geplanten Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Rio de Janeiro und São Paulo wegen der absurd hohen Kosten unterblieben. Aus ähnlichen Gründen seien auch andere Eisenbahnverbindungen zwischen dem Atlantik und dem Pazifik - etwa im 'Cono Sur' - nicht realisierbar. Dabei müssten im 'Südkegel' Lateinamerikas lediglich bereits befahrene Schienenwege ausgebaut werden.

Die weiteren Abkommen, die Rousseff mit Li unterzeichnet hat, sind konkreter gefasst und bieten Brasilien eine Vielzahl von Vorteilen. Das südamerikanische Land steht derzeit vor einer Haushaltsanpassung und ist auf Finanzierungshilfe für notwendige Infrastrukturarbeiten angewiesen.


Investitionszusagen in Milliardenhöhe

China hat laut Angaben der brasilianischen Regierung Investitionen von insgesamt 53 Milliarden US-Dollar zugesagt. Von chinesischer Seite wurde dieser Betrag bislang nicht bestätigt. Unklar ist auch, welche Projekte in welcher Höhe finanziert werden sollen. Einige Vorhaben - wie die transkontinentale Schienenstrecke - existieren bisher nur auf dem Papier oder müssen noch öffentlich ausgeschrieben werden.

Die industrielle Entwicklung Lateinamerikas sei eines der Ziele der chinesischen Entwicklungsfinanzierung, sagte Li am 19. Mai in Brasilia. Er reagierte damit auf Kritik, dass China die lateinamerikanischen Länder weitgehend auf die Rolle der Rohstofflieferanten reduziere. Nach dem Besuch in Brasilien reiste der Premier nach Kolumbien, Peru und Chile weiter.

Die Beteiligung chinesischer Unternehmen dürfte nun mehreren Projekten, die verschoben oder auf Eis gelegt wurden, den erhofften Anschub verschaffen. Zu diesem Zweck wollen die chinesische Industrie- und Handelsbank ICBC und die brasilianische 'Caixa Econômica Federal' einen mit 50 Milliarden Dollar bestückten Fonds einrichten. Industrieaktivitäten stehen im Mittelpunkt eines weiteren Fonds, den China mit zwischen 20 und 30 Milliarden Dollar bestücken wird. Der brasilianische Anteil steht noch nicht fest.

Chinesische Banken werden dem staatlichen brasilianischen Erdölunternehmen 'Petrobras' weitere Darlehen in Höhe von sieben Milliarden Dollar einräumen. Der Bergbaukonzern 'Vale' erhält vier Milliarden Dollar für Schiffe, die 400.000 Tonnen Eisenerz nach China befördern sollen. Erdöl und Eisenerz machen fast 80 Prozent der brasilianischen Ausfuhren in die Volksrepublik aus.

Um die Kosten dieser Exporte zu senken, ist China daran gelegen, die Infrastruktur in dem größten lateinamerikanischen Land zu verbessern. Dadurch werden außerdem neue Arbeitsplätze in der chinesischen Bauindustrie geschaffen. Die Volksrepublik wird zudem brasilianisches Rindfleisch importieren. Während des Besuchs von Li wurde auch der Verkauf von 22 Flugzeugen des brasilianischen Herstellers 'Embraer' besiegelt. In einem früheren Abkommen war allerdings die Lieferung von 60 Flugzeugen vereinbart worden.


Bilaterales Handelsvolumen soll 100 Milliarden Dollar erreichen

Der bilaterale Handel belief sich im Jahr 2014 auf 77,9 Milliarden Dollar. Brasilien erzielte dabei einen Handelsüberschuss, muss aber wegen der sinkenden Rohstoffpreise einen Rückgang in Kauf nehmen. Wie der chinesische Premier ankündigte, soll das Handelsvolumen in naher Zukunft auf 100 Milliarden Dollar steigen.

Luis Alfonso Lima, Vorsitzender der Brasilianischen Gesellschaft für transnationale Konzerne und Globalisierung der Wirtschaft, dämpft die Erwartungen. "China wird sicherlich mehr dabei gewinnen als wir. Das Land ist lateinamerikaweit auf Rohstoffsuche. Dabei besteht jedoch keine Eile, da sich das Wirtschaftswachstum Chinas verlangsamt hat. Die Chinesen können also gründlich und langfristig planen."

Angesichts seiner Devisenreserven von etwa vier Billionen Dollar könne China die Entwicklung in jedem beliebigen Land der Welt finanzieren, fügt er hinzu. "Brasilien hingegen, das sich in einer Notsituation befindet und kurzfristig Finanzmittel braucht, reagiert lediglich, ohne eine konkrete Strategie zu verfolgen."

Brasilien sei bereits 2004 enttäuscht worden, als es China formell als Marktwirtschaft anerkannte und ihm günstige Handelsbedingungen anbot, erinnert Lima. Peking habe aber seine Zusagen, zehn Milliarden Dollar in den brasilianischen Industriesektor zu investieren, nicht eingehalten. (Ende/IPS/ck/27.05.2015)


Links:
http://www.ipsnews.net/2015/05/a-chimera-in-growing-cooperation-between-china-and-brazil/
http://www.ipsnoticias.net/2015/05/una-quimera-en-medio-de-amplia-cooperacion-de-china-y-brasil/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 27. Mai 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Mai 2015

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